Aus dem Nichts von Fatih Akin. BRD/Frankreich, 2017. Diane Kruger, Denis Moschitto, Samia Chancrin, Johannes Krisch, Uwe Rohde, Karin Neuhäuser, Ulrich Brandhoff, Hanna Hilsdorf

   Aus dem Nichts scheinbar wird Katjas Leben zerstört – bei einem Bombenanschlag sterben ihr Mann und ihr kleiner Sohn, und obwohl die Polizei wiederholt auf die Drogenvergangenheit ihres Gatten anspielt, ist sich Katja sicher, dass Nazis für die Bluttat verantwortlich sein müssen. Und sie behält recht – ein Ehepaar aus ultrarechten Kreisen wird festgenommen, in ihrer Garage werden die Zutaten der selbstgebauten Bombe gefunden, und vor allem hatte Katja am Nachmittag vor der Explosion die junge Frau dabei beobachtet, wie sie direkt vor dem Büro des Mannes ihr Fahrrad unabgeschlossen abstellte. Die Gerichtsverhandlung scheint nur eine Formsache zu sein, doch der perfide agierende Verteidiger der Nazis schafft es, viele Nebenschauplätze aufzumachen und Zweifel zu säen, die unter anderem mit Katjas kurzzeitigem Drogenkonsum zur Betäubung des Trauerschmerzes zusammenhängen oder eben mit der Vorstrafe ihres Mannes für Drogenhandel. Tatsächlich wird das Ehepaar Möller freigesprochen, weil es eben nicht genug hundertprozentig überzeugende Beweise ihrer Schuld gibt und deswegen im Zweifel für die Angeklagten entschieden wurde. Ein unfassbares Urteil, das Katja endgültig aus der Bahn wirft. Während ihr Freund und Anwalt Danilo für eine Revision arbeitet, reist sie nach Griechenland, wo die Möllers bei einem gleichgesinnten griechischen Hotelwirt Unterschlupf gesucht haben. Sie stöbert die beiden in einem Wohnmobil am Strand auf, baut eine Bombe nach gleicher Weise wie die, die ihre Familie getötet hat, und sprengt sich schließlich mitsamt der Möllers in deren Wohnmobil in die Luft.

 

   Und wenn sich dann der Rauch verzogen hat und die Kamera langsam kopfüber ins Meer schwenkt, sitze ich ein wenig ratlos im Kino, und weiß nicht so recht, wie ich diesen neuen Film von Faith Akin finden soll. Natürlich zum Teil sehr mitreißend und emotional, aber gerade mit seinem Text im Nachspann macht er nochmal ein Fass auf, dem er selbst meiner Meinung nach nicht ganz gerecht wird. Da wird nämlich über die NSU-Morde gesprochen und von dem oft schlicht skandalösen Umgang der Justiz mit den Opfern. Falls es Akin tatsächlich daran gelegen war, sich diesem Thema auf seine Weise zu nähern, dann ist ihm das nicht sonderlich gut gelungen. Natürlich haben wir das ohnmächtige, von Trauer fast zerrissene Opfer, das fast schon in der Badewanne verblutet, natürlich haben wir die Neonazis und ihr internationales Netzwerk, und natürlich haben wir Ermittler, die angesichts der Nationalität des Opfers (Türke) und seiner Vorgeschichte (verurteilter Drogendealer) sofort ein vorgefertigtes Szenario im Kopf zu haben scheint. Doch gerade die Gerichtsverhandlung, die quantitativ das Kernstück der Geschichte ist, kommt in vieler Hinsicht enttäuschend und dünn daher. Umso enttäuschender, als Hark Bohm als Co-Autor genannt wird, und der hätte als ausgebildeter Jurist doch sicherlich ein wenig mehr beitragen können. So aber bietet uns Akin nur ein paar Häppchen, zeigt uns einen schlangenhaft fiesen und zynischen Verteidiger, dessen Szenen arg ins Klischeehafte abrutschen, und ein Urteil, das natürlich ein böser Witz ist, das aber nach dem, was uns hier vorgeführt wurde, irgendwie nicht überzeugt. Von einer wirklich ernsthaften Auseinandersetzung mit rechtem Terror, der tradierten deutschen Blindheit auf genau diesem Auge und dem oft entwürdigenden Umgang mit den Opfern, der sich gerade durch die NSU-Historie zieht, ist Akins Film zumeist meilenweit entfernt. Da wäre zuallererst Züli Aldags Film aus der NSU-Trilogie zu nennen. Aber eigentlich ist dieser Vergleich auch gar nicht richtig, denn Akin hat einen ganz anderen Zugang zum Filmemachen, und auch zu diesem Film hier, er ist jemand, der sich stets über Emotionen nähert, und auf die zielt er hier natürlich auch ab und das macht er wie gewohnt gut. Diane Kruger nutzt ihre Chance, endlich mal als „seriöse“ Schauspielerin durchzugehen und legt eine beeindruckend intensive Performance hin, und gerade ihre Momente zwischen lähmender Trauer und wilder Wut hätten den Film insgesamt prägen können. Nach dem Ende des Prozesses jedoch verlieren wir sie weitgehend, erleben noch ihren Rachefeldzug nach Griechenland mit seinem letztlich erwartbaren Ausgang, doch irgendwie war ich gefühlsmäßig zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sonderlich beteiligt, weil dem Film die Kraft und die Spannung ausgegangen waren. Mit dem Urteil stürzt nicht nur Katja ins Leere, sondern auch die Story insgesamt. Katjas Auftreten in Griechenland wirkt mechanisch, ich kriege keinen Zugang mehr zu ihrem Innenleben, und vielleicht gibt’s ja auch gar keins mehr. Zudem nimmt Akin zu dem Motiv der Selbstjustiz einen enttäuschend nichtssagenden Standpunkt ein – nämlich gar keinen, und das ist gerade für einen sonst so standpunktfreudigen Filmemacher wie ihn untypisch und entschieden zu wenig. Ob er nun provozieren wollte oder anderes im Sinn hatte, er kann auf keinen Fall hingehen und erklären, ein Selbstmordattentat könne auch nur entfernt eine annehmbare Reaktion auf institutionalisiertes Unrecht und rechte Gewalt sein – also jedenfalls wäre das von meiner Vorstellungswelt sehr weit entfernt, ich könnte mir eher vorstellen, dass den Amis der Film genau deshalb gut gefällt. Und wie schon gesagt, wenn Akin auf den Schlusssatz verzichtet und nicht die Brücke zu NSU und dem ganzen deutschen Rechtselend geschlagen hätte, könnte man „Aus dem Nichts“ durchaus als weitgehend spannenden und eindrucksvollen Rachefilm sehen. So aber erhebt er quasi im Nachspann einen Anspruch, den der in den vorausgegangenen einhundert Minuten nicht erfüllt. Ist dann wieder mal die Frage des Anspruchs und woran man den Film messen will, aber wenn ich an Akins Qualitäten und seine vielen wirklich guten Filme bisher denke, dann muss ich zugeben, dass „Aus dem Nichts“ meine Erwartungen nicht ganz bestätigt hat. Und das wäre damit der dritte Akin-Film in Serie, mit dem es mir so gegangen ist, und damit sollte jetzt auch mal Schluss sein. (15.12.)