Hymyilevä mies (Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki) von Juho Kuosmanen. Finnland/Schweden/BRD, 2016. Jarkko Lahti, Oona Airola, Eero Milonoff
Die eine gute Nachricht vorneweg: Finnland ist nicht nur Kaurismäki-Land, es gibt tatsächlich ein Kinoleben außerhalb dieses Universums. Und die zweite Nachricht gleich hintendrein: Die anderen machen auch richtig gute Filme, auch wenn sich vielleicht der Einfluss des großen Vorbildes nicht so ganz abschütteln lässt. Kann natürlich auch sein, dass die Finnen allgemein einfach solche Filme bevorzugen – lakonisch und in Schwarzweiß, irgendwie aus der Zeit gefallen und auf jeden Fall sehr weit entfernt vom gängigen Gefälligkeitsmainstream.
Olli Mäki gibt es wirklich und ist noch immer der einzige finnische Boxer, der es international zu irgendwas gebracht hat. Zu was genau, ist mir persönlich total wurscht, weil mich Boxen noch nie die Bohne interessiert hat, und das Gleiche gilt auch für Boxerfilme, aber da ich schon angenommen hatte, dass dies kein normaler doofer Boxerfilm ist, hab ich ihn dennoch angeschaut und mich nach her sehr darüber gefreut, denn dies ist ein wirklich schöner Film.
Olli Mäki stammt aus Kokkola, einem Kaff an der finnischen Westküste, im zweisprachigen Gebiet und ganz schön weit von Helsinki entfernt. Dort soll er aber im Jahre 62 gegen den amtierenden US-Weltmeister im Fliegengewicht antreten, und sein alter Kumpel Elis, der nun als Boxpromoter tätig sein will, legt sich ganz schön ins Zeug, um Sponsoren und Medien auf das Event aufmerksam zu machen. Es soll groß werden, Finnland soll endlich mal auf die große Landkarte des Sports, und dazu sind ein paar Maßnahmen notwendig, die dem eher stillen Landei Olli Mäki ganz und gar nicht behagen. Er posiert mit Models, macht Small-talk mit wohlhabenden Gönnern, trainiert in Helsinki fern seiner Heimat, muss plötzlich vor aller Welt Rede und Antwort stehen, immer und überall eine gute Figur machen und siegesgewiss in die Kameras grinsen, muss auch noch einige Kilos abspecken, was ihm schon schwer fällt, doch was ihm am schwersten fällt, ist die zeitweilige Trennung von seiner frisch eroberten Freundin Raija, mit der er viel lieber viel mehr Zeit verbringen würde, und da hilft es auch nichts, dass sie ihn anfangs nach Helsinki begleitet, denn Elis reagiert ausgesprochen allergisch auf sie, will sie am liebsten nirgendwo dabei haben und betrachtet sie als konstanten Störenfried. Als sie dann die Konsequenzen zieht und wieder nach Kokkola reist, geht bei Olli gar nichts mehr, er hat eigentlich keine Lust mehr auf den Kampf und kaum Motivation, überhaupt noch zu trainieren. Er kann sie aber wieder nach Helsinki locken, verspricht ihr, sogleich zu heiraten, doch der eigentlich Boxkampf wird kurz und schmerzlos, Olli geht nach 2 Runden auf die Bretter, doch das juckt ihn überhaupt nicht, denn er hat ja seine Raija und weiß genau, dass die beiden noch lange glücklich miteinander sein werden.
