The Viceroy’s House (Der Stern von Indien) von Gurinder Chadha. Indien/England, 2017. Hugh Bonneville, Gillian Anderson, Manish Dayal, Huma Qureshi, Michael Gambon, Lily Travers, Simon Callow, Om Puri, Tanveer Ghani, Denzil Smith, Neeraj Kabi

   Untertitel: Um Mitternacht die Freiheit.

   Anno 1947 wird Lord Louis Mountbatten mitsamt seiner Gattin Edwina nach Indien gesandt. Ein geachteter, erfahrener, überaus gewiefter Diplomat, und er hat eine gewichtige Mission: Er soll Indien sozusagen sanft hinüber in die lang schon fällige Unabhängigkeit geleiten, möglichst elegant, möglichst störungsfrei und möglichst so, dass die alte Kolonialmacht sich graziös zurückziehen kann vom Ort ihrer einhundertfünfzigjährigen Herrschaft. Kaum angekommen versteht Mountbatten aber, dass diese Aufgabe kein Selbstläufer sein wird – Indien ist am Rande eines verheerenden Bürgerkriegs, ist tief gespalten in eine hinduistische und eine muslimische Fraktion, mit den Sikhs als dritte bedeutende religiöse Gruppe. Mountbatten gehört zu denen, die ein vereintes Indien in Zukunft favorisieren, so wie vor allem Gandhi das tut, während andere wie Nehru eine Teilung befürworten. Der Führer der Muslime, Muhammad Ali Jinnah, äußert klare Forderungen in Bezug auf das Territorium, das er sich für den neuen Staat Pakistan, einen rein muslimischen Staat vorstellt. Mountbatten bewegt sich mehr und mehr auf die Seite derer, die Indien teilen wollen, weil täglich neue Schreckensmeldungen von Massakern überall im Lande eintreffen und er glaubt, ganz schnell eine Lösung herbeiführen zu müssen, um einen Krieg zu verhindern. Damit handelt er gegen seine eigene Überzeugung und auch gegen den drängenden Rat seiner Ehefrau, die ihn beschwört, der ganzen Sache mehr Zeit zu geben. Er berät sich mit Churchill in London, der beglückt über seinen Sinneswandel ist, wieso, begreift er erst, als es zu spät ist. Nach harten Verhandlungen kann er Jinnah dazu bringen, einen Kompromiss zu akzeptieren, und in aller Eile werden Grenzen gezogen, die ein großes Pakistan im Nordosten und eine kleine Enklave ganz im Westen abtrennen. Besonders umstritten und riskant sind Gebiete wie der Punjab oder Bengalen, in denen Muslime und Hindus seit jeher eng beieinander leben und klare Grenzen unmöglich zu ziehen sind. Dennoch wird es getan, in aberwitzigem Tempo und gegen jede politische Vernunft. Die Folgen allerdings hat Mountbatten nicht vorausgesehen und auch nicht gewollt: Ein Land im Chaos, seit langem bestehende soziale Strukturen in der totalen Auflösung, Gewalt und Flüchtlingselend fast im ganzen Land, hunderttausende Tote, Millionen auf der Flucht, die Muslime in ihr Gebiet die Hindus in ihres. Was Mountbatten auch nicht vorausgesehen hat: Er war nur ein Spielzeug der Briten und Amerikaner im Kalten Krieg. Churchill hatte bereits einen fertigen Pakistan-Plan in der Schublade, mit konkreten Grenzen und einer konkreten Absicht: Die Russen vom Meer und den lukrativen Ölvorkommen fernzuhalten, und genau dazu sollte Pakistan dienen, sollte den Korridor nach Süden dichtmachen und den Westmächten das Öl sichern. Praktische Politik halt.

   Soweit eine faszinierende, bittere, extrem spannende und aufregende Geschichte, die auch noch Gurinder Chadhas eigene Familiengeschichte ist, denn ihre eigene Großmutter war unter den Flüchtlingen und hat es dann offenbar bis hinüber nach Ostafrika geschafft, Kenia genauer gesagt, wo Chadha geboren wurde. Dass ihr das Thema also am Herzen liegt, ist klar und verständlich, und der sogenannte „offizielle“ Teil, der sich mit dem politischen Ringen um die Zukunft des Landes beschäftigt, ist durchaus okay, auch wenn mich zwischendurch mal der Verdacht beschlich, dass Hugh Bonnevilles ungeheuer nobler Lord Mountbatten vielleicht ein bisserl arg gut davongekommen ist. Aber egal, Chadha versteht sich auf vitales, farbiges, kraftvolles Kino, und soweit hab ich keine Einwände, hatte ich zum Beispiel auch nicht bei Deepa Mehtas „Mitternachtskinder“, der inhaltlich so ziemlich dort anfängt, wo dieser Film hier aufhört und der ebenfalls ganz ungeniert auf die Emotionen zielt. Auch die Szenen, die sich ausführlich mit der Spaltung beschäftigen, die mitten durch die Bediensteten im Viceroy’s House geht und die ausgenfällig machen, mit welch explosivem und hochempfindlichen Potential man es hier zu tun hatte, haben durchaus Sinn und Berechtigung, weil sie mir ein Gefühl dafür geben, was die Brits mit ihrer Kolonialpolitik bezogen auf jeden einzelnen Menschen dort angerichtet haben. Und welche letztlich unkontrollierbare und noch heute virulente Dynamik sie mit ihrer Hochnäsigkeit und Ignoranz losgetreten haben. Wogegen ich aber entschiedene Einwände habe, ist die klischeehafte Bollywood-Liebesgeschichte, die Chadha ihrem Film überflüssigerweise noch untergejubelt hat. Muslimisches Mädchen liebt Hindu-Boy und muss sich zwischen Familienloyalität und ihrem Gefühl entscheiden, hach ja. Vielleicht kann Chadha einfach nicht raus aus ihrer Haut, vielleicht dachte sie, dies sei der geeignete Weg, um auch der Popcornfraktion ein wichtiges historisches Thema nahezubringen, egal was sie sich dachte, mich hat’s gestört, teilweise wirklich sehr, und mich hat’s vor allem kein Stück interessiert, weil der ganze Gefühlsschwulst schon hundertmal zu sehen war und man Stück für Stück vorausahnen kann, was geschieht – die Liebenden werden getrennt, er hält sie für tot, und schließlich finden sie im wirren Chaos wieder zueinander. Mag sein, dass ich ein toter Fisch bin, aber ich hätte super gern auf diese Story verzichtet und mich dann schon lieber auf die offizielle Geschichtsschreibung beschränkt, denn die kriegt Chadha wie schon gesagt gut hin.

 

   So ist dies ein großer, bunter, streckenweise auch leidenschaftlicher und bewegender Film, der sich selbst ausbremst, und das tut mir leid, denn die Geschichte der sogenannten Freiheit Indiens bietet schon Anlass für einen scharfen Blick auf die britische Kolonialgeschichte und auf Moral und Doppelmoral der westlichen Welt im Umgang mit der sogenannten Dritten Welt, die ja immer gern instrumentalisiert wurde, vor allem, wenn’s um Rohstoffe und gegen die bösen Russen ging. Rundum überzeugt hat mich Chadha diesmal leider nicht, da halte ich mich eher an ihre Kollegin Mehta oder auch an den ollen Gandhi-Film vom Herrn Attenborough – aber der präsentiert uns ja wieder eher die westliche Sicht der Dinge... (15.8.)