Born to be blue von Robert Budreau. Kanada/England, 2016. Ethan Hawke, Carmen Ejogo, Callum Keith Rennie, Tom Nappo, Kevin Hanchard, Kedar Brown, Dan Lett, Stephen McHattie, Janet-Laine Green
Die Kunst und die Selbstzerstörung – Inspiration und Drama, Tragödie, Genie und Vergeudung, Besessenheit, Wahn und Größe, je nachdem wie man es sehen mag, und natürlich seit jeher Quell endlos vieler Romane, Musikstücke, Filme und dergleichen. Jazz gehört selbstverständlich zu dem Kanon, und die Lebensgeschichte Chet Bakers ohnehin. Ein weißer Milchbubi vom Land, der vor allem dann an der Westküste mit weicher Stimme und schmusigem Trompetenton eine leichte Variante zum grimmigeren Sound der Ostküstenfraktion bot, gleichzeitig ein sexy Idol, ein smarter Womanizer, vor allem aber leider ein Heroinjunkie, der es auf satte dreißig Jahre Sucht brachte, bis es ihn 1988 in Amsterdam dann endlich dahinraffte. Diese Sucht ließ ihn irgendwann aussehen wie eine lebende Leiche, sie brachte ihm zahlreiche Gefängnisaufenthalte ein und brachte logischerweise seine Karriere als Musiker ziemlich ins Straucheln. Wir steigen ein anno 1966, und da ist der olle Chet ganz besonderes heftig am Arsch, sitzt in Italien im Knast und wird dann sozusagen von Mr. Hollywood befreit, nur um in einem ziemlich obskuren Film sein eigenes Leben nachzuspielen. Immerhin greift er seine Schauspielpartnerin ab, die smarte Jane, die als seine Filmfrau fungiert und mit der er bald eine offensichtlich tragfähige Partnerschaft aufbaut. Sein Ziel: Clean werden, auf die Beine kommen und wieder Musik machen. Es den Armleuchtern wie Miles Davis endlich mal zeigen, denn der hatte sich einst im Birdland großkotzig vor ihm aufgebaut und ihm geraten, erst mal ein bisschen zu leben und sein Bubi-Image abzulegen, bevor er sich wieder an die Ostküste traut. Doch erst gibt’s noch einen herben Rückschlag, Baker wird eines Abends auf der Straße attackiert, Drogenschulden offenbar, und kriegt ordentlich eins in die Fresse, verliert dabei sämtliche Frontzähne, was für einen Trompeter nun mal ziemlich fatal ist, und der Weg zurück mit neuem Gebiss und argen Schmerzen ist lang und steinig. Baker beißt sich mit Janes Hilfe durch, steigt auf Methadon um und bleibt tatsächlich für einige Zeit clean, übersteht sogar den Besuch bei seinen Eltern auf der Farm in Oklahoma, und das ist wirklich eine deprimierende Sequenz, hält sich auch seinen hartnäckigen Bewährungsoffizier vom Leib und nähert sich schließlich wieder ersten öffentlichen Auftritten an. Er kriegt sogar seinen alten Produzenten Dick wieder rum, der sich eigentlich endgültig von ihm angewandt hatte, absolviert in Gegenwart einiger einflussreicher Entscheider einen vielversprechenden Studiogig und bequatscht den dort ebenfalls anwesenden Dizzie Gillespie, ihn wieder ins Birdland einzuschleusen. Dieser alles entscheidende Auftritt soll den Weg in die Zukunft weisen – Comeback zu alter Größe, oder endgültiger Niedergang. Doch Jane begleitet ihn nicht, sie verfolgt ihre eigenen Ambitionen als Schauspielerin und bleibt zum Casting-Termin in L.A. Ohne sie geht Chet vor Lampenfieber in die Knie, zumal wie damals beim ersten Birdland-Gig wieder Miles und Dizzie im Publikum sind und ihn kritisch unter die Lupe nehmen werden. Dick versucht, ihn irgendwie auf Linie zu halten, doch Chet hat das Spritzbesteck bereits wieder ausgepackt. Nun hat er die Wahl – H oder Methadon, und man weiß schon, wie er sich entschieden hat und auch für die noch folgenden zwei Jahrzehnte. Gleichzeitig hat er sich damit gegen Jane entschieden, denn die verlässt ihn noch am gleichen Abend. Aber wenigstens spielt er wieder anständige Musik…
Autor/Regisseur Robert Budreau hat sich eine Menge Freiheiten mit der realen Biographie Chet Bakers genommen, ohne dass ich eigentlich so genau verstanden habe, wieso. Vermutlich war sein Plan, dem Leben des Herren eher prinzipiell gerecht zu werden, seiner Musikbesessenheit, seiner Lebensgier, seiner Angst, seiner konsequenten und fast bewusst betriebenen Selbstzerstörung, siehe oben. Er hat sich sinnvollerweise einen begrenzten Zeitraum in Bakers Leben rausgesucht, gehorcht damit der herkömmlichen Dramaturgie vieler Künstlerbiographien – Krise, Kampf, Auferstehung, und er hat in der Person der Jane einen völlig fiktiven Charakter eingebaut, stellvertretend für die fast schon klischeehaft klassische Frau des Künstlers, die ihm Stütze, Begleiterin, Mahnerin ist undsoweiter undsoweiter. Glücklicherweise ist diese Jane ausgestattet mit wenigstens einigen kleinen Haken und Ösen, sonst wäre die fabelhafte Carmen Ejogo völlig beschäftigungslos und mit nichts gefordert, außer schön zu sein. Auch die übrigen Randfiguren haben vergleichsweise blasse Konturen, was ich immer etwas schade finde, denn wohl kaum ein Künstler hat je im luftleeren Raum existiert und geschaffen, er war stets umgeben von Leuten, die ihn beeinflusst, inspiriert, geprägt oder auch bekämpft haben. So kommt es, dass die einzig wirklich interessante, bewegende und aussagekräftige Sequenz jene ist, in der Chet und Jane rausfahren aufs Land zu seinem Elternhaus. Wir sehen das verzweifelte Lächeln der Mutter, wie sehen die verschlossene Miene des Vaters, hören seien bissigen, verbitterten Kommentare, ahnen vielleicht entfernt, wie das Aufwachsen in dieser klaustrophobischen Umgebung gelaufen sein könnte und verstehen vor allem, wo Chets beständiger Drang wurzelt, anderen zu gefallen, Erfolg zu haben, anerkannt zu sein. Mit dieser Ausnahme ist auch dies ein Film, der kaum wirklich tiefer geht an die Wurzeln der Kunst, an das, was den Mann getrieben, was ihn am Leben erhalten hat auch in einer Zeit, da es für ihn herzlich wenig Gründe gab. Daran trägt Ethan Hawke sicherlich am wenigstens Schuld, denn er ist wirklich toll, bietet ein extrem eindrucksvolles Porträt, auch wenn er sichtlich zehn Jahre zu alt ist für seine Rolle. Doch wie er sich in sie vertieft, wie er auch den Gesang meistert, wie er die Zerrissenheit, die inneren Kämpfe Chets nach außen trägt ohne große Showeffekte, das zeigt schon, wie gut Hawke sein kann, wenn er nur mal richtig gefordert wird. Der Regisseur Budreau liefert dazu gekonnt gestylte Bilder, cool und atmosphärisch, Jazz halt, der Drehbuchautor Budreau hingegen hätte wie fast alle seine Kollegen in dem Metier ein bisschen mehr Mut zum Tiefgang aufbringen können. So ist „Born to be blue“ nur einer von vielen Künstlerfilmen – ganz interessant, aber nicht mehr. (14.6.)