Birth of a nation von Nate Parker. USA, 2016. Nate Parker, Armie Hammer, Aja Naomi King, Aunjanue Ellis, Colman Domingo, Dwight Henry, Roger Guenveur Smith, Esther Scott, Gabrielle Union, Penelope Ann Miller, Mark Boone Junior
Ungefähr hundert Jahre nach Griffiths’ “Birth of a nation”, meinetwegen einem filmhistorischen Meilenstein, nichtsdestoweniger einem perfiden, faschistoiden, rassistischen Schmierwerk, nun also die Ergänzung, die Richtigstellung, die schwarze Version, ganz wie man will. Einen Film mit einem solch belasteten und prekären Titel zu veröffentlichen erfordert schon einige Chuzpe, aber daran scheint es Nate Parker offensichtlich auch nicht zu mangeln, denn er hat dieses immense Projekt fast allein gestemmt, fungiert als Hauptdarsteller, Regisseur, Co-Produzent und Co-Autor – dafür auf jeden Fall erstmal Respekt! Auch wenn das afro-amerikanische Kino plötzlich wieder stark im Kommen zu sein scheint, sind hier doch keinerlei große Namen involviert, fehlen die prestigeträchtigen Zugpferde, genau wie bei „Moonlight“, einem ähnlich eigenwilligen, starken und kantigen Film wie diesem hier. Wenn es in diesem Stil noch mehrere Projekte dort drüben geben sollte, immer her damit, sie sind mir herzlichst willkommen…
Wieder mal ‘ne wahre Geschichte. Der Versuch einer Sklavenrebellion in Virginia, einige Jahrzehnte vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Initiator ist Mr. Nat Turner, der als Sklave auf der Baumwollfarm Turner schuftet, dort mit Mutter, Großmutter und später Ehefrau und Kind lebt, der Lesen lernt, vor allem in der Bibel und der sich auf diese Weise zum wortmächtigen Prediger entwickelt, mit der besonderen Fähigkeit, seine Zuhörer zu beeindrucken und mitzureißen. Diese Fähigkeit machen sich die Sklavenhalter zunutze und schicken ihn überall dorthin, wo es Unzufriedenheit und Unruhe gibt. Ihm wird diese perverse Situation aufgezwungen, gegen seine eigenen Leute und seine tiefsten Gefühle anreden zu müssen, die Geschundenen, die Misshandelten und Ausgebeuteten auch noch mit ihrem grauenhaften Leben versöhnen und mit himmlischen Heilsversprechen besänftigen zu müssen. Das ist teilweise kaum zu ertragen angesichts der furchtbaren Dinge, die den Sklaven dort Tag für Tag angetan werden, und als schließlich seine Cherry von weißen Männern überfallen und fast totgeprügelt wird, ist der Zeitpunkt gekommen, zu den Waffen zu greifen und aufzubegehren gegen das Joch der weißen Sklavenhalter. Turner kann nach und nach eine kleine Gruppe Kampfesmutiger rekrutieren, obwohl vielfach auch die Angst laut wird, dass die Weißen an den Familien der Rebellen Vergeltung üben werden – und genau so wird es auch kommen. Ein kurzer Feldzug wird es, einige weiße Farmer werden sterben, aber nachdem die Rebellion niedergeschlagen worden ist, kommt es in vielen Teilen der Gegen zu willkürlichen Lynchmorden an völlig unbeteiligten, auch eben Frauen und Kindern. Nina Simone singt „Strange fruit“, wir sehen Bäume voll hängender schwarzer Leiber, Männer, Frauen, Kinder. Turner schließlich stellt sich, offenbar um weiteres Unheil zu verhindern (andern als in der wirklichen Geschichte, glaube ich), wird öffentlich hingerichtet und sein Körper danach gehäutet, zerstückelt, den Tieren zum Fraß vorgeworfen, damit um Gottes Willens kein noch so geringes Überbleibsel seines Geistes weiterwirken kann.
