Çe qui nous lie (Der Wein und der Wind) von Cédric Klapisch. Frankreich, 2017. Pio Marmaï, Ana Girardot, François Civil, Maria Valverde, Yamée Couture, Florence Pernel, Jean-Marie Winling, Karidja Touré, Éric Caravaca
Wieder mal so ein doofer deutscher Titel, der komplett und systematisch am Thema vorbeigeht, der aber sofort verrät, auf welche Zielgruppe der deutsche Verleiher spekuliert. Wir sollen uns in einem typisch französischen Wohlfühlfilm wähnen, diesmal einen aus dem Weinanbaugebiet des Burgund – und zwei Stunden später wissen wir es besser, obwohl Cédric Klapisch in dieser Hinsicht nicht ganz unverdächtig ist, zugegeben. Dies ist keiner dieser französischen Wohlfühlfilme, die seit Jahren schon in inflationärer Weise unsere Kinos verstopfen, dies ist ein guter Film, ein richtig guter sogar, und leider gehen diese beiden Kategorien nur sehr selten einher miteinander.
Der französische Titel umreißt anders als der deutsche ziemlich exakt, worum es geht: Das, was uns verbindet. In diesem Fall Familie. Verbinden heißt ja nicht immer im positiven Sinne, gerade in Familien kann die Verbindung auch belastend, schwierig, konfliktreich sein, doch sie ist da. So wie bei den drei Geschwistern hier, aufgewachsen auf dem elterlichen Weingut im Burgund. Jean, der Älteste, Juliette, die Mittlere, und Jérémy, der jüngste. Eng verbunden miteinander, dem Land, dem Wein, mit dem sie ganz selbstverständlich aufwachsen, und ebenso selbstverständlich scheint es, dass alle drei in die Fußstapfen des strengen Vaters treten. Doch Jean verlässt sie, befreit sich von der erdrückenden, ungnädigen väterlichen Dominanz, reist um die Welt, immer allerdings in Sachen Wein, landet in Australien, wo er eine eigene Familie gründet, allerdings mit höchst ungewisser Zukunft. Viele Jahre lang ist der Kontakt total abgerissen, Jean versäumt den Tod seiner Mutter, die Geburt seines Neffen, Jérémys Erstgeborenem, und erst als ihn die Nachricht von der schweren Erkrankung des Vaters erreicht, macht er sich auf den Weg nach Hause. Das Wiedersehen der drei ist nicht gerade unbefangen, und bald darauf ist der Vater tot, und die drei bleiben zurück mit einem Erbe, das sie gemeinsam antreten müssen, das sie erneut zusammenzwingt und das ihnen obendrein einen mordsmäßigen Haufen Erbschaftssteuern beschert und sie dazu zwingt, bald eine Entscheidung treffen zu müssen. Verkaufen im Ganzen oder nur ein paar Teile, gemeinsam weitermachen oder aufgeben. Das Testament des Vaters lässt keine Halbheiten oder Kompromisse zu, erst recht keine Alleingänge. Die drei Geschwister müssen zusammen und einstimmig entscheiden, und abgesehen von der angespannten Stimmung nach Jeans Rückkehr hat jeder der drei noch für sich ganz eigene Probleme. Jérémy ist verheiratet mit einem benachbarten Großgrundbesitzer, der ihn nicht für voll nimmt und ihm dauernd sagen will, was er wie zu tun hat.
