Sing Street von John Carney. Irland/England/USA, 2016. Ferdia Walsh-Peelo, Lucy Boynton, Jack Reynor, Ben Carolan, Mark McKenna, Percy Chamburuka, Conor Hamilton, Aidan Gillen, Maria Doyle Kennedy, Don Wycherley, Karl Rice, Ian Kenny, Kelly Thornton
Conor hat das Pech, im Dublin der 80er aufzuwachsen. Das ist deshalb doppeltes Pech, weil es dem Land seit Jahren schon ziemlich schlecht geht und den Leuten entsprechend auch, und weil die Musik im dieser Zeit einfach scheiße war, und man zwischen solchen Krachern wie Duran Duran oder Spandau Ballet oder gar The Cure zu wählen hatte. Für Conor allerdings kein Problem, er nimmt sogar a-ha oder Depeche Mode oder – Gott hilf uns - Hall & Oates, Hauptsache ist die Musik, und diesen Floh hat ihm der ältere Bruder Brendan ins Ohr gesetzt. Brendan hat sich die Haare wachsen lassen und zieht gern mal einen Joint durch, gibt auch zu, dass ihm das viele Gras womöglich etliches seiner Energie gekostet hat, und die hätte er eigentlich bitter nötig, um endlich rauszukommen aus der Alltagstristesse. Und die hat’s wahrlich in sich – Dad kriegt keine Aufträge mehr, Mom macht Kurzarbeit, die Ehe geht zügig den Bach runter, entsprechend fröhlich ist die Stimmung daheim, dann wird Conor eines Tages mitgeteilt, man könne das Geld für seine bisherige Schule nicht mehr aufbringen, und ruckzuck findet er sich bei den Christian Brothers in der Synge Street wieder, und das ist schon ein anderes Milieu. Conor hat von Anfang an einen schweren Stand, weil er sich die vorgeschriebenen schwarzen Schuhe nicht leisten kann und auch sonst nicht das Zeug zu haben scheint, um den ruppigen Jungs Paroli bieten zu können. Seine große Stärke aber ist, dass er einfach keine Angst hat. Nicht vor dem fiesen Schulleiter Father Baxter, nicht vor dem Psychopunkschläger, und auch nicht vor dem schönen Mädchen, das Tag für Tag auf der Treppe gegenüber der Schule steht, und das er eines Tages einfach anquatscht und ihr eine Rolle im Video seiner Band anbietet. Und da es diese Band noch gar nicht gibt, muss er halt eine gründen. Und das tut er auch, nennt sie kurzerhand Sing Street, und so geht’s los mit etwas ernsthafterem Musikmachen, plötzlich geht es um was, denn vor allem will er sich natürlich vor Raphina nicht blamieren. Angefeuert von Brendan, der daheim mithilfe ausgewählter LPs die Musikerziehung des Juniors vorantreibt, und motiviert durch die wachsende Begeisterung für das geheimnisvolle Mädchen, schreibt Conor Texte und entwickelt sie zusammen mit seinem Kumpel und Gitarristen Darren zu immer besseren Songs. Das erste Video wird gedreht, und obwohl Raphina älter ist als die Jungs und natürlich irgendwie schon viel weiter, hat sie weiterhin Interesse, weil da in ihr auch noch eine andere Seite ist, und die ist gar nicht so cool und erwachsen, wie sie immer tut, genau wie der noch coolere ältere Freund mit dem coolen Auto nicht von sehr langer Dauer ist und ihr geplanter Trip nach London unweigerlich ein Reinfall wird und sie bald wieder im alten Dublin aufschlägt. Conor setzt jetzt alles auf eine Karte. Er hat sich als Songschreiber verbessert, schmeißt sich furchtlos an Raphina ran und plant, mit ihr zusammen in Opas altem Motorboot über die irische See zu fahren, und in London ganz neu anzufangen. Brendan, der genau das selbst hatte tun wollen, und nun glücklich zusieht, wie sein jüngerer Bruder diesen Traum realisiert, unterstützt ihn, und nach einem Schulkonzert, dem ersten und einzigen mit der Band, das zum einen endgültig alle Fronten mit den herrschenden Autoritäten klärt, und zum anderen ein Bombenerfolg wird, fühlt er sich stark genug, um den Schritt zu wagen. Gewidmet ist dieser Film allen Brüdern überall. Schön. Brüder teilen einem auch die allerletzte Weisheit mit. Kein Mädchen kann einen Mann lieben, der Phil Collins hört…
