Die göttliche Ordnung von Petra Volpe. Schweiz, 2017. Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig, Peter Freiburghaus, Sibylle Brunner, Marta Zoffoli, Bettina Stucky

   Ein Historienfilm aus dem Mittelalter. Das dauerte in einigen Ländern bekanntlich etwas länger an. In der Schweiz zum Beispiel bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es herrschte dort noch immer jene göttliche Ordnung, die die Hierarchie der Geschlechter bestimmte und dafür sorgte, dass Männer und Frauen jeweils ihren Platz fanden. In der Praxis sah das so aus: Der Mann geht hinaus ins feindliche Leben, verdient den Lebensunterhalt der Familie und ist folglich deren Oberhaupt. Die Frau bleibt daheim, sorgt für die Kinder, macht den Haushalt, wäscht, putzt, kocht  und tut überhaupt alles, um dem Oberhaupt der Familie ein behagliches, schmackhaftes Zuhause bieten zu können. Die göttliche Ordnung wird, weil sie eben göttlich ist, also von ganz oben kommt, als unumstößlich hingenommen und zu keiner Zeit angefochten. Die göttliche Ordnung sieht einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, der schon darin begründet ist, dass der Mann hinaus ins Leben tritt und die Frau daheim bleibt, und daher ist es nur logisch, dass der Mann ein öffentlicher Mensch ist und die Frau ein privater. Und ein privater Mensch weiß nichts von Politik und will auch gar nichts davon wissen, und deshalb muss er auch nicht wählen gehen, weil er eh keine Ahnung hat. So war es immer und wieso sollte sich das nun ändern? Nora lebt mit Mann und zwei Kindern in einem kleinen Dorf, wo noch ganz besonders intensiv das Mittelalter herrscht. Sie hat bisher über den Sinn oder Unsinn der göttlichen Ordnung nicht nachgedacht, doch irgendwann stolpert sie in der nächstgelegenen Kleinstadt mal über ein Flugblatt, und auf einmal fällt ihr auf, wie oft sie von ihrem Hans, der es bestimmt nicht bös meint, kleingemacht wird. Der Hans jedenfalls hat auch gar keinen Grund, an der göttlichen Ordnung zu rütteln, die Männer im Dorf ja eh nicht. Nora war in letzter Zeit nicht besonders glücklich, aber auch nicht besonders unglücklich, normal halt, und sie ist noch nicht auf die Idee gekommen, dass das Leben ihr noch mehr bieten könnte. Sie ist im Grunde gar kein rebellischer oder kämpferischer Typ, aber weil sich der Hans so dumm und bockig anstellt und auch im Kleinen schon nicht nachgeben mag und ihr erst recht nicht erlauben mag, eine Beschäftigung als Sekretärin in einem Reisebüro anzunehmen (denn die Frauen im Mittelalter waren auf die Erlaubnis ihrer Gatten angewiesen…), wird sie unversehens immer mehr in Richtung der protestierenden Frauen gedrängt. Die demonstrieren in Zürich, fordern gleiche Rechte, Wahlrecht zum Beispiel, fordern ein Ende der Abhängigkeit von ihren Männern, organisieren sich in Selbstfindungskreisen und beschäftigen sich auch mit anderen Frauenthemen, beispielsweise ihrer Sexualität. Im Mittelalter ein ganz dunkles Thema, wie man sich denken kann, und auch der Hans guckt total verstört, als seine Nora plötzlich was von Vagina und Orgasmus spricht, zwei Dingen also, von denen er zuvor noch nie gehört hat. So bringt Nora allmählich etwas Unruhe ins Dorf, schart einige Frauen um sich, und plötzlich zeigt sich, dass es durchaus auch im Dorf einige gibt, die mit dem Status Quo alles andere als zufrieden sind und auf Veränderung drängen. Die Herren allerdings sind gar nicht amüsiert, sie sehen die göttliche Ordnung gefährdet, und so hängt der Frieden im kleinen Dorf bald gehörig schief. Sogar Noras Ehe droht den Bach hinunterzugehen, denn sie besteht darauf, die Stelle im Büro anzunehmen und sie besteht auch darauf, dass sich ihre Position als Hausfrau und Mutter ändert. Abgesehen von ihrem Engagement für das Frauenwahlrecht, was ihn vor allem im Kreis der spöttelnden Arbeitskollegen in die Bredouille bringt. Kurz bevor jede Menge Porzellan zerschlagen wird, raufen sich die beiden aber wieder zusammen, Hans akzeptiert wohl oder übel, dass seine Nora sich ein wenig emanzipiert und auch so etwas wie sexuelle Bedürfnisse hat. Und dann kommt per Referendum im Februar 1971 das Frauenwahlrecht tatsächlich durch – das heißt, die Männer, die ja bis hierher allein stimmberechtigt sind, gewähren ihren Frauen gnädig das aktive und passive Wahlrecht und Stimmrecht bei politischen Entscheidungen. Wie wir aber im Abspann erstaunt lesen, waren nicht alle Kantone so enorm progressiv: In einigen erhalten die Frauen das Wahlrecht deutlich später, zuletzt dann in den beiden Appenzeller Kantonen in den Jahren 1989 und 1990 – kein Witz…!

