Snowden von Oliver Stone. BRD/USA, 2016. Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Melissa Leo, Zachary Quinto, Tom Wilkinson, Rhys Ifans, Scott Eastwood, Ben Schnetzer, Joely Richardson, Nicolas Cage, Edward Snowden

   “Citizenfour” von Laura Poitras war für mich persönlich eine hauptsächlich anstrengende Erfahrung, aber wohl nur, weil er halt bis fast Mitternacht im Kino lief, also werde ich ihm Gerechtigkeit antun und ihn mir nochmal zu einer vernünftigen Sendezeit anschauen müssen. Tu ich gern, denn das Thema ist halt so spannend. „Snowden“ lief auch bis fast Mitternacht, doch wenn einer hundertvierzig Minuten so gestalten kann, dass man garantiert nicht wegnickert, dann ist es doch wohl unser aller Chefparanoiker und Lieblingswüterich Ollie Stone, von dem ich übrigens schon lange (genauer gesagt seit „W.“) nix Vernünftiges mehr gesehen habe.

   Diesmal dramatisiert er die Geschichte Edward Snowdens, doch tut er dies für seine Verhältnisse erstaunlich zurückhaltend und dezent, enthält sich bis auf das etwas arg melodramatische Ende fast durchgehend seiner gewohnt hitzigen Polemik, und siehe da, der Film ist dennoch spannend, aufregend und durchaus unterhaltsam, auch wenn einige Kritiker enttäuscht waren, weil er angeblich zu „brav“ ausgefallen sei. Aber vielleicht hat das auch mit Respekt vor der Person Snowdens zu tun, den Stone mehrmals traf und der dem Projekt schließlich zustimmte, sogar aktiv einstieg und eine Sequenz am Schluss übernahm, in der er über sein neues Leben erzählt und darüber, dass er dieses Leben mittlerweile angenommen hat und es paradoxerweise als freier empfindet, obwohl er noch immer in Russland festsitzt, weil Uncle Sam vor der Türschwelle lauert und nur darauf wartet, ihn endlich wegen Spionage einbuchten zu können. Dass die Person Snowdens ein handfestes Politikum und Machtspielchen im neuen Kalten Krieg geworden ist, spart Stone weitgehend aus, aber das wäre fast schon Stoff für einen ganz eigenen Film.

   Zentrum der Erzählung sind Snowdens Sitzungen mit Laura Poitras und den beiden Guardian-Journalisten Glenn Greenwald und Ewen MacAskill in einem Hotel in Hongkong. Snowden erzählt aus seinem Leben, der Film folgt ihm, beschreibt, wie er als aktiver Soldat untauglich wurde und auf diversen Wegen zur CIA und zur NSA kam und wie er dort Schritt für Schritt Karriere machte, bis ihn die zunehmende Einsicht in die monströsen Machenschaften der Security Agency dazu brachten, innerlich auszusteigen und einen Weg zu suchen, die Informationen über diese Machenschaften zu verbreiten und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Seine Beziehung zu Lindsay Mills kommt ebenfalls ausführlich zur Sprache, um eine Art privates Gegengewicht zu schaffen und zu verdeutlichen, welche Auswirkungen Snowdens Aktivitäten auf andere Menschen hatten. Die Rückblendenstruktur des Films ist durchaus konventionell, und viele Szenen mit Snowden und Mills habe ich persönlich als etwas überflüssig empfunden, aber gut, das Kino braucht sowas vermutlich, von wegen emotionaler Beteiligung und so, und wem das nicht gefällt, der greift halt auf „Citizenfour“ zurück. Aber in dieser Beziehung würde ich den Vorwurf, Stone habe sehr gediegen erzählt, fast noch gelten lassen. Sehr viel interessanter und spannender sind natürlich die Schilderungen aus Snowdens NSA-Karriere, die einmal mehr die USA als unkontrollierbaren Staat zeigen, der von Paranoikern und Verschwörungsfetischisten geführt wird, und Ollie Stone kann gerade diese Leute vermutlich so hinreißend porträtieren, weil er im Grunde ja selbst auch so einer ist, nur vielleicht auf der anderen Seite. Wir sehen ein System, in dem nach 9/11 jedes Mittel recht ist, um die sogenannte „nationale Sicherheit“ zu gewährleisten, wir sehen Leute, in deren Denken und Handeln sich all dies längst verselbständigt hat und die vorrangig fasziniert sind von ihrer eigenen Macht und den technischen Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, um buchstäblich alle Welt zu überwachen und auszuspionieren, denen einer abgeht, wenn sie auf Knopfdruck irgendwo am anderen Ende der Welt eine Bombe hochgehen lassen können, um vermeintliche Terroristen auszuradieren. Wir sehen gigantische unterirdische Kommandozentralen auf Hawaii, wo sich ein entfesselter technischer Apparat austobt, und allein der Gedanke an die Möglichkeiten, die dieser Apparat hat, und was geschehen könnte, wenn er einmal außer Kontrolle bzw. in die falschen Hände gerät, muss uns zwangsläufig um den Schlaf bringen. Und genau so ist es schließlich auch Snowden ergangen. Wichtig an seiner Persönlichkeit ist dabei, dass er in jeder Hinsicht Patriot ist, ein strammer Patriot sogar, der bei Demos niemals irgendwo was unterschreiben würde und dem linkes Gedankengut denkbar fern liegt, weshalb er mit seiner Freundin gelegentlich kollidiert. Er glaubt an die Notwendigkeit, sein Land verteidigen zu müssen, stimmt auch extremeren Maßnahmen zu, doch verfügt er im Gegensatz zu vielen – nicht allen - seiner Kollegen über einen ethischen Überbau, der eben nicht vereinbar ist mit dem, was er jahrelang erlebt, hört, sieht und auch selbst tun muss. Stone selbst ist auch so ein empörter, kritischer Patriot, weshalb er sich mit Snowden bestens identifizieren können müsste. Snowden betont immer wieder, dass er zu keinem Zeitpunkt die USA angreifen oder gefährden möchte. Er kann lediglich nicht mit den konsequenten, sozusagen strukturellen Verletzungen der Menschenrechte leben, die hier praktiziert werden. Und hier kommt eine zusätzliche Note in den Film und die hat mit der Amtsperiode Obamas zu tun und vielleicht auch mit Stones eigener Einstellung dazu. Unter George Dabbelju war alles erlaubt, aber das war auch klar, lag in der Person des Präsidenten und hat keinen überrascht. Obama aber hatte bei Amtsantritt zugesagt, dass sich vieles ändern werde, auch der Umgang mit Daten und Privatsphäre, nur ist eben dies wie so vieles andere auch nicht eingetreten, sondern CIA und NSA durften weiterhin nach Belieben schalten und walten, was Snowden bestürzt zur Kenntnis nahm, was wohl auch Oliver Stone verbittert haben dürfte. Obama erscheint hier, wenn auch im Hintergrund, so doch deutlich wahrnehmbar, als eine bittere Enttäuschung für all jene, die auf eine grundlegende Veränderung gehofft und ihn auch deswegen gewählt hatten. Gut, nun isser bald Geschichte, und in keinen seiner möglichen Nachfolger wird irgendjemand irgendwelche Hoffnungen à la „Yes, we can“ setzen, soviel ist mal klar…