Ein krasser, grausamer Film aus einer grausamen Welt. Vergleichbar thematisch natürlich mit „12 years a slave“, in seiner Wirkung mit Steve McQueens Film allemal vergleichbar, in seinen Mitteln sicherlich um einiges drastischer. Nate Parker fährt große Geschütze auf, um uns das ganze Grauen der Sklavenhaltung in den Südstaaten plakativ und ungeschönt vor Augen führen. This ain‘t no “Gone with the fucking wind“, man! Parker schert sich nicht um die Gebote der Differenzierung, und das ist absolut richtig, denn diese Geschichte verlangt nicht nach Differenzierung. Der weiße Mann ist ein Monster, und selbst wenn es unter ihnen sicherlich auch andere gab, so bleibt diese Tatsache unverrückbar bestehen. Wir sehen hier unterschiedlich monströse Ausprägungen des weißen Mannes: Die offenkundigen Sadisten, die blutrünstigen Faschisten, die gierigen Bürger, die sich gern mal ein schwarzes Mädchen ins Bett holen, die bigotten Prediger, die in der Bibel mit Leichtigkeit eine Rechtfertigung der Sklaverei finden, und Leute wie die Turners, die an sich nicht mal so vehemente Niggerhasser sind, die einfach mitmachen, weil sie keine Alternative sehen und weil sie durchaus denken, es stehe ihnen traditionell zu, ihre lukrative Baumwollernte Jahr für Jahr auf dem Rücken der Sklavenarbeiter einzufahren. Die sind fast noch schlimmer, weil sie Nat mehrfach zu dem Irrglauben verleiten, er könne von ihnen vielleicht mehr Verständnis oder sogar Unterstützung erhoffen. Bitter muss er erleben, dass dies nicht so ist. Turner lässt ihn fast zu Tode peitschen, und er schreitet auch nicht ein, als einer seiner weißen Gäste anlässlich eines Festes nach einer schwarzen Frau verlangt und er ihm daraufhin die Frau einer seiner Arbeiter übergibt. Falls er so etwas wie Gewissensbisse hat, ersäuft er sie konsequent in Alkohol, und wenn es darauf ankommt, weiß er, wo sein Platz ist, und das ist ganz sicher nicht bei Nat und den anderen Sklaven. Parker widmet sich dem Leben auf der Turner-Farm ausführlich, natürlich zumeist anhand dramaturgisch effektvoll zugespitzter Szenen. Er emotionalisiert uns durch die Härte seiner Darstellung und die extreme Wucht der Bilder und der Grausamkeiten. Die Schwarzen werden gehandelt wie Vieh, die Frauen als Huren, die Männer als Arbeitstiere, jegliches Aufbegehren, oder was sie dafür halten mögen, wird mit maximaler Brutalität unterdrückt. Was uns verstört und wirklich im tiefsten Innern trifft, so wie Nina Simones durchdringender Gesang, ist die vollkommene Abwesenheit von Menschlichkeit, Gnade, Gerechtigkeit, das fatale Zusammenwirken von Barbarei und Frömmigkeit, weißem Sadismus und weißer Selbstzufriedenheit. Die Situation der Sklaven und ihre Zukunftsperspektiven sind vollkommen hoffnungslos, aussichtslos, deprimierend. Keiner von ihnen ist irgendwo sicher, jederzeit kann ein weißer Lynchmob aufkreuzen, morden und vergewaltigen, und es wird niemanden geben, der sie dafür zur Rechenschaft zieht, denn Nigger haben keine Rechte, keine Würde, gar nichts. All dies bekommen wir hier mit maximaler Eindringlichkeit vorgeführt, und schon deshalb ist „Birth of a nation“ ein äußerst eindrucksvoller, starker, wichtiger Film. Natürlich leidenschaftlich und polemisch, ich fände es auch merkwürdig und ziemlich daneben, wenn das nicht so wäre. Parker hat ein Anliegen und vertritt dies mit vollem Einsatz, er findet starke Bilder, er hat starke Gesichter gefunden, und falls er sich ein paar dramaturgische Freiheiten mit der Geschichte herausnimmt – what the fuck, die Geschichte an sich bleibt wahr und richtig, Sklaverei lässt sich bestenfalls schönreden, aber davon kann hier beim besten Willen nicht die Rede sein.
Witzig ist es aber schon – jahrzehntelang gab‘s ungefähr nur „Roots“, oder mal ein versprengtes kleines Feigenblattfilmchen, und jetzt plötzlich innerhalb weniger Jahre ein halbes Dutzend starker, selbstbewusster Statements - soll das jetzt heißen, dass die Amis doch noch anfangen, sich ernsthaft mit ihrem Erbe auseinanderzusetzen, oder ist das wieder nur eine Strategie des weißen Establishments, um nach außen toleranter, offener, selbstkritischer zu wirken…? (18.4.)