Our kind of traitor (Verräter wie wir) von Susanna White. England, 2015. Ewan McGregor, Naomie Harris, Stellan Skarsgård, Damian Lewis, Khalid Abdallah, Saskia Reeves, Velibor Topic, Alicia von Rittberg, Jeremy Northam

   Wieder mal heißt es also willkommen in der Welt von John Le Carré, einer ebenso unverwechselbaren wie einzigartigen Welt, die fest im Kalten Krieg wurzelt und die es im Laufe der Zeit irgendwie geschafft hat, sich zu modernisieren und quasi neu zu erfinden, ohne aber ihre charakteristischen Merkmale aufzugeben. Noch immer sind melancholische, unscheinbare Männer in Anzügen (gern auch Brillenträger) unterwegs in Sachen Informationen, denn genau wie vor fünfzig Jahren stehen Informationen nach wie vor für Macht und Einfluss im ewigen Ränkespiel der konträren Kräfte. Die mögen an der Oberfläche ihre Bezeichnung geändert haben, im Grunde sind es die gleichen geblieben, geht’s noch immer um die uralte Ost-West-Rivalität. Witzigerweise ist es aber so, dass zwar an der Ideologie und den konkreten Machenschaften des MI 6 und vergleichbarer Institutionen fleißig kritisiert wird, ihre grundsätzliche Existenzberechtigung jedoch scheint außer Frage zu stehen, sie sind weiterhin zum Schutz – tja, der freien (?) Welt notwendig, auch wenn Zweifel und misstrauen mehr als angebracht sind. Diese Mischung aus Skepsis und Verschwörungsideologie macht den Reiz der Romane Le Carrés aus, umso mehr, als er sich spekulativer Sensationsgier konsequent enthält, auch keine ausufernden Gewaltszenarien entwirft, sondern im Gegenteil eher nüchtern bleibt und seine Spannung viel eher aus Atmosphäre und psychologischen Studien bezieht. Beides beherrscht er perfekt, und beides muss auch eine Verfilmung leisten, wenn sie denn als gelungene Verfilmung durchgehen will.

   Diese hier ist gelungen, zweifelsohne nicht die beste, aber gelungen. Diese Geschichte spannt den Bogen zwischen Marrakesch, London, Paris, Bern und den französischen Alpen, weiß sich der attraktiven Schauplätze gekonnt zu bedienen, und erzählt eine Geschichte, die schon häufig im Spionagegenre erzählt wurde, nämlich die Geschichte eines Überläufers. Russe ist er auch noch, aber kein Regierungsspion mehr, sondern Mitglied der Mafia, ein Zahlenspezialist, ein Geldwäscheexperte, der nun miterleben muss, wie neue Männer ans Ruder kommen, rücksichtslose, grausame Männer, die nichts mehr mit dem äh „Ehrenkodex“ der alten Riege am Hut haben, sondern ohne Gnade alle beseitigen, die ihnen im Wege sind, unter anderem auch die Eltern und große Schwester zweier kleiner Zwillinge, derer sich dieser Mann, Dima heißt er, zusammen mit seiner Gattin angenommen hat. Dima will seine Familie und sich in Sicherheit bringen, aber er will den neuen Bossen auch kräftig eins auswischen. Die neuen Bosse wollen soeben mit Hilfe einer neu gegründeten Bank in London Fuß fassen, um auch im West ihre schmutzigen Geldgeschäfte zu installieren, und er verfügt über Informationen, die geeignet sind, eine ganze Menge hochrangiger Funktionäre hochgehen zu lassen. Er will einen Deal mit dem MI 6 machen, benötigt dazu aber einen Schlepper, der praktisch den Kontakt mit London herstellen kann, und da kommt ihm in Marokko der englische Professor Perry gerade recht, der just mit seiner Gattin Gail, einer erfolgreichen Anwältin unterwegs ist, um die marode Ehe wieder in Gang zu kriegen. Dima erkennt sofort, dass Perry viel zu höflich ist, um nein zu sagen, und er belagert ihn und Gail solange, bis er von ihnen bekommt, was er möchte. Perry wendet sich an den Geheimdienst, stößt erwartungsgemäß auf Misstrauen, findet aber in Hector einen Mann, der entschlossen ist, die Aktion durchzuziehen, nur an höherer Stelle ist man absolut nicht interessiert, unter anderem weil britische Politiker kompromittiert werden könnten, vor allem Hectors Erzfeind Longrigg, der schon auf der Lohnliste der Russenmafia steht. Hector und sein Mitarbeiter Luke entschließen sich zu einem gefährlichen Alleingang, der einige Menschen das Leben kostet und eigentlich schon gescheitert ist, doch Dima hat vorgesorgt und die entscheidenden Informationen gut genug versteckt, sodass sie auch nach seinem Tod noch zur Wirkung kommen.