Ich muss diesen Film einfach liebhaben, weil er in Irland spielt, weil‘s um Musik geht und weil’s ums Erwachsenwerden geht, um Freundschaft und Liebe und alles andere. John Carney macht daraus keine ganz große Oper, er ist aber auch um emotionale Effekte nicht verlegen, und er hat in „Once“ eindrucksvoll bewiesen, dass er mit ein wenig Musik ganz große Magie im kleinen Rahmen erzeugen kann. Die absolute Hingabe, der bedingungslose Glaube an die Sache, der auch Rückschläge, Zweifel, Peinlichkeiten überwinden hilft, treiben Conor und seine Band Sing Street voran, mitten durch alle Geschmacksentgleisungen hindurch (je nachdem, welche Band bei ihnen gerade obenan steht), unerschrocken gegen jeden Widerstand, seien es die Schulobrigkeiten oder die hämischen Mitschüler oder die verständnislosen Eltern oder wer oder was auch immer. Brendan impft ihm den Geist des Rock’n Roll ein, beschwört ihn, nicht aufzugeben, vor allem, sich selbst immer weiter entwickeln zu wollen, keine faulen Kompromisse zu machen – mit anderen Worten, genau das Leben zu leben, das er selbst nicht auf die Reihe gekriegt hat. Aus dem rotbäckigen, etwas nerdigen Schuljungen wird ein fast zorniger junger Mann, dessen Texte sich verändern, dessen Auftreten sich verändert, und der es tatsächlich schafft, entgegen aller Wahrscheinlichkeit ein Mädchen an sich zu binden, das normalerweise Lichtjahre entfernt von ihm in einem anderen Universum kreisen müsste. Sein stolzer Blick auf der stürmischen Harakirifahrt rüber nach Wales geht einem schon ans Herz, ebenso wie Carneys Art, mit Musik und Gefühl umzugehen, was natürlich auch mit der einen oder anderen wirklich schönen Komposition im Soundtrack zu tun hat – und damit meine ich definitiv nicht die Originalsongs aus der Zeit, denn die können mir bis auf wenige Ausnahmen sämtlich gestohlen bleiben, vor allem, wenn von der ersten Hälfte dieses trostlosen Musikjahrzehnts die Rede ist. Ich meine – Hall & Oates… (Okay, okay, es gab auch Joe Jackson und The Jam, um fair zu sein.)
Alles in allem ein wunderbarer Film, der, wie man so schön und richtig sagt, das Herz am richtigen Fleck hat. Die unbedingte Solidarität gehört den friedlichen Spinnern und Träumern, die einfach nur in Ruhe ihr Ding machen wollen, und die den Aggropunk, statt ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen, letztlich ausbremsen, indem sie ihn als Roadie anheuern. Wir verstehen, dass Irland in den 80ern ein genauso unwirtlicher, aussichtsloser Ort war wie ein- oder zweihundert Jahre zuvor, und dass die Flucht über die See noch immer der naheliegende Ausweg für viele war. Ein beklagenswerter Exodus, der dem Land viele ihrer produktivsten Geister raubte, und dennoch ein logischer, fast unausweichlicher Schritt für alle, die dem katholischen Mittelalter entwachsen waren. Mir jedenfalls hat das Ganze sehr viel Freude und ein leicht melancholisches Gefühl beschert, obwohl das schmierige Duran Duran-Video oder die geschniegelten Kemp-Brothers oder die bleichgetünchte Robert-Smith-Fresse zwischendurch für herzhafte Lachkrämpfe sorgten. Lachen heißt in diesem Falle ja auch Erleichterung: Gut, dasses vorbei ist… (31.5.)