   Stones Film ist dann am überzeugendsten, wenn er die Perspektive ein wenig öffnet und Gedanken wie eben jene oben beschriebenen anstößt. Auch das Ringen der Journalisten um eine zeitnahe Veröffentlichung der Story ist spannend, ein fieberhaftes, exzellent dargestelltes Kammerspiel in einem einzigen Hotelzimmer mit Verbindung zur Chefredakteurin des Guardian, die sich zunächst nicht traut, die Sache zu drucken, der eben auch ein paar Leute im Nacken sitzen, mit denen sie sich eigentlich nicht anzulegen wagt. Hier geht es, wenn auch verknappt dargestellt, natürlich auch um viel mehr, es geht um Abhängigkeiten, politischen und wirtschaftlichen Druck, es geht darum, was eine Zeitung zu befürchten hat, wenn sie so etwas publiziert. Die CIA hat sich seit jeher als allmächtigen Staat im Staate gesehen, hat diese Rolle aufgebaut und ausgefüllt, und wer sich mit ihr anlegt, muss unbedingt wissen, was er tut. Snowden selbst hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, hat lange sichtbar darum gerungen, wusste, dass sie tiefgreifende Auswirkungen auf seine Zukunft haben würde. Staatsfeind Nummer eins in den USA, vermutlich bis ans Ende seines Lebens, und immer darauf angewiesen, dass ihn irgendein obskurer Machthaber beherbergt. Auch Putin tut’s ja nicht, weil er Freiheit, Wahrheit und Offenheit so liebt, sondern nur, um den doofen Amis eins auszuwischen. So betrachtet hängt an dem Fall Snowden noch eine ganze Menge mehr, aber auch das kann in diesem einen Film unmöglich Raum haben, wäre mehr als genug Stoff für ein eigenes Projekt.

 

   Stone hat den Film dicht und spannend gestaltet, das kann er sowieso, hat hier und da seinen eigenen streitbaren Geist zur Geltung gebracht, was natürlich gut und richtig ist, denn wieso sonst sollte ich mir einen Film von ihm ansehen. Mir ist seine Form von politischem Kino allemal lieber, als gar kein politisches Kino, denn wer sonst in den Staaten macht sowas noch? Natürlich kriegen CIA, NSA und US-Regierung ordentlich eins auf die Mütze, nur ist mir eben von früher flammendere Polemik erinnerlich, und daran gemessen geht Stone diesmal wirklich recht moderat zu Werke. Dennoch wirkt die Geschichte, kommt ihre Dimension eindrucksvoll zur Geltung, nur dass die Schweinereien der Geheimdienste, nicht nur der CIA selbstverständlich, genauso weitergehen, daran besteht kein Zweifel, daran werden auch Snowden und seine Enthüllungen nichts geändert haben. (4.10.)