Under sandet (Unter dem Sand) von Martin Zandvliet. Dänemark/BRD, 2015. Roland Møller, Mikkel Boe Følsgaard, Louis Hofmann, Joel Basman, Oskar Bökelmann, Emil Belton, Oskar Belton, Leon Seidel, Laura Bro

   Wenn die lieben Deutschen Jahr für Jahr zu Hunderttausenden Urlaub an der dänischen Westküste machen und sich an den endlosen Sandstränden und lieblichen Dünenlandschaften dahinter erfreuen, ahnen sie vermutlich nicht, dass noch bei Kriegsende sage und schreibe zwei Millionen Minen unter diesem Sand lagen - verbuddelt von ihren verehrten Vorfahren als Sicherung gegen eine vermeintliche Invasion von Westen. Direkt nach Kriegsende nun ging man daran, die Küste zu säubern, sprich all die mörderischen Minen wieder auszubuddeln und zu entschärfen. Zu diesem Zweck wurden deutsche Kriegsgefangene als Räumkommando auf ganzer Linie eingesetzt, mehr als zweitausend an der Zahl, wovon beinahe die Hälfte ums Leben kam oder verstümmelt wurde. Viele von ihnen waren noch Kinder, aus den letzten Monaten, als alles, was eine Waffe halten konnte, als Kanonenfutter verheizt wurde. Dieser Film erzählt die Geschichte einer dieser Einheiten, die unter dem Kommando des dänischen Feldwebels Carl einen Strandabschnitt von mehreren Tausend Minen säubern soll. Vierzehn Jungs treten ihren Dienst an, nur vier werden überleben, und als sie entgegen des ihnen gegebenen Versprechens erneut zum Minenräumen verdonnert werden sollen, organisiert der Feldwebel, der in erbittertem Streit mit seinem Vorgesetzten lag, ihre Flucht und schickt sie schließlich über die Grenze nach Deutschland.

