The Nile Hilton incident (Die Nile Hilton Affäre) von Tarik Saleh. Schweden/Dänemark/BRD, 2017. Fares Fares, Mari Malek, Ahmed Selim, Hania Amar, Yasser Ali Maher, Mohamed Yousry, Hichem Yacoubi, Slimane Dazi, Ger Duany

   Im Nile Hilton zu Kairo wird eine Prostituierte ermordet. Ein sudanesisches Zimmermädchen sieht zuvor einen Mann aus ihrem Zimmer kommen. Dieser Mann wird identifiziert als Hatem Shafiq, ein sehr einflussreicher Baulöwe und Protagonist des neuen Kairo, das irgendwo in der Wüste entstehen soll. Folglich werden der polizeilichen Ermittlungen hübsch flach gehalten, womit Leutnant Noredin zunächst auch gar kein Problem hat. Erst als er sich in eine schicke Sängerin verguckt und die dann wohl vom selben Täter gemeuchelt wird, beginnt er, sich stärker persönlich zu engagieren, just in dem Moment übrigens, da die Ermittlungen offiziell eingestellt werden, damit dem Effendi Shariq auch ja niemand zu nahe tritt. Noredins Onkel und gleichzeitig Chef ermahnt ihn, sich zurückzuhalten, doch Noredin stöbert die Augenzeugin aus dem Hotel auf und setzt zu einem kleinen Privatfeldzug an, der dann aber in den revolutionären Unruhen vom Januar 2011 untergeht. Und es ist am Ende so, wie es immer ist und schon immer war: Die Großen und Reichen, die Unantastbaren aller Gesellschaften aller Zeiten kommen ungeschoren davon, Shariq braust in seinem SUV von dannen und der durch und durch miese und korrupte Onkel macht sich mit einem Koffer voller Geld vom Acker, während Noredin von wütenden Demonstranten zu Boden getreten tatenlos zuschauen muss.

   Die Moral von der Geschichte ist ebenso simpel wie allgemeingültig wie bitter, und sie prägt diese Story, die ein wenig im klassischen Krimigewand daherkommt, nur eben in die moderne Zeit versetzt. Wie haben den alles andere als heldenhaften Detektiv, der an sich ganz Teil eines total korrupten Systems ist und erst durch persönliche, emotionale Betroffenheit aufwacht und plötzlich versucht, gegen jenes System, das ihn jahrelang gut genährt hat, anzuschwimmen. Wir haben die zahlreichen mehr oder weniger mächtigen Repräsentanten des Systems in den verschiedensten hierarchischen Regionen, Uniformträger ebenso wie Wirtschaftsmänner und sogar Mitglieder der Staatssicherheit, die jede Menge Dreck am Stecken hat. Wir haben die schöne Frau, die unseren Helden sozusagen in Gang bringt, ihn indirekt animiert, seine gleichgültige und opportunistische Haltung aufzugeben und sich endlich mal für etwas wirklich einzusetzen. Wir haben eine Fülle unterschiedlicher kleiner Parallelgesellschaften – die Polizei, die Stasi, die Hochfinanz einerseits und dann die Emigranten, die Armen, die Kriminellen in den riesigen Ghettos andererseits. Und all das ist eingebettet in den gigantischen Moloch Kairo, der hier eingefangen wird in bemerkenswerten Bildern, die vor allem das gelbe, diffuse, vom ewigen Sandstaub getrübte Licht, den chaotischen Straßenverkehr, das wahnwitzige Gewimmel zwischen den Häusern fühlbar werden lassen.

   Also ein Krimi, der durchaus ganz bewusst mit Genrezitaten umgeht und sie insgesamt sehr überzeugend auf ein ganz anderes Milieu anwendet, denn wann hat man schon mal einen Krimi aus Ägypten gesehen? Und dabei ist das so naheliegend, denn Vettern-und Bakschischwirtschaft, Prostitution, Korruption und die kriminelle Macht der Wirtschaft und der Exekutivbehörden finden sich hier ebenso wie in wohl fast jedem x-beliebigen anderen Land auch. Der richtig böse Twist kommt allerdings erst ganz am Schluss ins Spiel, als es ausgerechnet jene sind, die für einen Umsturz der alten Ordnung kämpfen, die dem perfiden Repräsentanten jener alten Ordnung das Entkommen ermöglichen, indem sie seinen Verfolger niederprügeln, weil sie natürlich gar nicht begreifen, worum es zwischen den beiden geht. Und da sich zuvor auch der Herr Shariq von dannen machen durfte, kann man davon ausgehen, dass auch im „neuen“ Ägypten die alten Seilschaften intakt und einflussreich bleiben werden und sich im Endeffekt gar nicht so viel ändern wird. Zuvor erleben wir in sehr pointierten, zum Teil grimmig ironischen Szenen, wie sich das System sehr effektiv immer wieder am Leben erhält und gegen jeden Versuch der äußeren Anfeindung entschlossen zur Wehr setzt. Gegenseitige Protektion in Vollendung sozusagen, Zuschanzen von lukrativen Projekten, ein reger Geldfluss in jede Richtung und in viele große und kleine Taschen und dazu dann die wahlweise auch etwas weniger feinen Mittel wie Überwachung, Erpressung und Mord. Gewalt ist nicht sehr oft im Bild hier, wird dafür aber höchst effektvoll eingesetzt. Überhaupt ist der Einsatz herkömmlicher filmischer Mittel eher reduziert, der Ton wirkt reserviert, manchmal regelrecht nüchtern, und eine konventionelle Dramaturgie kommt auch nicht so recht zum Tragen. Wir erleben, wie Noredin langsam aber sicher hineingezogen wird in den Malstrom, wie er tiefer und tiefer vordringt in dem Sumpf und mehr und mehr begreift, wieviel verschiedene Leute und Gruppen involviert sind in einen zunächst ganz banal erscheinenden Mordfall.

 

   Der höchst markante Fares Fares ist ein erstklassiger Hauptdarsteller und darf hier zeigen, dass er viel mehr ist als nur ein exotischer Sidekick. Um ihn herum tummeln sich markante Typen und allgemein viele Leute, die zusammengenommen ein Teilabbild der ägyptischen Gesellschaft bilden mögen. Dieses Bild ist nicht immer sehr freundlich, dazu ist die Gesellschaft einfach zu heruntergekommen, dekadent, korrupt. Wenn am Ende die Revolution wie eine Welle darüber hinwegrauscht, bleibt hier ein deutliches Fragezeichen in Bezug auf die Zukunft des Landes. Ein starker Film aus Nordafrika, selten bei uns leider, aber wie immer hochinteressant. Es wäre den Leuten dort (und uns) sehr zu wünschen, dass sie irgendwann mal wieder eine exportfähige Filmkultur auf die Beine stellen können. (5.10.)