Valley of love von Guillaume Nicloux. Frankreich, 2015. Isabelle Huppert, Gérard Depardieu

   So wird aus dem Tal des Todes plötzlich das Tal der Liebe, obwohl es sooo weit mit der Liebe hier auch nicht bestellt ist. Der Selbstmord ihres gemeinsamen Sohnes und zwei Briefe, die er jeweils an beide schrieb, führt das längst getrennte Paar nach Kalifornien. Der in den Briefen geäußerte letzte Wille besteht darin, dass die beiden eine Woche zusammen dort verbringen und sieben verschiedene Orte aufsuchen sollen. An einem dieser Orte werde er sie dann treffen. Während Isabelle von Anfang an bereit ist, auf jeden Wunsch rückhaltlos einzugehen, verhält sich Gérard skeptisch, ablehnend, will auf jeden Fall vorzeitig abreisen, da er krebskrank ist und zuhause einen wichtigen Untersuchungstermin hat. Die beiden zanken und erinnern sich, kommen sich auch ein wenig näher. Schließlich hat sie eine erste Begegnung mit einem Mann, der sie angeblich an den Knöcheln gepackt hat und anschließend verschwunden ist. Obwohl sie ihm rote Hautverfärbungen an beiden Knöcheln zeigt, glaubt Gérard ihr diese Geschichte nicht. Bis ihm tags darauf im Mosaic Canyon ebenfalls ein Mann begegnet, der seine Hände ergreift. Er behauptet, es sei ihr Sohn gewesen. Sie ist in der Hitze zurückgeblieben und außer sich, dass er sie nicht gerufen hat. Er reist zunächst ab, kommt aber abends nochmal zurück in das Wüstenresort, um ihr rote Hautmahle an beiden Händen zu zeigen.

   Ein reizvoll mystischer Abschluss eines Films, der ansonsten vor allem vor Hitze flimmert, die magische Chemie zweier eingespielter Stars vorführt und inhaltlich alles in allem ein bisschen an der Oberfläche bleibt, obwohl sich hier und da Einstiegsmöglichkeiten in die Tiefe eröffnen. Das betrifft vor allem die Beziehungsebene des Ex-Paares, die sich schon, wenn auch im Kleinen, ein wenig bewegt. Die anfängliche Reserve wird zwischendurch immer mal fallengelassen zugunsten offener Zickerei, gegenseitiger Vorhaltungen, aber auch Momente der Nähe oder sogar Zärtlichkeit, auch wenn daraus dann nichts weiter wird. Wir haben es hier mit zwei eigenwilligen Egos zu tun, die sich offenkundig schwer mit Beziehungen tun. Nicht nur ist ihre gescheitert, sondern auch die jeweilig darauf folgenden. Sowohl Isabelle als auch Gérard haben neue Familien gegründet, doch lebt Gérard bereits wieder solo, und Isabelle steht kurz vor der Trennung. Auf seine Frage nach dem Grund erklärt sie lapidar, so sei halt das Leben. In diesem kurzen Satz liegt möglicherweise mehr als vages Bedauern, und er erinnert uns nachdrücklich daran, das Scheitern immer eine Sache beider Parteien ist. So geht das auch bei Isabelle und Gérard – nie kämen wir Zuschauer auf die Idee, einen der beiden allein verantwortlich zu machen für den Bruch oder für die Entfremdung von ihrem Sohn, auch Guillaume Nicloux enthält sich jeglicher Wertung, was in diesem Fall sehr angenehm ist. Stattdessen lässt er beiden grandios aufeinander reagierenden und eingespielten Herrschaften amüsante Spielchen mit ihrem Image spielen und sogar ein paar private Daten einbeziehen, sodass man nie so ganz sicher ist, wann sie hier eine Rolle spielen und wann sich selbst. Depardieu stellt seine furchteinflößende Körpermasse mit der gleichen Nonchalance zur Schau wie die Huppert ihre gewohnt frappierende Fragilität, und allein der gewaltige Kontrast ihrer äußeren Erscheinungen sorgt schon für Reaktionen im Publikum. Dabei sind die beiden weit entfernt von billigem Exhibitionismus oder anderen Albernheiten, wie gewohnt integrieren sie sich total in das Konzept des Regisseurs. Das schwächelt für meinen Geschmack einzig, wenn es um die Themen Tod und Trauer geht. Hier bleiben sowohl die Gefühle als auch die gesamte Person des Sohnes inklusive ihrer Bedeutung für Isabelle und Gérard ein wenig zu diffus. Man erfährt nur umrissweise ein wenig aus dessen Leben, kann auch nicht recht ergründen, weshalb vor allem Isabelle zu ihm jahrelang überhaupt keinen Kontakt hatte, während Gérard offenbar wenigstens von Zeit zu Zeit etwas von ihm gehört hat. Rein äußerlich sieht es so aus, als trauere sie intensiver, sie klammert sich auch an den Gedanken, er könne ihnen tatsächlich irgendwo in der Wüste erscheinen, letztlich jedoch bleibt es unseren eigene Spekulationen überlassen, das Verhältnis der drei zueinander zu interpretieren und zu erklären. Ist im Prinzip auch nicht verkehrt, nur hat mir persönlich ein wenig Input gefehlt an dieser Stelle. So gesehen ist die Wahl von Charles Ives‘ „The unanswered question“ als wiederholt auftretendes musikalisches Leitmotiv ziemlich konsequent (ästhetisch außerdem sehr attraktiv).

 

   Abgesehen von den beiden Hauptpersonen, die den Film ganz locker alleine tragen, imponieren natürlich die Bilder aus dem Death Valley, eine zugleich fantastisch schöne und auch mörderische Landschaft, die nicht nur dem massigen Gérard zusetzt sondern auch der zarten Isabelle, die dafür sorgt, dass die beiden schon durch die äußeren Umstände einer Art Dauerstress ausgesetzt sind, der dann wiederum ihre Empfänglichkeit für spirituelle Erfahrungen befördern könnte. Nicloux mischt sehr effektiv eindrucksvolle Panoramaaufnahmen mit intimen, nahen Momenten, lässt somit die beiden abwechselnd ganz klein und dann wieder ganz groß wirken. Alles in allem ein großartiges Wiedersehen mit zwei großartigen Schauspielern vor großartiger Kulisse, dem meiner Ansicht nach ein bisschen der Tiefgang fehlt, das aber auf jeden Fall seine Momente hat. (30.1.)