The Danish Girl von Tom Hooper. England/USA, 2015. Eddie Redmayne, Alicia Vikander, Mathias Schoenaerts, Ben Wishaw, Amber Heard, Sebastian Koch

   Die Geschichte des dänischen Künstlerpaares Einar und Gerda Wegener, das in Kopenhagen lebt und arbeitet, er als Landschaftsmaler, sie als Porträtmalerin, er mit einigem Erfolg, sie mit weniger. Ein scheinbar belangloser Moment setzt das Drama in Gang: Sie bittet ihn, aushilfsweise als  „weibliches“ Modell einzuspringen und Damenstrümpfe und –schuhe überzuziehen, damit sie ein Bild vollenden kann. Ungewollt setzt sie damit etwas in Gang, das eigentlich schon viel früher hätte passieren müssen, nämlich die Entwicklung des Mannes Einar hin zu einer Frau. Das Modell, das zunächst spielerisch und scherzhaft Lili genannt wird, entwickelt sich zur realen Figur, Einar tritt mehr und mehr in den Hintergrund, er ist nun entschlossen, als Frau weiter zu leben. Gegen ihre Gefühle unterstützt ihn Gerda darin, sucht gemeinsam mit ihm verschiedene Ärzte auf, die sämtlich hilflos reagieren und alle möglichen Radikaltherapien an ihm ausprobieren wollen, weil er zu dieser Zeit (wir befinden uns in den späten 20ern!) als wahlweise anormal, pervers oder schizophren eingestuft wird. Erst ein deutscher Arzt aus Dresden begegnet ihm ohne Vorurteile und erwähnt die Möglichkeit einer Operation zur Geschlechtsangleichung, die bis zu diesem Zeitpunkt allerdings noch niemals durchgeführt wurde. Lili drängt auf diese Operation, die aus mehreren Eingriffen besteht und höchst riskant ist. Gerda begleitet sie jeweils nach Dresden, doch nach einem der Eingriffe stirbt Lili im Jahre 1931.

   Wenn man ein bisschen bei Wikipedia kramt, kriegt man sehr bald mit, dass sich „The Danish Girl“ ziemliche Freiheiten mit den Tatsachen erlaubt hat. Gerda war lesbisch oder wenigstens bisexuell, hat vornehmlich erotische Zeichnungen angefertigt, die Ehe der beiden wurde schon vor den Operationen vom dänischen König annulliert, und zu Zeitpunkt von Lilis Tod lebte Gerda an der Seite ihres neuen Ehemannes in Marokko. Würde man also den Wahrheitsgehalt dieses Films als Kriterium für seine Bewertung heranziehen, so könnte man mit Fug und Recht meckern, er habe die doch recht sperrigen Hauptpersonen im Dienste einer gefälligeren Kinorealität zurechtgebügelt und geglättet. Mir persönlich ist das aber in diesem Falle piepegal, denn dieser Film ist verdammt großartig! Eine der absolut schönsten Liebesgeschichten seit ich mich erinnern kann und das überwältigend gefühlvolle Porträt eines Mannes, der schlicht und ergreifend im falschen Köper lebt und diesen Zustand mit der Unterstützung seiner Frau zu beenden versucht. Eine Pionierin auf diesem Gebiet auch noch, aber davon hat Lili nichts mehr gehabt. Und natürlich heutzutage gesellschaftlich ein hochsensibles Gebiet, denn alle Gruppierungen werden den Film peinlichst genau darauf abklopfen, ob er auch von den korrekten Leuten und mit der korrekten Haltung gemacht wurde. Zuallererst, und das ist durchaus deutlich, wurde er gemacht, um möglichst breite Kreise anzusprechen. Tom Hooper geht da keine Risiken ein, lässt Alexandre Desplat seine gewohnt süßliche Musik über fast jede Szene gießen, findet erlesen, schöne Bilder zwischen Kopenhagen und Paris, tut also vieles, was mich unter anderen Umständen sicherlich sehr gestört hätte. Aber diesmal nicht.

