Miss Sloane (Die Erfindung der Wahrheit) von John Madden. Frankreich/USA, 2016. Jessica Chastain, Mark Strong, Gugu Mbatha-Raw, Allison Pill, Michael Stuhlbarg, Jake Lacy, Sam Waterston, John Lithgow, Meghann Fahy, David Wilson Barnes, Raoul Bhaneja, Chuck Shamata, Grace Lynn Kung
Zwischendurch, also zwischen all dem Marvel-Murks und sonstigen Franchise-Gedöns, hauen die Amis immer mal einen Film raus, der zeigt, was sie eigentlich draufhaben, wenn sie wirklich wollen. In diesem Falle sind natürlich ausländische Produzenten und auch ein ausländischer (nämlich britischer) Regisseur beteiligt, und gedreht wurde wohl vorwiegend in Toronto, aber shitegal, die Story ist hundertprozentig amerikanisch, der Filmstil eigentlich auch, und ihre seit jeher unerbittlich durchgezogene Masche, mit Emotionen Wirkung zu erzielen, ist ja auch nicht grundsätzlich übel, sondern hat regelmäßig auch tolle Resultate erbracht – wie zum Beispiel in „Miss Sloane“, einem der hochklassigsten und faszinierendsten US-Politthriller seit sehr langer Zeit und absolut in einer Reihe mit brillanten Produktionen wie „Spotlight“ oder „Ides of march“ oder so.
Bei der Protagonistin Miss Sloane handelt es sich um eine sogenannte Lobbyistin. Ich geb gern zu, dass dieser Berufszweig in meinem kleinen Altenpflegerhirn bislang noch nicht so präsent war, aber nun ist er es, garantiert. Lobbyistin ist eigentlich auch nur ein hübsches Wort für Strippenzieherin, das sind offenbar Leute, die gekauft werden können, um irgendwelcher Kampagnen zu lancieren oder andere Kampagnen zu diskreditieren. Mehrheitsbeschaffer, Intriganten, was weiß ich noch. Elizabeth Sloane nun ist von allen die abgebrühteste, härteste, erfolgreichste, skrupelloseste. Egal, worum es geht, sie hängt sich immer voll rein in den Job und kennt absolut kein Pardon und keine Verwandten, wenn es darum geht, erfolgreich zu sein. Die Agentur, für die sie tätig ist, wird nun von einem Vertreter der allmächtigen Waffenindustrie angesprochen. Ein Gesetzesentwurf mit Namen Heaton-Harris droht, der stärkere Regulierungsmöglichkeiten vorsieht, und das können die Söhne Uncle Sams natürlich unmöglich dulden, das wäre ein krasser Einschnitt in die persönliche Freiheit und ein Widerspruch gegen den zweiten Zusatz der allerheiligsten Verfassung. Also soll Miss Sloanes Agentur dafür sorgen, dass der Entwurf nicht durchkommt und alles bleibt, wie es ist. Irgendwie jedoch sticht die gute Frau just in diesem Moment der Hafer und sie beschließt, flugs zur Gegenseite überzulaufen und sich für die Fraktion derjenigen zu engagieren, die schärfere Waffenkontrollgesetze befürworten. Sie inszeniert einen spektakulären Abgang, nimmt gleich die Hälfte des Teams mit, außer ihrer Kollegin Jane, die sie eigentlich als Nachfolgerin aufgebaut hatte. Schon steht eine andere Agentur auf der Matte, Peterson Wyatt heißen die, und ihr Chef Rodolfo bemüht sich um Miss Sloans Dienste. Was er noch nicht verstanden hat – er muss ihr gar kein riesiges Angebot machen, allein die Aussicht zu gewinnen ist ihr schon Ansporn genug. Sie schmeißt sich mit Feuereifer auf den Job, baut sofort ein Team zusammen, das systematisch daran geht, die Senatoren in den einzelnen Staaten dazu zu bringen, den neuen Gesetzesentwurf doch abzunicken, auch wenn sie eigentlich schon ablehnen wollten. Und Miss Sloans Team ist rasant erfolgreich, bis sich endlich die siegessichere Waffenlobby rührt und anfängt, mit härteren Bandagen zu kämpfen. Es wird hässlich, es wird dreckig, es wird rau, Miss Sloane und ihr Team geraten böse unter Druck, es geht vor eine Annäherung durch Senator Sperling, der selbst von der Lobby gekauft wurde, um Miss Sloan öffentlich mit Schmutz zu bewerfen. Da hat er aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht…
Das Ende ist schlicht umwerfend: Miss Sloane zerlegt den schwitzenden Senator vor versammelter Manschaft nach allen Regeln der Kunst, fährt für ihre Kampagne einen krachenden Sieg ein und könnte eigentlich als die Heldin des Tages in den Abendnachrichten erscheinen. Doch in einer langen, sorgsam ausgefeilten Rede erklärt sie, weshalb sie diesen einen, zugleich größten und wohl auch letzten Sieg nicht genießen kann. In ihrem Gesicht sieht man keine Spuren jener Selbstzufriedenheit und Befriedigung, jener scheinbar durch nichts zu erschütternder Selbstsicherheit die man zuvor stets an ihr sah. Betroffenheit und Ernst sehen wir stattdessen, gespiegelt im Gesicht ihrer jungen Kollegin Esme, die Miss Sloane gegen deren Willen praktisch ins Rampenlicht gestoßen und damit akut in Lebensgefahr gebracht hatte. Dieser Sieg schmeckt nicht süß, er schmeckt