Juliette leidet zunehmend unter der großen Verantwortung, die sie lange schon ganz allein trägt, und sie wünscht sich mehr Unterstützung von den Brüdern. Und Jean telefoniert zwar fast täglich mit Australien, mit seiner Frau Alicia und ihrem gemeinsamen Sohn Ben, doch immer gibt‘s Streit mit ihr und er kann sich zu nichts entschließen, verlängert seinen Aufenthalt daheim Monat um Monat. Schließlich reisen Alicia und Ben nach Frankreich und helfen damit Jean, für sich klarer zu sehen, wohin er gehört. Gleichzeitig nähern sich die drei Geschwister immer mehr an und beschließen, keine Konzessionen zu machen, nicht zu verkaufen, sondern es aus eigener Kraft und vor allem mit eigenen Qualitätsmaßstäben zu versuchen. Und Jérémy und seine Frau verlassen die Umklammerung der Schwiegereltern und ziehen zu Juliette, machen das Elternhaus ganz neu und schön. Jean überlässt den beiden seinen Anteil, nimmt ihnen aber das Versprechen ab, ihn zu unterstützen, falls er in Australien Hilfe mit seinem Wein benötigt, und geht zurück nach Australien, wo jetzt seine neue Familie lebt.
Klapisch erzählt in sehr ruhigem, sicherem, atmendem Rhythmus, er lässt Bilder und Musik sprechen, den Wechsel der Jahreszeiten, die spröde Poesie des Landlebens, das hier wenig mit Romantik zu tun hat, mehr mit harter Arbeit. Konflikte und Glücksmomente liegen nahe beieinander, Trauer, Frust, Vorwürfe kommen ebenso vor wie Liebe, Nähe, Zusammenhalten. Wir das halt in guten Familien so ist. Vor allem Jean kämpft sehr mit seinen Erinnerungen, denn sie sind schmerzhaft, wehmütig und durchaus nicht nur positiv. Er als Ältester hatte ständig die Verantwortung für die beiden Jüngeren, er wurde besonders hart und streng beurteilt, gerade im Vergleich zu Juliette, die in Jeans Erinnerung stets bevorzugt und geliebt wurde. Jean kommt zu spät, um mit seinem Vater endlich zu sprechen, denn der Vater ist bereits verstummt, doch gibt‘s einen nie abgeschickten Brief von ihm, in dem das steht, was er seinem Sohn nach Männerart nie persönlich sagen konnte. Auch Juliette und Jérémy dringen auf ihn ein, fordern Rechenschaft, Erklärungen, sodass Jean, der eigentlich am liebsten alles abblocken und sich völlig zurückziehen würde, immer wieder aus der Reserve geholt wird, erst recht als Alicia aufkreuzt und er endlich Farbe bekennen muss. Also geht’s in diesem Film nur nebenbei um Wein – ich meine, natürlich geht es um Wein und alles, was damit zu tun hat, und auch um die Verhältnisse, mit denen sich Winzer heutzutage auseinanderzusetzen haben, aber vor allem geht es hier um eine Familie, um jeden einzelnen davon, um ihre Wurzeln, das, woran sie glauben und womit sie sich zutiefst verbunden fühlen und was letztlich sehr viel stabiler und dauerhafter ist als ihre brüchigen persönlichen Bindungen. Doch natürlich gibt es die auch – sehr vieles bleibt unausgesprochen, bleibt den Blicken vorbehalten, den kleinen Gesten, doch die Liebe und die Solidarität sind da, sie müssen nach den vielen Jahren nur wieder reanimiert werden.
Diesem Prozess widmet sich Klapisch im Wesentlichen, und er hat das sehr gefühlvoll getan, mit Poesie, Humor, präzisem Blick für Details und vor allem für Atmosphäre, das Zwischenmenschliche. Der Weinbau im Burgund erwacht tatsächlich für uns zum Leben, und selbst wenn man wie ich mit dem Milieu nicht vertraut ist, meint man am Schluss wirklich mit allen Sinnen daran teilgehabt zu haben. Eine tolle Regieleistung also, sicherlich Klapischs beste bislang, einhergehend mit tollen Akteuren, die keine Stars sind (jedenfalls nicht hier bei uns), sondern ausgesprochen uneitel und natürlich agieren und einfach perfekt sind für ihre Rollen. Ja, und nach solch einem Film fühle ich persönlich mich hundertmal wohler als nach jenen, die so aufdringlich drauf aus sind… (17.8.)