Borg/McEnroe von Janus Metz. Schweden/Dänemark/Finnland, 2017. Sverrir Guðnason, Shia LaBeouf, Stellan Skarsgård, Tuva Novotny, Robert Emms, Scott Arthur
Ein Film für Tennisfans, klar. Ich bin ein Tennisfan, und obwohl ich die Borg-Ära noch nicht so richtig mitgekriegt habe – in der Zeit vor Beckers erstem Wimbledonsieg wurde nämlich noch nicht jedes Tennisturnier live im TV übertragen - war ich natürlich gespannt drauf. Das Wimbledonfinale von 1980, um das sich der Film mehr oder weniger dreht, markierte das Ende einer Ära und den Beginn einer anderen. Borg siegte zum fünften und letzten Mal auf dem heiligen Rasen, McEnroe stand zum ersten Mal dort im Finale und sollte sich 1981 für die Niederlage revanchieren und seinen ersten von drei Wimbledontiteln holen. Altersmäßig waren die beiden gar nicht mal so weit auseinander – Borg war nicht mal drei Jahre älter, doch er war bereits ein erfahrener Veteran, eine umschwärmte Legende, während McEnroe der umstrittene Newcomer war, der sich erst seinen Platz im Zirkus erkämpfen musste.
Ein Film über Tennisspieler, die plötzlich zu Popstars geworden waren und sich in hippen Clubs wie dem Studio 54 in New York mit flotten Bienen ordentlich die Kante gaben. Typen wie Vitas Gerulaitis standen für den neuen Lifestyle, der nicht mehr viel mit dem etwas sterilen Image des weißen Sports zu tun hatte, der zuvor gepflegt worden war. Man wohnte auf einmal in Monte Carlo, fuhr flotte Sportwagen, zeigte sich stets mit einer schnieken Schnecke im Schlepptau, gehörte allgemein zum Jet Set, verdiente einen Haufen Kohle und zeigte das auch. Auch auf dem Platz wurden andere Töne angeschlagen, Typen wie Connors oder eben ab sofort McEnroe polarisierten mit ihren emotionalen Auftritten, die von den einen als große Show geliebt und von anderen als unsportliche Pöbelei verachtet wurden. Tennis war zum Spektakel geworden, ein faszinierender Zweikampf in einer Arena, die in vielen Fällen das Ihre zur ganz besonderen Atmosphäre dieses einzigartigen Sports beitrug. Dass sich damit auch prima Geschäfte machen ließen und dass dies wie in vielen anderen populären Sportarten auch im Laufe der Zeit jede Menge sehr ungesunder Auswüchse mit sich bringen würde, wird zwar in „Borg/McEnroe“ nicht explizit thematisiert, doch sieht man die Wurzeln des Übels hier in vielen Details deutlich angelegt.
Vor allem aber ein Film über Björn Borg und John McEnroe, einst Rivalen und später beste Freunde, wie es optimistisch im Abspann heißt, anders ausgedrückt: Gegensätze ziehen sich an, und davon ist hier durchaus etwas zu sehen. Ein Doppelporträt zweier genialer Sportler, deren Genie so unterschiedlich angelegt war wie ihr Temperament im Ganzen, zumindest jenes Temperament, das sich auf dem Tennisplatz manifestierte. In Wirklichkeit trennte die beiden vermutlich nicht sehr viel, es verband sie genau genommen mehr, und das schienen sie selbst sehr wohl zu spüren und das schlug sich im tiefen gegenseitigen Respekt nieder. Zwei Getriebene, zwei Besessene, nur hatte der eine sich im Laufe der Jahre verändert, hatte an seiner Persönlichkeit gearbeitet, während der andere genau jenen Teil seiner Persönlichkeit kultivierte. Der fast übermenschlich disziplinierte schwedische Eisberg gegen den undisziplinierten, flegelhaften New Yorker, der wortkarge, irgendwie immer geheimnisvolle Gentleman und Frauenliebling gegen das arrogante, unreife, extrovertierte Großmaul. Der härteste Arbeiter gegen das größte Talent, Präzision und harte Grundschläge gegen einmaliges Ballgefühl und Serve and Volley. Die Fans und die Medien lieben solche Rivalitäten („Fire and Ice“ hört sich ja auch klasse an…), und Borg und McEnroe haben ihnen in insgesamt 14 Matches, vor allem natürlich mit dem epischen Finale von 1980 ein absolutes, auch in späteren Jahren wohl nicht mehr übertroffenes Highlight beschert.