 

   Petra Volpe hat daraus einen Film gemacht, der nicht in erster Linie, wie vielleicht zu befürchten war, auf den platten Komödieneffekt zielt, ganz im Gegenteil. Zwar wirkt „Die göttliche Ordnung“ in einigen Teilen ein wenig hölzern, was aber auch größtenteils der ärgerlich gestelzten, fast unbeholfenen hochdeutschen Synchronisation zu verdanken ist, doch im Grunde bringt er viele Aspekte eines Themas zur Sprache, die für die Bewohnerinnen und Bewohner eines schweizerischen Bergdorfs in jenen fernen Tagen relevant gewesen sein müssen. Und er zeigt nachdrücklich, dass das mit der göttlichen Ordnung so lustig gar nicht war, denn die Herren der Schöpfung reagieren im Ernstfall äußerst verständnislos und rabiat, und die Frauen sind sich leider auch nie ganz einig, weshalb keine übergreifende Solidarität zustande kommen kann. Das skurrile Hinterwäldlertum wird natürlich zur Zielscheibe einiger Ironie, doch verstehen wir jederzeit, dass die Lage gerade für die Frauen nicht rosig war, und Petra Volpe ist sogar tolerant genug, auch den Männern zuzugestehen, dass die ihrerseits vielfach Opfer verkrusteter, tradierter Werte und Normen waren, egal ob es ihnen gefiel oder nicht. Und man darf ja nicht vergessen, dass Verhältnisse wie die hier geschilderten auch in ländlichen Regionen anderer europäischer Länder durchaus gang und gäbe waren, und nur weil die Frauen beispielsweise in Deutschland schon 1918 wählen durften, heißt das ja noch lange nicht, dass sie auch in anderer Hinsicht gleichberechtigt waren. Hohn und Herablassung sind also absolut nicht angebracht. Trotzdem gibt‘s hier einiges zu lachen, wenngleich manches auch gleich wieder im Halse steckenbleibt, und dieses enge Nebeneinander, macht den Film reizvoll. Wie zum Beispiel auch in jener Selbstfindungssitzung, die Sophia Helin als hinreißend schräge Esoterikern moderiert – natürlich schmunzelt man über die Zeichnungen der verschiedenen Vaginatypen, andererseits aber versteht man(n) auch (falls man das bislang noch nicht verstanden hat…), wie eng Sexualität und Identität und Politik zusammengehören und wie strikt die Frauen auf diesen Gebieten seit jeher unterdrückt worden waren. Die vermeintliche Autorität der Herren schlägt dann ganz schnell in Angst und Aggression um, wie man auch hier erleben kann. Ein sehr unterhaltsamer, gekonnt fotografierter und gespielter Film, der vielleicht nicht mit dem Kopf durch die Wände geht, sondern sich wohl eher schwyzerischer Bedächtigkeit bedient, aber das macht er ziemlich gut und überzeugend. (9.8.)