Agassi (Die Taschendiebin) von Park Chan-wook. Südkorea, 2016. Kim Min-hee, Kim Tae-ri, Ha Jung-woo, Cho Jin-woong
Zwei Frauen und ein Mann in den 30er Jahren, eine Intrige, ein Ränkespiel um Sex, Macht und viel Geld. Der Mann, ein Graf und gerissener Trickbetrüger, scheint die Fäden in der Hand zu haben, verbündet sich scheinbar mit der Taschendiebin Sokee gegen das wohlhabende Fräulein Hideko, um ihr Erbe abzuräumen, das noch unter dem Schutz ihres Onkels, eines perversen Finsterlings, steht. Geplant ist eine eilige Hochzeit, nach der Hideko für wahnsinnig erklärt und in einer geschlossenen Anstalt verbgraben werden soll. Und dann stellt sich auf einmal heraus, dass Sokee die Genarrte ist, denn der Graf hat sich ursprünglich mit Hideko verbündet, und nun soll Sokee Hidekos Identität annehmen und in der Anstalt verschwinden. Nun hat der einfältige Herr Graf aber ganz vergessen, dass Männer sich in Sachen Intrigen nie und nimmer mit Frauen messen können – und am Schluss sind die beiden widerlichen Männer tot, und die beiden Frauen treiben es fröhlich auf einem Fährschiff nach Shanghai.
Eine wahrlich schillernd vertrackte Geschichte, die uns eben deswegen gleich zweimal erzählt wird, erst einmal aus Sokees Perspektive und zum zweiten aus Hidekos Perspektive. Abschließend vereinen sich beide, und wir erleben den unschönen, gleichwohl verdienten Tod des Grafen und des Onkels und die Fahrt der beiden Frauen in eine offenbar glückliche Zukunft. Keine Unschuldslämmer die beiden, ganz gewiss nicht, aber einfach noch raffinierter als der Graf. Der Trick ist natürlich genial, und er funktioniert prächtig, führt zwei Hälften der Wahrheit zu einem Ganzen zusammen, wobei das mit der Wahrheit eben so eine Sache ist. Sowohl Sokees Geschichte als auch Hidekos sind in sich vollkommen folgerichtig und glaubhaft, und indem sie hintereinander gereiht werden, entziehen sie sich praktisch gegenseitig den Boden unter den Füßen, erschüttern unser Vertrauen in eine objektiv zuverlässige Version der Ereignisse. Der schönste Trick dabei ist, dass der scheinbar souveräne Drahtzieher im Hintergrund, der die beiden ihn liebenden und ihm hörigen Frauen mit männlicher Arroganz und sadistischem Vergnügen für seien Zwecke benutzt, am Ende selbst Opfer seines Plans wird, selbst völlig blind ist früh das, was sich früh schon zwischen Sokee und Hideko entwickelt, nämlich eine sehr intensive Liebe. Diese Liebe ist körperlich, wird ausgelebt und wird uns in einiger Ausführlichkeit vor Augen geführt – und schon entbrennen wieder Diskussionen um explizite Sexszenen, und ob sie in dieser Deutlichkeit nötig waren oder ob sie nicht vielleicht nur Parks Männerphantasie entsprungen sind und damit seinen ursprünglichen Absichten zuwider laufen und was weiß ich noch. An diesem Punkt waren wir schon mehrmals, da kommen wir immer wieder hin, mit offenen Erotikdarstellungen im Kino kann der Mensch einfach nicht umgehen, und wo Gewalt in jedweder Form längst alltäglicher Bestandteil der Kultur geworden ist, führt Sex immer wieder dazu, dass man sich unwohl windet und komischerweise nicht gern zugeben mag, dass unsere Phantasie natürlich angeregt wird, genau wie bei Gewaltszenen, nur sind Gewaltphantasien gesellschaftlich betrachtet halt viel konsensfähiger, warum auch immer.
Aber egal, ich habe die Erotik in diesem Film sehr genossen, warum soll ich’s nicht zugeben, zumal ich Erotik immer noch ungleich gesünder und sehenswerter finde als Tod und Krieg. Park hat einen sinnlichen, suggestiven und phasenweise auch grimmig abgründigen Film gedreht, denn besonders Hidekos Geschichte beschäftigt sich nachdrücklich mit Männerphantasien und ihren Folgen für die Opfer, die Frauen. Hideko muss auf Geheiß ihres Onkels einem erwählten Kreis distinguierter Herren aus japanischer Erotikliteratur vorlesen und wird vom Onkel regelmäßig brutal missbraucht. Mit Männern wird sie vermutlich keinen körperlichen Genuss mehr erleben, dafür aber mit Sokee, und Park betont besonders dieses Element des sinnlichen Genusses, der Befreiung als eine offensichtlich provokative Geste wider die gewohnte männliche Dominanz in Sachen Sex. Die kalte Selbstgewissheit des Grafen, der die Frauen zu leicht manipulierbaren Objekten zu degradieren scheint, endet schließlich unter der Foltermaschine des Onkels, und hier (glücklicherweise aber nur hier) lebt Park schließlich doch seine Vorliebe für krasse Bilder aus, die er sinnigerweise in seinem bislang einzigen Hollywoodausflug „Stoker“ im Schach gehalten hatte. Aber abgesehen von diesen kurzen hässlichen Einsprengseln ist der Film optisch gesehen ein Fest, ausgesprochen elegant und schön inszeniert, er erinnert in Teilen an andere Klassiker des asiatischen Kinos, beispielsweise von Zhang Yimou oder Nagisa Oshima, ist aber in jeder Hinsicht ganz eigen und zeigt einen Regisseur, der nach vielen arg wüsten und schwer verdaulichen Filmen womöglich in ruhigeren Gewässern angelangt ist, obwohl ich mir da nicht so sicher bin, dass dies wirklich von Dauer ist. Für den Moment freue ich mich über „Die Taschendiebin“, denn der ist wirklich klasse, weil er endlich mal wieder was anderes anspricht als nur meine niedersten Instinkte. (11.1.)