Witzigerweise beschwert sich McEnroe im Film bei den Clowns von der Presse darüber, dass es in jedem verdammten interview immer nur um Borg geht und nie um ihn. Man könnte dies auch ein wenig auf diesen Film im Ganzen übertragen, denn in der Tat beschäftigt er sich weitaus ausführlicher und tiefgehender mit Borg als mit seinem Kontrahenten. Es gibt schon die eine oder andere kurze Episode aus McEnroes Leben, doch erfahren wir ungleich mehr über Borg. Über den Jungen, der unermüdliche den Ball gegen ein Garagentor schlug, über den Teenager, der zwar ein großes Talent war aber regelmäßig dermaßen ausrastete, dass das Spiel abgebrochen werden musste, über den Teenager, der schließlich in die Obhut des Trainers Lennart Bergelin geriet, der ihn mit eisernem Drill beibrachte, jegliche Emotion während eines Matches zu unterdrücken, der ihm sein Credo einhämmerte, immer nur auf den nächsten Punkt zu fokussieren. Eine Partnerschaft, die für Borg ebenso erfolgreich wie auch einengend war, und wir sehen ihn 1980 bei einigen Versuchen, sich von Bergelins übermächtigem Einfluss zu lösen, einem Einfluss, der bis in privateste Sphären reichte. Auch McEnroe lebt mit einer dominanten Vaterfigur, seinem leiblichen Vater nämlich, der ihm stets das Gefühl gibt, nie ganz zu genügen und der ihm auf diese Weise immer ein negativer Ansporn bleibt. Ansonsten erfahren wir über sein aktuelles Privatleben gar nichts, während es viele Szenen mit Borg und seiner Verlobten bzw. Ehefrau Mariana gibt, in denen Borg über seine Zweifel, seine Müdigkeit und seinen Wunsch nach mehr Ruhe und Privatsphäre artikuliert. Borg ist der Mann mit dem eisernen Willen, dem wahnsinnigen Trainingsprogramm, der bis dato so noch nie dagewesenen Fitness. McEnroe verlässt sich auf seine Intuition, seine Schnelligkeit, sein Spielverständnis. Für beide ist Verlieren keine Option, doch hat Borg die größere Angst davor. Er spürt das Ende seiner Dominanz in Person McEnroes, lässt sich dennoch von Bergelin von Match zu Match pushen, um die Mission Wimbledon 1980 zum erfolgreichen Ende zu bringen.
Es gibt viele eindrucksvolle Szenen in diesem Film, in denen es gelingt, die besondere Psyche von Sportlern zu ergründen und zwar in einer Weise, die ich vorher noch nicht so oft in dieser Form gesehen habe. Szenen, in denen sich die Spannung, der Erfolgs- und Öffentlichkeitsdruck, der Siegeswille und die Angst vor dem Verlieren zu etwas verdichten, das deutlich über gängige Sportfilme hinausgeht. Manche Aspekte hätte ich sehr gern noch eingehender betrachtet gesehen, doch in hundert kurzweiligen Minuten ist einfach nicht mehr drin. Ganz großartig sind die Tennisszenen selbst, die extrem authentisch wirken und mir vor Augen führen, weshalb Tennis ein solch toller Sport ist. Und beim Casting werden sich sicherlich die Geister scheiden – Sverrir Guðnason ist ein absolut perfekter Björn Borg, da gibt‘s wohl keine Zweifel, und obwohl er fast fünfzehn Jahre älter ist als Borg im Jahre 1980, wirkt er in jeder Szene hundertprozentig echt und überzeugend. Shia LaBoeuf ist nur zehn Jahre älter als McEnroe 1980, doch fällt das in diesem Fall ungleich stärker ins Gewicht, finde ich jedenfalls. LaBoeuf bemüht sich als Schauspieler durchaus, doch ist er dem realen John McEnroe so wenig ähnlich, dass ich mich einfach nicht mit dieser Wahl anfreunden konnte, gerade weil Borg so gut getroffen wird. Stellan Skarsgård und Tuva Novotny sind klasse als Bergelin und Mariana, der Jimmy Connors im Film ist wiederum total daneben, aber so ist das eben, wenn’s um real existierende Personen geht.
Alles in allem ein streckenweise sehr eindrucksvoller, optisch sehr gelungener Tennisfilm mit einer entscheidenden Schwäche (nämlich LaBeouf), aber für uns Fans auf jeden Fall einen Kinobesuch wert. Man kann dann bei der Gelegenheit darüber sinnieren, ob das Tennis von heute noch mit dem von vor fünfunddreißig Jahren vergleichbar ist - aber das gehört nicht hierher… (25.10.)