Die Hölle – Inferno von Stefan Ruzowitzky. Österreich/BRD, 2016. Violetta Schurawlow, Tobias Moretti, Friedrich von Thun, Verena Altenberger, Robert Palfrader, Murathan Muslu, Stefan Pohl, Sammy Sheik
Der Ruzowitzky war schon immer einer, der sich was getraut hat und der zwischen seinen „seriösen“ Projekten immer mal einen handfesten Genrekracher rausgehauen hat, wenn man nur an die beiden „Anatomie“-Filme denkt, die vor plusminus anderthalb Jahrzehnten schon den Beweis antraten, dass sich auch im deutschsprachigen Raum solches Unterhaltungskino auf Augenhöhe machen ließ.
Diesen Beweis hat Ruzowitzky, falls es seiner überhaupt noch bedarf, nun wieder erbracht. „Die Hölle – Inferno“ ist ein mustergültiger, grimmig-böser Thriller randvoll mit finsterer Gewalt, spannender Action und einigen vortrefflich konzipierten und in Szenen gesetzten Gestalten. Allen voran natürlich unsere Heldin Özge, eine junge türkischstämmige Frau, die als Taxifahrerin in Wien ihren Lebensunterhalt verdient und sich halbwegs von ihrer Familie losgesagt hat – dem widerlichen Kinderfickervater, der nun nach einem Schlaganfall halbseitengelähmt und ein Pflegefall geworden ist, der Mutter, die all die Jahre tatenlos zusah, dem Bruder, der ebenfalls die Augen verschloss und sich arrangierte. Hier liegen die Wurzeln ihrer Einsamkeit, ihres Misstrauens und vor allem ihrer Wut, die sie vorzugsweise beim Thaiboxen abreagiert und die auch jene zu spüren kriegen, die sie unterschätzen und dumm anmachen wollen. Ihr Exfreund und Trainer schmeißt sie schließlich aus dem Club und ihre beste Freundin Ranya macht ihr Sorgen, weil sie in der Gegend herumvögelt und das bekanntlich nicht lange gutgehen kann. All dies wird nebensächlich, als sie eines Abends Zeugin eines grausamen Mordes an einer Frau wird und fortan vom Täter verfolgt wird. Die Polizei in Gestalt des abgehalfterten Kommissar Steiner nimmt sie nicht ernst, gewährt ihr keinen Personenschutz, doch als Ranya an ihrer statt ermordet wird und sie dem Unhold nur knapp entkommen kann, Ranyas kleine Tochter im Schlepptau, ändert Steiner seine Haltung, zumal sie auch noch feststellen konnten, dass der Mann, ein von religiösem Wahn besessener Muslim, bereits mehrere Frauen in verschiedenen Ländern auf die gleiche Weise totgequält hat. Nach einiger Recherche kann dann die Identität des Monsters ermittelt werden, da Steiner aber auch noch seinen demenzkranken Herrn Papa im Schach halten muss, ist Özge im entscheidenden Moment auf sich allein gestellt und muss den Kampf eigenhändig zu Ende bringen – was sie dann auch tut.
Gerade dieser Kampf, die halsbrecherischen Stunts im dahinrasenden Auto, überstieg nach Ansicht meines ewigen Mitstreiters hier und da die Grenzen der Wahrscheinlichkeit, und da mag er nicht ganz Unrecht haben. Hat mich persönlich aber nicht gejuckt, denn dies ist kein Film, der auf Realismus abhebt, im Gegenteil, er spielt mit den Regeln des Genres und dreht so lange an der Eskalationsschraube, bis wir alle ein wenig tiefer in den Kinosessel geklammert hocken und uns in diesem Augenblick herzlich wenig um die Frage kümmern, ob all dies denn noch im Bereich des Wahrscheinlichen abläuft. Ich habe mich jedenfalls nicht darum gekümmert und viel lieber die rasant und perfekt inszenierte Action genossen. Mit großen Überraschungen und trickreichen Wendungen müssen wir hier nicht rechnen – die Tätersuche an sich ist nicht das Thema, es geht vielmehr darum, ob und wie Özge diesem Mann schlussendlich entkommen, ob sie Ranyas Tod an ihm rächen kann. Für Özge geht es dabei noch um mehr, es ist auch ihr ewiger persönlicher Kampf gegen den Mann und die Gewalt der Männer gegen Frauen, so wie sie sie am eigenen Leibe bitter erlebt hat. Und weil sie ihren Hass am eigenen Vater nicht so auslassen kann, wie sie eigentlich möchte, kriegt‘s dann schon mal ein dummer aber im Grunde harmloser Kerl ab, der nicht weiß, mit wem er sich da anlegt.
Meine einzige Kritik an dem Film ist die, dass er sich für meinen Geschmack zu wenig Zeit lässt, um dieses Duell vernünftig zu entwickeln und auszuspielen. Die Hauptfiguren sind durchaus faszinierend und werden auch extrem gut gespielt, und ich hätte es wirklich gern gesehen, wenn sie noch etwas mehr Raum zur Entfaltung erhalten hätten. Özges tiefer Zorn steht dem des Mörders ja im Grunde in wenig nach, und ich wäre beiden gern noch etwas näher gekommen, doch bleibt inmitten der straff und zügig vorangetriebenen und für sich genommen auch sehr gelungenen und konsequenten Dramaturgie dazu schlichtweg keine Luft. Neunzig Minuten sind mir in diesem Fall zu kurz, vielleicht eine Konzession an eine bald anzunehmende TV-Ausstrahlung, aber so bleibt der Film in einigen Punkten unter seinen Möglichkeiten. Was aber nur in eingeschränktem Maße ein Problem für mich ist, denn an erster Stelle steht hier ja doch die Unterhaltung, und die hat allemal funktioniert. Dies ist dynamisches, effektvolles Mitternachtskino für die Großstadt mit einer tollen Hauptdarstellerin, und natürlich würd’s mich freuen, wenn gelegentlich mal ein Film wie dieser in unseren Kinos zu sehen wäre, denn abseits der mittlerweile arg routinierten TV-Krimiszene gedeiht hierzulande leider nur wenig. Da gilt es, die wenigen zarten Pflänzchen zu schützen und ihnen Erfolg zu wünschen. (24.1.)