Suffragette von Sarah Gavron. England, 2015. Carey Mulligan, Helena Bonham-Carter, Ann-Marie Duff, Natalie Press, Romola Garai, Brendan Gleeson, Ben Wishaw, Samuel West, Meryl Streep
Das Beste kommt eigentlich im Nachspann – eine lange Liste mit Daten, die die Einführung des Wahlrechts für Frauen in unterschiedlichen Ländern markieren. Mehrmals geht da ein Raunen durchs Publikum, wenn man sich beispielsweise vergegenwärtigen muss, dass in Ländern wie Frankreich oder Italien die Frauen erst knapp vor bzw. sogar erst nach Kriegsende (die Rede ist natürlich vom Zweiten Weltkrieg…) das Wahlrecht erhielten, im Musterländle Schweiz gar erst 1971 – man stelle sich das vor! -, aber immerhin noch Jahrzehnte vor Kuwait, also kann man der Schweizern Rückständigkeit nur schlecht vorwerfen… Diese Zahlen sind vielleicht ganz hilfreich, um die ganze Absurdität der Sachlage nochmals deutlich zu machen – da dauert es vielfach bis tief ins 20. Jahrhundert, bis der Hälfte der Menschheit endlich ein aktives Mitentscheidungsrecht in politischen Fragen eingeräumt wird, so als seien die Frauen nicht mehr als dumme kleine Kinder, in deren Hände man unmöglich gewichtige Entscheidungen legen könne. Hinzu kommt, dass diesen Gesetzesänderungen sehr häufig langjähriger erbitterte Kämpfe vorausgegangen waren, und von einem dieser Kämpfe erzählt „Suffragette“, dessen Titel bereits ungefähr auf Ort und Zeit der Handlung hindeutet.
1912 in London – Maud schuftet wie ihre Mutter und wie tausende anderer Frauen in einer Wäscherei, schuftet seit sie ein Kind ist, schuftet für wenig Geld, lebt mit Mann und Kind in sehr einfachen Verhältnissen und muss sich zudem noch schädlichen Chemikalien und den unausgesetzten sexuellen Übergriffen ihres Chefs aussetzen. Eher zufällig gerät sie in Kontakt mit ein paar Frauen, die versuchen, einen wirksamen, organisierten Kampf für ihr Wahlrecht auf die Beine zu stellen. Sie nennen sich Suffragetten, ihre Ikone ist Emmeline Pankhurst, die immer nur kurz öffentlich auftreten und reden kann, da sie polizeilich gesucht wird, die aber wie auch die anderen Frauen bereit ist, Kopf und Kragen für die Sache zu riskieren. Ihnen gegenüber steht das Kartell der Macht, Politik, Wirtschaft, Exekutive, sämtlich natürlich Männer, die allmählich anfangen, die Aktionen der lästigen Weiber ernst zu nehmen und dementsprechend hart reagieren. Maud nimmt an einer ersten Versammlung teil und gehört bald zur Bewegung. Schaufenster werden eingeschmissen, Briefkästen hochgebombt, Telegrafenleitungen gekappt, Parolen erscheinen vielfach, sämtlich mit dem Ziel, der Sache der Suffragetten endlich mehr Öffentlichkeit zu verschaffen. Die Justiz geht kompromisslos gegen die Frauen vor, verhängt wiederholt Gefängnisstrafen. Maud ist zunehmend entschlossen, dass es sich für diese Sache wirklich zu kämpfen lohnt, doch sie muss einen bitteren Preis bezahlen, nämlich den Verlust ihrer Familie. Nach dem ersten Gefängnisaufenthalt wirft ihr Mann sie raus und verbietet ihr jeden Umgang mit dem kleinen Sohn. Nach dem zweiten Gefängnisaufenthalt gibt er das Kind zur Adoption frei, und Maud kann nichts dagegen tun. Trotz ihrer zunehmend verzweifelten Lage – sie hat praktisch kein festes Zuhause, schläft in einer Kirche, verliert ihren Job, hat keine Perspektive – und auch regelmäßiger emotionaler Tiefschläge bleibt sie dabei, nimmt an einem Bombenanschlag auf Lloyd Georges Sommerhaus teil und schließlich auch an einer geplanten Aktion beim großen Rennen in Ascot, wo der König zugegen ist und man sich endlich die erhoffte Publicity sichern will. Das geschieht dann auch, allerdings nur auf tragische Weise, denn einer der Suffragetten stürzt sich direkt vor der Königsloge auf die Rennbahn und wird durch die Kollision mit einem Rennpferd getötet. Wie wir aus dem Nachspann erfahren, sollte es weitere sechzehn Jahre dauern, bis 1928 also, bis die Frauen in England endlich das Wahlrecht zugesprochen bekamen.