Also eher eine Liebesgeschichte als eine Boxgeschichte, oder vielleicht besser die Geschichte eines Helden wider Willen, dem plötzlich Ambitionen angedichtet werden, die er selbst schlichtweg nicht hat. Nur hat er auch nicht den Mumm, sich gegen Elis‘ fürsorgliche Belagerung zur Wehr zu setzen, ihm einmal klipp und klar zu sagen, dass er keinen Bock hat auf all das Brimborium und eigentlich nur mit Raija zusammen sein möchte. Er macht zulange gute Miene zum Spiel, und irgendwann ist der Zug abgefahren, gibt es keinen Weg mehr zurück, zumal er auch mitbekommt, dass Elis einen ohne persönlichen Einsatz einbringt, sehr viel riskiert und selbst ständig pleite ist, was ihm schon Ärger mit seiner Gattin einbringt, denn er hat immerhin auch noch vier Kinder zu ernähren. Elis ist vielleicht so etwas wie die tragische Figur hier, denn sein Eifer geht natürlich völlig an der Person seines Freundes vorbei, er sieht einfach nicht, oder will nicht sehen, dass Olli für die große Welt, fürs Rampenlicht nicht geschaffen und folglich mit der ganzen Show hoffnungslos überfordert ist. Er gebärdet sich zunehmend übergriffig, folgt Olli auf Schritt und Tritt, beäugt eifersüchtig dessen Zusammensein mit Raija und schafft es schließlich, sie vom Spielfeld zu verdrängen und sich endlich freie Bahn zu verschaffen, wobei er wieder ignoriert, dass Olli die Liebe zu Raija ungleich wichtiger ist als der Boxkampf. Indem er alles auf diese eine Karte setzt, hängt er praktisch auch sein persönliches Glück, seine Zukunft an Olli, was natürlich völlig blind ist, denn jedermann kann sehen, dass Olli weder den Biss noch den Ehrgeiz hat, diesen ganzen Zirkus mitzumachen und auch noch für einen Kampf zu trainieren, den er praktisch nicht gewinnen kann, denn der Amerikaner ist sehr viel erfahrener und stärker. Und statt wie bekloppt zu ackern und Kilos runterzuhungern, hätte Olli viel lieber seine Ruhe und wäre viel lieber wieder zuhause in Kokkola bei Raija.
In körnigem Schwarzweiß sehr schön fotografiert, mischt der Film Poesie, leisen Humor und ein bisschen Zeitgeist zu einem sehr stimmigen Ganzen. Obwohl wir fast die ganze Zeit über nahe an Olli sind, dringen wir nicht inquisitorisch in sein Inneres, erfahren nicht alles über seine Gedanken, sondern halten sozusagen respektvollen Abstand, denn eine allzu tiefgehende psychologische Erkundung würde nicht zu ihm passen, er ist ein introvertierter, stiller Typ, der nicht so richtig gelernt hat, laut und deutlich für seine Bedürfnisse und seinen Willen einzutreten, und da muss die handfeste Raija häufiger in die Bresche springen und ihn gelegentlich mal nach vorne schubsen. So gesehen ist die eigentlich wichtige Sportart in diesem Film nicht Boxen, sondern eher Tauziehen, mit Raija am einen, Elia am anderen Ende und dem armen Olli in der Mitte, zumal der ganz nach Männerart ziemlich lange braucht, bis er für sich klar hat, was und wen er eigentlich will.
Juho Kuosmanen hat daraus weder ein gefühliges Melodrama noch einen nett anzuschauenden Epochenfilm gemacht, natürlich auch kein testosterontriefendes Boxerepos, sondern einen unaufgeregten, ruhigen Film ohne Geschmacksverstärker, dafür aber mit tollem Blick für Situationen und Stimmungen. Sehr finnisch halt in vieler Hinsicht, aber doch nicht ganz so karg und melancholisch wie beim Meister Kaurismäki. Sehr schön alles in allem, und es wäre echt nett, wenn sich auch der hohe und entfernte Norden gelegentlich mal in unseren Kinos zeigen könnte, einfach um unsere wunden Augen zu besänftigen und uns daran zu erinnern, dass es abseits des Mainstream noch relevante Aktivitäten gibt – die dann nicht nur auf Festivals Preise abräumen, sondern sogar in unseren Kinos zu sehen sind! (18.1.)