   Eine wenig bekannte Geschichte aus dem Krieg, keine schöne Geschichte. Zunächst mal sind Minen meiner Meinung nach bei all der Barbarei und Grausamkeit eine der barbarischsten und grausamsten Kriegswaffen, und der Brauch, Menschen in die Minenfelder zu schicken, ist in allen Ländern weit verbreitet, der Gipfel menschlicher Barbarei. Bei allem Abwägen und Differenzieren, das in diesem Film angesagt ist, bleibt natürlich als unumstößlicher Fakt eins unbezweifelbar: Auslöser für all dies waren die Deutschen, in diesem Fall mit ihrem wahnhaften und schwachsinnigen Vorhaben, eine ganze Küste vollständig zu verminen. Dennoch werden einige Dänen diesen Film sicherlich nicht gern gesehen haben. Die einen, weil er dänische Grausamkeit, dänische Rache, dänischen Hass ganz offen zeigt. Die anderen, weil die Wehrmachtssoldaten plötzlich die Opfer sind, die gleichen Soldaten also, die Dänemark fünf lange Jahre besetzt, unterjocht, terrorisiert hatten und sich eigentlich ganz und gar nicht als Opfer eignen. Der Film aber lässt uns keine Wahl, zwingt uns geradezu, sie als solche zu sehen: Erschöpfte, ausgehungerte, geschlagene Männer und Jungs, die noch die gleiche Uniform tragen die jene Wehrmacht, die in weiten Teilen der Europas maßloses Grauen anrichtete, die gleichen, die möglicherweise vor Monaten noch Dänen drangsalierten und misshandelten, sind nun ihrerseits Wut, Drangsalierungen und Misshandlungen ausgesetzt. Während des Zuschauens frage ich mich: Soll ich nun Mitleid für sie empfinden? Die spontane Neigung geht natürlich gerade in diese Richtung und ist vermutlich die normalste, menschlichste Reaktion, und auch dazu nötigt uns dieser Film unwiderstehlich. So verständlich Rache auch ist, so furchtbar die vergangenen fünf Jahre für die Dänen gewesen sein mögen, so entscheidend wichtig ist was für die Zukunft, aus dem Kreislauf auszusteigen und die Gegner jenseits der Uniform als das zu sehen, was sie eben auch sind, nämlich ganz normale Menschen. Das ist nicht leicht, das wird auch uns hier nicht leichtgemacht, und der Film zeigt immer wieder Begebenheiten, in denen die Dänen ganz offensichtlich werde dazu in der Lage noch dazu bereit sind. Der Befehl, die Kriegsgefangenen zu Minenräumen zu verwenden, steht an erster Stelle, denn wer immer diese Idee hatte, wusste ganz genau, wie viele Opfer das Unternehmen fordern würde, nahm also massenhaftes Sterben nicht nur billigend in Kauf, sondern sah es wohl als einen gerechtfertigten Akt der Vergeltung. Man kann sich den Horror kaum vorstellen, zentimeterweise über den Sand zu robben, darin herumzustochern auf der Suche nach dem grausamen Mordwerkzeug und es anaschließend noch mit ruhiger Hand entschärfen zu müssen – einige dieser Szenen sind derart schwer erträglich, dass ich streckenweise tatsächlich nicht hinsehen mochte, nur auf die unvermeidliche Detonation wartete. Ebbe, der befehlshabende Leutnant vor Ort hat damit kein Problem, der Feldwebel Carl anfangs auch nicht, auch er lässt zunächst seinen Zorn ungefiltert an den Jungs aus, schlägt sie, brüllt ihnen seine Verachtung mitten ins Gesicht, lässt sie hungern, doch nach und nach verändert sich sein Verhältnis zu ihnen, da er täglich mit ihnen lebt und sie allmählich dann doch als Menschen wahrzunehmen beginnt. Natürlich besteht auch er darauf, dass die Mission vollendet wird, egal wie viele Opfer sie kostet, doch wenigstens danach will er sich an das Versprechen halten, die Überlebenden nach Hause zu entlassen, anders als der Leutnant, der sie gleichgültig an den nächsten mörderischen Küstenabschnitt verschiebt. Die beiden Männer mögen in ihrer Gegenüberstellung ein wenig schematisch sein, allzu deutlich Instrumentarium der Argumentation des Autor/Regisseurs, doch geht es in dieser Argumentation um so elementare humanistische Werte, dass es ruhig ein wenig überdeutlich sein darf, finde ich. Es geht um die Frage nach dem Miteinander als Menschen, um die Möglichkeit von Vergebung und Neuanfang, nur klingt das in diesem Film längst nicht so pathetisch wie in meinen schwülstigen Worten. Im Gegenteil, die Story entwickelt sich genau so natürlich und folgerichtig wie die Beziehung Carls zu den Jungs, die nach und nach an Profil gewinnen, die gezeigt werden als ganz normale Jungs, die von ihrer Zukunft träumen, von einem Mädchen, einem guten Essen, oder auch einem profitablen Job im Wiederaufbau des Trümmerlandes. Die Vergangenheit ist kein Thema, Schuld ist kein Thema, wir sehen und hören praktisch hier im Kleinen schon, wie es dann im Großen in der neu gegründeten BRD zuging und verstehen annähernd, wie das Wirtschaftswunderländle funktionieren konnte. Aber das nur nebenbei, das hat hier im Film überhaupt keine Priorität, fiel mir lediglich in den Gesprächen der Jungs untereinander auf. Priorität haben ganz andere Dinge, und die kommen hier sehr eindrucksvoll und stark zur Sprache. Leben und Tod, Zukunft und Vergangenheit, Neuanfang oder Vergeltung. Der Film traut sich, die siegreichen Alliierten mal nicht so gut wegkommen zu lassen, zeigt uns eine dänische Bauersfrau, die sich gehässig freut, als die Jungs aus Not mit Rattengift versuchtes Tierfutter kauen, oder einen Trupp britischer Soldaten, die den Jungs äußerst übel mitspielen, bevor Carl sie vertreiben kann, was ihm wiederum hässliche Sprüche einbringt. Und die ganze Zeit denke ich auf der anderen Schiene daran, was deutsche Soldaten ihrerseits ihren Opfern während des Krieges angetan haben und frage mich, ob mir diese Jungs tatsächlich leidtun sollen oder nicht. Diesen Zwiespalt kann ich bis zuletzt nicht recht auflösen, doch eine der Stärken des Films ist es, dass er ich zwingt, mich damit auseinanderzusetzen.

 

   Künstlerisch finde ich ihn außerordentlich eindrucksvoll, teilweise von atemloser Spannung, grandios fotografiert, vor allem grandios gespielt. Die Jungs sind sowohl als Gruppe als auch einzeln für sich sehr stark, und Roland Møller liefert als Carl wirklich eine glänzende Vorstellung, ein zugleich sehr zurückhaltendes, dezentes, und doch kraftvolles, eindringliches Porträt eines Mannes, der lernt, seinen Hass zu überwinden, der gleichermaßen spürt, dass dieser Hass ihn selbst als Menschen aushält, reduziert, beherrscht. Im Gegensatz zu dem äußerlich sehr kühlen, glatten Ebbe ist er emotionaler, lässt diese Gefühle schließlich auch an sich heran, fühlt sich auch seinem Versprechen verpflichtet, statt die Jungs einfach in den Tod zu schicken. Dies ist der zweite in einer aktuell sehr beachtlichen Reihe von dänischen Filmen, und ein erstes Highlight, ein wirklich herausragendes, sehr bewegendes Kriegsdrama, und vielleicht denkt man ja beim nächsten Dänemarkurlaub mal darüber nach, was sich vor mehr als siebzig Jahren an diesen Stränden abspielte. (11.4.)