Dies mag vielleicht in vielen Dingen ein recht konventioneller Film sein, doch ist es auch ein sehr eindrucksvoller und starker Film, der was zu sagen hat und dies mit viel emotionalem Engagement auch tut. Die notwendige Verquickung von historischem Hintergrund und einem fiktiven einzelnen Schicksal, das uns quasi als Einstieg in die Story dienen soll, ist meiner Meinung nach exzellent gelungen, Maud ist eine absolut glaubwürdige, repräsentative Frau ihrer Klasse und ihrer Zeit, was uns ihr kurzer Auftritt im Parlament vor dem Premierminister vor Augen führt. Ob nun in einer Wäscherei oder irgendeinem anderen industriellen Betrieb, Frauen dienten seit je als billige Arbeitskräfte, die bedenkenlos verheizt wurden, die ihre Kinder direkt in der Fabrik zur Welt brachten und sie praktisch gleich als zukünftige Arbeiter mitbrachten. Angemessene Bezahlung war ebenso utopisch wie rechtliche Gleichstellung, das heißt, sexueller Missbrauch wurde weder von den Frauen überhaupt angezeigt noch von den Männern als verurteilungswürdige Handlung betrachtet. In prägnanten Szenen wird deutlich, dass dieser ungeheuerliche Zustand bis ins letzte Jahrhundert hinein Bestand hatte und als allgemeine Normalität nicht ernsthaft in Frage gestellt wurde. Die Frustration, Wut und Demütigung der Frauen hatte also einen sehr langen Anlauf, die daraus erwachsende Energie kommt im Film sehr gut zur Geltung, und selbst wir in unserer heutigen ach so gleichberechtigten Zeit können uns leicht vorstellen, wozu diese entschlossenen Kämpferinnen letztlich imstande waren. Klar, dass längst nicht alle Frauen auf ihrer Seite waren oder auch nur Verständnis für sie hatten. Klar auch, dass die Männer in der großen Mehrzahl ablehnend, aggressiv, gewalttätig reagierten, so wie knüppelnde Polizisten oder Mauds Mann, der für die Sache seiner Frau nicht das geringste Verständnis aufzubringen bereit ist, sich lieber um seinen Ruf in der Wäscherei sorgt. Doch es gibt auch Zwischentöne: Der Apotheker beispielsweise, der seine Frau aktiv unterstützt, der Polizeibeamte, der zunächst ein hundertprozentiger Vertreter der Autorität ist, sich dann aber zunehmend Gedanken macht, und angesichts von Hungerstreiks und brutaler Zwangsernährung im Gefängnis seine Meinung zumindest ansatzweise revidiert.
So entsteht ein sehr vitales, komplexes Zeitbild, das wie gesagt filmisch oder dramaturgisch nicht allzu sehr vom Standard des period movies abweicht, aber was soll mich das kümmern, wenn ich hundert Minuten lang ein spannendes politisches und leider heute noch immer relevantes Thema so verarbeitet bekomme, dass ich nicht nur gern, sondern auch durchaus bewegt zuschaue. Carey Mulligan besticht mit ihrer wie immer sehr gefühlvollen und dennoch unaufdringlichen Spielweise, und die Damen Duff, Bonham Carter und Garai bieten kongeniale Unterstützung. Profilierte Herren wie Gleeson oder Wishaw sorgen auf die eine oder andere Art dafür, dass auch die Gegenseite starke Persönlichkeiten zu bieten hat. Wo die Sympathien und Gefühle der Autorin und der Regisseurin liegen, ist unzweifelhaft, und das gefällt mir schon mal. Weshalb die Suffragetten erst einhundert Jahre auf die längst überfällige, explizite Würdigung im Kino warten mussten, mag an anderer Stelle beantwortet werden, ich bin für den Moment mal froh, dass es den Film überhaupt gibt und gestehe gern, dass ich zu diesem Thema Nachhilfeunterricht gebrauchen konnte. (4.2.)