The Revenant (Der Rückkehrer) von Alejandro González Iñárritu. USA, 2015. Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson, Will Poulter, Forrest Goodluck, Paul Anderson, Melaw Nakehk’o
Noch ’n Western, noch ‘ne Rachestory, nur diesmal aus einem noch viel wilderen und früheren Westen und viel weiter nördlich, soll heißen: Das Land ist noch weitgehend unbesiedelt in den entlegeneren Regionen, die Trapper und die Uniformierten bilden die Vorhut der sogenannten Zivilisation, die Ureinwohner werden entweder in dubiosen Geschäften über den Tisch gezogen oder gleich abgeschlachtet, und ein jeder nimmt sich, was er begehrt, Gold, Silber, Felle, Indianerfrauen. Ob sie Französisch oder Englisch sprechen, macht keinen Unterschied, jedenfalls nicht für die Indianer, die von allen Seiten gleich beraubt, verdrängt, betrogen, ermordet werden. Dann gibt es da die Weißen, die zwischen den Kulturen stehen, die sich beispielsweise eine indianische Frau genommen und sich einem Indianerstamm angeschlossen haben, die trotzdem nicht richtig zu den Indianern gehören, zu ihren weißen Leuten jedoch auch nicht mehr gehören wollen, zum großen Teil, weil sie deren Vorgehen gegen die Indianer ablehnen.
Einer davon ist Glass, der mit einer Pawnee-Frau verheiratet war, die dann wie alle anderen aus dem Dorf von Soldaten massakriert wurde. Den gemeinsamen Sohn Hawk konnte er retten, und der begleitet ihn nun auf seinen Wegen. Er führt eine Gruppe von Fellhändlern in das nächstgelegene Fort, dort ein Indianerangriff verändert die Situation. Glass und ein kleiner Rest versuchen, sich über die Berge zum Fort durchzuschlagen, doch als Glass von einem Bären angegriffen und schwer verwundet wird, muss er zurückgelassen werden, damit ein Teil der Gruppe zum Fort gelangen und Hilfe holen kann. Mr. Fitzgerald aber, der Glass und seinem Sohn immer äußerst feindselig begegnet war, ist einer derjenigen, die ihn gegen Bezahlung bewachen sollen. Erwartungsgemäß hält er sich nicht an die Verabredung, tötet Hawk, wirft den halbtoten Glass in eine Grube und macht sich zusammen mit dem jungen Jim, der tatenlos zusehen musste, auf den Weg zum Fort. Glass schafft es aber gegen alle Wahrscheinlichkeit, wieder zu Kräften zu kommen und sich durch die verschneite Wildnis zum Fort durchzuschlagen, wo er Fitzgerald stellen und töten will. Zwischendurch gibt es noch etliche prekäre Situationen zu überstehen, bis es zum Showdown kommt.
Und der hat’s nochmal in sich: Mit Axt und Messer gehen die Herren aufeinander los, hacken und stechen mit besessener Wut aufeinander ein, der Schnee färbt sich alsbald so rot wie beim Robbenschlachten, an das ich unweigerlich denken musste, und die anrückenden Indianer erledigen den Rest. Glass bleibt übrig, wiederum schwer verletzt, doch im Abspann hören wir ihn noch atmen, sodass eine kleine Möglichkeit besteht, dass er erneut davongekommen ist. Aber schon zuvor hat er heftig einstecken müssen – selten sah man einen Helden im Film so intensiv und drastisch leiden wie hier. Man könnte den Film unter Umständen als eine Hommage an den menschlichen Überlebenswillen interpretieren, der ihm immer wieder ermöglicht, sozusagen Übermenschliches zu leisten und zu ertragen. DiCaprio entwickelt hier eine physische Präsenz, die schon beeindruckt und die man von ihm in dieser Form noch nicht kennengelernt hat, obwohl er ja schon die eine oder andere handfeste Rolle hatte. Er zugleich der einzige, der ein wenig Tiefenzeichnung erfahren hat, in dessen Inneres wir wenigstens hier und da mal Einsicht haben. Die Träume und Visionen von der verlorenen Familie, die Trauer um die Frau und ihren Stamm, später dann auch um den Sohn, die Erinnerungen an Momente und Begegnungen und an ihre Weisheiten, die ihn leiten, die ihm auch in aussichtslosen Momenten helfen, weiter zu kämpfen, nicht aufzugeben, zu atmen und nicht zu sterben. Abgesehen davon könnte man dem Film sicher zu recht eine gewisse Oberflächlichkeit vorwerfen, was die Charaktere angeht, denn er spielt sich eigentlich fast nur auf physischer Ebene ab. Das bedeutet auch, dass so tolle Schauspieler wie Hardy oder Gleeson wenig mehr zu tun haben, als allein ihre markante Physiognomie zur Geltung zu bringen. Das hat mich in diesem Fall aber gar nicht mal so gestört, denn diese physische Ebene wird von Herrn Iñárritu dermaßen eindrucksvoll und intensiv ausgefüllt, dass ich über zweieinhalb Stunden durchweg gefangen und bewegt war. Die grausame Wildheit des noch nicht erschlossenen Landes, in dem wirklich jeder einzelne für sich kämpft und handelt, wurde selten so plastisch zum Ausdruck gebracht wie in diesem Film. Die verschiedenen Indianerstämme bekämpfen sich auch gegenseitig mit rücksichtsloser Brutalität, viel schlimmer aber ist natürlich die Brutalität der Weißen, ebenso ihr Zynismus, ihre Bigotterie. Sie rauben, morden, plündern, brennen nieder, vergewaltigen, und stellen sich andererseits hin und wollen den „Wilden“ was von „Zivilisation“ erzählen. Sie behandeln die Indianer verächtlich wie Untermenschen, sind aber zumeist selbst in jeder Hinsicht unterstes Niveau. Tja – wie sagte ich schon im Zusammenhang mit „Jane got a gun“ – soooo viel hat sich eigentlich gar nicht verändert…
Ein Film auf jeden Fall für die große Leinwand – die grandiosen Landschaftsszenen, die wechselnden Stimmungen, die Naturgeräusche, die Farben, Lichter, all das wirkt äußerst stark und faszinierend. Die karge Story wird mit so viel Wucht und schmerzhafter Intensität erzählt, dass zumindest mir die Länge des Films zu keiner Zeit bewusst war. Extrem kraftvolles, düsteres, archaisches Männerkino, von einem, der zwar schon bessere Filme gemacht („21 Gramm“ oder „Babel“ würde ich auf jeden Fall deutlich vorziehen), der aber wieder nachdrücklich bewiesen hat, dass er ein leidenschaftlicher und zugleich vollkommen eigenständiger Filmemacher ist, der bislang noch nie unter seinem durchweg hohen Niveau geblieben ist. (13.1.)