bitter, weil er dreckig ist, genauso dreckig wie das ganze Geschäft, wie die ganze Politik in unserer scheißschönen neuen Welt. Hier nun am Ende der Geschichte scheint es, als sei Miss Sloane über sich selbst erschrocken, darüber, wie weit sie zu gehen bereit war, nur um zu gewinnen. Die Sache an sich zählt längst nicht mehr, hat für sie im Grunde nie gezählt. Genau genommen ist es total egal, für was oder wen sie arbeitet, ihr geht’s immer nur ums Gewinnen, und dafür würde sich buchstäblich alles tun. Erst als Esme von einem Waffenfreak bedroht und beinahe getötet wird (um dann von einem anderen Waffenfreak gerettet zu werden, zum großen Entzücken der Lobby natürlich), zeigt Miss Sloane eine Reaktion, wird ihr auf einmal klar, wie gedankenlos sie die junge Frau der Öffentlichkeit preisgab, ohne an mögliche Konsequenzen zu denken. Und das ist eine ganz neue Erfahrung für sie, denn ihr Credo lautet: Eine wirklich gute Lobbyistin sieht den nächsten Schritt ihres Gegners voraus und kann ihm stets zuvorkommen. Und das hat diesmal nicht funktioniert und hat Miss Sloan zugleich irgendwie erschüttert. In diesen Momenten ist sie dann doch fast menschlich, angreifbar, sogar von so etwas wie Gefühlen gesteuert, auch wenn sie sich die eigentlich gar nicht leisten kann. Ansonsten tritt sie als eiskalte, wild entschlossene und genial begabte Superbitch auf, die neben ihrem Job kein Leben hat und sich höchstens ml einen Callboy ins Hotel bestellt, an dem sie sich dann abreagieren kann. Einer davon, Mr. Forde, wagt sich weiter vor, versucht, ihre Fassade irgendwie einzureißen und wird bei der Anhörung vor dem Senat eine entscheidende Rolle spielen – unerwarteterweise zugunsten von Miss. Sloane. Sie weiß genau, das sie verletzlich ist, sobald sie jemanden an sich heranlässt, wie weiß aber auch, dass sie dieses Leben im Paralleluniversum der Lobbyisten nicht ewig leben kann. Stattdessen lässt sie sich in den Knast stecken und scheint dort tatsächlich zur Ruhe zu kommen.
Abgesehen von „The Debt" habe ich John Madden als Regisseur nie so stark erlebt wie hier. Er erzeugt mit verhältnismäßig unspektakulären Mitteln einen derart intensiven, hypnotischen Sog, dass ich über gut einhundertdreißig Minuten vollständig gebannt war. Die Mechanismen der Meinungsmache, der Beeinflussung, der Einschüchterung, der Macht werden in haarsträubenden Sequenzen bloßgelegt, ebenso wie die bittere Tatsache, dass es vor allem diese Mechanismen sind, die unsere Gesellschaft vorantreiben. Nun ist das Thema Waffen und der Umgang damit in den USA von besonderer Brisanz und Absurdität, denn je mehr Menschen Jahr für Jahr durch Schusswaffen ums Leben kommen, desto impertinenter und hartnäckiger klebt die Waffenlobby an ihrem ureigenen 2. Zusatz, der offenbar allein für sie verfasst wurde und aus dem sie das Recht ableiten, überall und jederzeit so viele Waffen wie es ihnen beliebt anzuhäufen, um immer bereit zu sein, ihre heilige Freiheit zu verteidigen. Das Fiese an dem Film ist, dass Miss Sloane, die ihnen nun die Hölle heißmacht, alles andere als ein Friedenengel oder eine überzeugte Pazifistin ist oder überhaupt irgendeine wirkliche Überzeugung vertritt. Sie will einfach nur gewinnen, sie will die Beste sein, und da kommt ihr diese prestige- und vor allem öffentlichkeitsträchtige Schlammschlacht genau recht. Kein Schmierentheater ist mies genug, um nicht von einer der beiden Seiten aufgeführt zu werden, keine Nachrede ist zu übel, kein Trick zu perfide – und nie, nie geht es um die Sache, immer nur geht’s ums Gewinnen. Esme ist ein besonders drastisches Beispiel für dieses schmutzige Spiel: Als Überlebende eines Schulmassakers dient sie zunächst den Befürwortern des neuen Gesetzes, als neuerliches Opfer eines Überfalls nun spielt sie der Waffenlobby in die Karten, die ihren Retter als Nationalhelden feiert. Das ist manchmal atemberaubend komisch, häufiger aber abgrundtief widerlich und zum Erbrechen. Wie gut also, dass unsere Miss Sloan am Schluss ein Einsehen hat und eine Läuterung erfährt, die die Story vor dem totalen Zynismus bewahrt. Nicht auszudenken, wie wir dagesessen hätten, wenn sie triumphierend und zugfrieden grinsend aus der Anhörung und direkt auf ihren nächsten Fall zumarschiert wäre. Jessica Chastain liefert eine furiose Ein-Frau-Show ab, flankiert von erstklassigen Kollegen, und wie sie den Film über die gesamte lange Distanz trägt, das verdient allergrößten Respekt. Ein brillant geschriebenes, inszeniertes und gespieltes Drama, das wirklich eine Menge zu sagen hat über unsere Welt von heute und dabei nicht eben zimperlich zu Werke geht. Fucking great stuff! (12.7.)