   Bis auf Fernando Meirelles‘ fabelhaft fiebrigen „Ewigen Gärtner“ sind alle anderen Le-Carré-Filme, sofern ich kenne jedenfalls, ähnlich wie dieser: Wohltemperiert, eher bedächtig im Tempo, ohne hitzige Action oder Gewalt, auch ohne großes Melodrama oder andere Gefühlsaufwallungen. Wer also rasante Thrillerunterhaltung mit Dauerfeuer erwartet, wird rasch den Kinosaal wechseln, denn der ist hier definitiv falsch. Dies sind kühle, langsam vorantastende Meditationen, durchaus auch moralische Exkursionen, denn um Moral geht es hier ganz zentral. Typischerweise werden dabei deutlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, was natürlich einen Reiz der Filme, also auch dieses Films hier ausmacht. Was bewegt jemanden wie Perry dazu, sich plötzlich dermaßen für eine Familie einzusetzen, die er bis vor kurzem noch nicht einmal kannte, was bewegt ihn dazu, sich für einen Mann einzusetzen, mit dem er nichts gemeinsam hat, am wenigsten das Wertesystem? Es scheint gerade so, als suche er einen neuen Weg zu einem sinnvollen, erfüllten Leben, das im alten Rahmen offenbar nicht mehr möglich ist. Wir sehen einen missglückten Beischlaf mit Gail, wir hören eine einzige ganz kurze Andeutung von einer Affäre mit einer Studentin und ahnen, dass zwischen ihnen sehr viel Porzellan zerbrochen ist, und vielleicht ist Percys verbissene Entschlossenheit damit motiviert.

Nach anfänglicher Abwehr steigt auch Gail mit ein, am Schluss emotional mindestens so sehr involviert wie ihr Mann, was darauf hindeuten könnte, dass es ihr ganz ähnlich geht, und tatsächlich findet sich mitten drin eine zarte Geste der Versöhnung, der Wiederannäherung. Auf der anderen Seite Dima, ein jovialer, lautstarker Kerl, ein Vollblutrusse oder so ähnlich, aber eben auch ein Krimineller, ein Mafioso, und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er jetzt versucht, die neuen Bosse ans Messer zu liefern. Im Gegenteil wirkt seine Empörung über die brutalen Methoden der Jungen geradezu grotesk, denn auch er hat Menschenleben auf dem Gewissen, und man darf davon ausgehen, dass sein ethischer Horizont ein gutes Stückchen von Perrys oder Gails entfernt liegt. Zwischen ihnen Hector, der mit der Brille. Ein Geheimdienstmann, der gelernt hat, jegliches menschliche Interesse hinter dem Dienst der Sache zurückzustellen, sachlich, beherrscht, ein Profi. Seine Schwachstelle heißt Longrigg, der einst seinen Sohn verriet und ins Gefängnis brachte, weshalb er verbissen nach einer Möglichkeit sucht, ihm endlich seine schmutzigen Deals nachweisen zu können. Genau dieser Kontrollverlust lässt ihn schließlich sein Urteilsvermögen verlieren, und er versucht, im Alleingang eine Operation durchzuziehen, die so gut wie keine Erfolgsaussichten hat, denn die Gegner sind insgesamt zu mächtig.

 

   Ein komplexes Geflecht aus Standpunkten, moralischen Sichtweisen, Entscheidungen und Interessen, das sorgfältig und detailliert entwickelt wird, und genau das macht die Geschichten John Le Carrés aus. Einseitige Parteinahmen sind weder sinnvoll noch möglich, die Situation ist vielschichtig, die Grenzen zwischen Gut und Böse, Recht und Recht schon längst nicht mehr relevant. Um das zu tun, was in seinen Augen richtig ist, muss Hector an anderer Stelle etwas tun, das Percy beispielsweise als Unrecht bezeichnen würde, wohingegen Dima sich in Percys Augen wiederum ins Recht setzt, indem er sich von altem, selbst begangenem Unrecht abzugrenzen versucht. Als Regisseurin geht Susanna White vielleicht nicht immer pointiert genug vor, doch gelingt es ihr auf jeden Fall, der Komplexität der Gemengelage Genüge zu tun, und außerdem hat sie eine Handvoll Darsteller zur Verfügung, die sich auf Zwischentöne vortrefflich verstehen, vor allem Skarsgård gelingt ein exzellentes Porträts des widersprüchlichen Überläufers zwischen Mafiadasein und Familienleben. Die Geschichte bleibt bis zuletzt hochspannend und bestens getimt, die Dramaturgie setzt gekonnt auf kontinuierliche Verdichtung statt auf den üblichen Modus aus Highlights und Ruhemomenten zwischendrin. Die anfängliche Irritation verdichtet sich allmählich zu Unbehagen, und je tiefer Percy und wir in die Story hineingezogen werden, desto undurchschaubarer und deshalb bedrohlicher wird sie. Und wenn mein alter Favorit Anthony Dod Mantle die Kamera führt, weiß ich schon, dass fast nichts schiefgehen kann. Dies ist kein Stoff für Popcornkinos, daher war auch nicht überrascht, so ziemlich allein im Saal zu sitzen. (12.7.)