   Er nimmt sich Zeit für die Milieus: Die etwas hölzerne Kopenhagener Künstlerszene, in der Einars gepflegte aber auch recht konventionelle Landschaftsbilder aus seiner Heimat Vejle mehr Erfolg haben als ihre Porträts, in der sie sich wohler fühlt als er, der zurückgezogen und menschenscheu lieber daheim bleibt und Großveranstaltungen meidet. Aber die Ehe ist noch intakt, es gibt Nähe, es gibt Spaß, es gibt Sex, es gibt nur keine Kinder. Mit dem oben erwähnten für sich genommen bedeutungslosen Ereignis gerät die Welt der beiden langsam aber unaufhaltsam ins Rutschen, und dieser Prozess wird meiner Meinung nach meisterhaft dargestellt, ist die absolute Attraktion des Films. Einar spürt sofort, dass die Frauenkleider etwas in ihm auslösen, nur ist er zunächst selbst verunsichert, verängstigt, kann die Gefühle, die in ihm hochkommen, selbst noch nicht greifen. Für sie ist es nur ein Spiel, ein höchst lukratives dazu, denn plötzlich sind ihre Porträts hip, sind gefragt, haben das gewisse Etwas, das sie interessant macht und ihr schließlich eine Einladung nach Paris beschert. Das Leben dort ist völlig anders, laut, vital, fordernd, und während Gerda sich in ihrem Ruhm gern sonnen möchte, zieht sich Einar immer weiter zurück. Er hat sich auf den Weg zu Lili gemacht und ist nun dabei, diesen Prozess zu begreifen und ihn bewusst zu leben. In Kopenhagen hatte er mit einen homosexuellen Maler angebandelt, der die Situation noch missverstanden hatte, genau wie Gerda. Einar/Lili und Gerda sind sich nahe, sie lieben sich aufrichtig, doch als Ehepartner sind sie schon jetzt füreinander verloren, und während sie noch um ihren Mann kämpft und natürlich die Körperlichkeit vermisst, hat er verstanden, dass es ihn bald nicht mehr geben wird, dass Lili immer in ihm war und nun im Begriff ist, herauszukommen, und erst wenn es soweit ist, ist er/sie ganz bei sich. Einar trägt nun kaum noch Männerkleider, manchmal ihr zuliebe, doch fühlt er sich in dieser Haut nicht mehr zuhause. Er sehnt sich nicht nur danach, wie eine Frau auszusehen, sondern vor allem, wie eine Frau zu empfinden, wie eine Frau angesehen und behandelt zu werden. Es gibt Momente, da funktioniert das gut, da ist auch Gerda ganz auf seiner Seite, stellt ihre eigenen Bedürfnisse zurück, unterstützt ihn in der Verwandlung. Es gibt aber auch Momente, da versucht sie zu kämpfen, wirft ihm Egoismus vor, kann und will ihre Bedürfnisse nicht vergessen. Hans, ein Jugendfreund Einars aus Vejle, fungiert als Blitzableiter, wird aber auch zum Begleiter und Unterstützer der beiden. Einar muss Gerda begreiflich machen, dass es ihn nicht mehr geben wird,  dass sich ihr gemeinsames Leben grundlegend ändern wird, dass jeder einzelne von ihnen für sein/ihr eigenes Leben sorgen muss, das es von nun an nur noch Lili geben wird. Dieses lange Ringen zwischen den beiden ist durchaus alles andere als edle Harmonie und heroische Opferbereitschaft, beide haben sehr hart zu kämpfen, mit sich und dem anderen, in erster Linie aber mit sich. Auch Lili hat zwischendurch Augenblicke der Angst, der Trauer, denn auch sie wird etwa verlieren, doch ist ihr stets klar, dass sie etwas Entscheidendes gewinnen wird, nämlich ihre Identität, während bei Gerda eher der Verlust auf der Rechnung steht, denn ihr Ehemann ist fort, und als Freunde wird jede ihren eigenen Weg gehen. Deshalb unternehmen sie verschiedene Anläufe, sich ärztliche Hilfe zu beschaffen, was durchgehend als groteskes Desaster endet: Der eine will ihm Nadeln ins Hirn stechen, der andere seine Geschlechtsteile bestrahlen, der dritte kommt mit der Zwangsjacke, für alle aber ist klar: Einar ist krank, muss dringend geheilt, sprich wieder zu einem richtigen gesunden Mann gemacht werden. Diese Erfahrung, so beängstigend sie einerseits auch ist, schweißt die beiden andererseits enger zusammen, überzeugt auch Gerda endgültig davon, dass es keine andere Möglichkeit gibt, als Einar auf dem Weg zu Lili zu unterstützen, egal um welchen Preis. Ob sie es schaffen werden, von der Mann-Frau-Beziehung auf eine Frau-Frau-Beziehung umzustellen, könnte man vielleicht stark vermuten, kommt aber leider nicht mehr zum Tragen.

   Das hört sich nach ganz dick aufgetragenem Melodrama an, und trotz der auf schön gestylten Bilder und der etwas penetranten Musik habe ich den Film keineswegs so empfunden. Hooper hält die konventionelle Fassade hoch, bleibt aber sehr nahe bei den Hauptpersonen, begleitet ihren Weg aufmerksam, einfühlsam, sehr detailliert, lässt auch die schwierigen, konfliktreichen Momente gelten, macht nur kein großes Fass deswegen auf, schildert sie als ganz normale Begleitumstände eines dramatischen, schwierigen Prozesses, und diesen Prozess stellt er konsequent in den Mittelpunkt, meidet irgendwelche soziopolitische Diskurse über Transgender (gottseidank!), fokussiert auf Lili und Gerda und höchstens ihre engste Umgebung. Er kann sich das leisten, weil Eddie Redmayne und Alicia Vikander einfach fantastisch sind, ihren Rollen so viel Kraft und Tiefe geben, dass es eigentlich niemanden unberührt lassen kann. Gerade die inneren Vorgänge, die Kämpfe, das Suchen, die Zweifel, die Verunsicherung, auch die Ängste verkörpern sie mit einer Intensität, die ich zumindest im Rahmen eines solchen Films lange nicht gesehen habe. Redmayne macht körperlich spürbar, wie Einar zu dem Menschen findet, der er immer schon war, die Gestik, die Körperhaltung, macht aber auch spürbar, wie herausfordernd und unendlich schwer dieser Weg ist. Alicia Vikander macht ihrerseits die widersprüchlichen Empfindungen spürbar, die Gerda umtreiben, ihre Liebe, ihre Solidarität, ihre Entschlossenheit, aber auch die Trauer, die Sehnsucht, die Einsamkeit, die sie als Frau empfindet, der der Mann und Liebhaber abhandengekommen ist. Die rein körperliche Dimension wird offen herausgearbeitet und schwingt immer mit, ohne stets und ständig bebildert werden zu müssen. Alles liegt im Zusammenspiel der beiden, und das ist einfach umwerfend.

 

   Also: Fuck the cool cats, fuck the feuilleton, fuck the facts, „The Danish Girl“ ist großes Kino, großes Schauspielerkino, das mich zwei volle Stunden lang vollkommen gefangen genommen und fasziniert hat. Was will ich mehr? (9.1.)