The lost city of Z (Die versunkene Stadt Z) von James Gray. Großbritannien/USA, 2016. Charlie Hunnam, Sienna Miller, Robert Pattinson, Tom Holland, Edward Ashley, Angus Macfadyen, Ian McDiarmid

   Solche Leute braucht das Kino – Abenteurer, Besessene, Visionäre, Getriebene, das sind die Leute, die die tollen Geschichten schreiben. Abenteuergeschichten, und die hab ich schon immer geliebt, das große epische Kino, die großen weiten Bilder, Bilder, die für zwei Stunden mal ganz raus führen aus dem Alltag, aber eben nicht gleich in irgendwelche galaktischen Sphären oder Marvel-Welten, mit denen ich nach wie vor nix anzufangen weiß. Lieber Geschichten, die auf die eine oder andere Art noch im wahren Leben geerdet sind, so wie diese, einmal mehr eine wahre Geschichte.

   Die Geschichte von Percy Fawcett, einem archetypischen Abkömmling der britischen Kolonialgesellschaft, zunächst Staatsdiener, unter anderem für den Secret Service, dann Mitglied der Royal Geographic Society, Vater einer kontinuierlich wachsenden Familie, vor allem aber Forscher und Entdecker. Sein ursprünglicher Auftrag 1906, einen drohenden Grenzkonflikt zwischen Bolivien und Brasilien im Amazonasdschungel beizulegen und für verbindliche Grenzvermessungen zu sorgen, gerät schon auf der ersten Expedition in den Hintergrund, als er mitten im Urwald, den angeblich noch keine Menschenseele zuvor, jedenfalls kein weißer Mensch, betreten hatte, Spuren findet, die möglicherweise auf eine uralte, gewaltige Zivilisation hindeuten. Vor allem die Sage einer prächtigen Stadt, die er fortan Z nennt, wird ihn für immer gefangen halten. Zwei Themen sind von nun an seine Antriebsfeder: Erstens die nachdrückliche Rehabilitierung der Indios, die von den Einfaltspinseln daheim in der RGS natürlich nach wie vor verächtlich als minderwertige Wilde abgetan werden und denen niemand zutraut, jemals eine ernstzunehmende Kultur unterhalten zu haben. Zweitens die wiederholte Erforschung des Amazonasgebiets und die Suche nach der verlorenen Stadt Z, von deren Existenz er seine Kollegen unermüdlich zu überzeugen versucht. Gegen Spott, gegen den Hohn seiner Widersacher behauptet er sich souverän, er gewinnt einige Mitstreiter, die ihn mehrmals begleiten werden, zum Beispiel Mr. Costin und Mr. Manley, er schafft es auch, Zweifel und Sorgen seiner Gattin Nina wieder und wieder zu überwinden und die Ansprüche seiner zwei Söhne beiseite zu wischen, denn ich Grunde ist er nur von einem Ziel besessen, und Dinge wie Familie treten für viele Jahre in den Hintergrund, und so wird er die Geburt des zweitens Sohnes und seiner Tochter verpassen. Er behauptet, der Stadt Z immer näher zu rücken, muss aber eine Expedition abbrechen, weil einer der Expeditionsteilnehmer schwächelt und Vorräte stiehlt, was später zu einer hässlichen öffentlichen Debatte in London führt.  Und dann kommt der Erste Weltkrieg dazwischen, und Fawcett lernt, dass der Dschungel nichts ist im Vergleich zur menschengeschaffenen Hölle. Manley fällt, Fawcett wird schwer verwundet und ist erstmal für Jahre außer Gefecht gesetzt, zieht sich mit der Familie aufs Land zurück, und erst der älteste Sohn Jack entfacht das Feuer erneut. Fawcett kann seinen alten Freund und Gefährten Costin, der nun auch Familienvater ist, nicht mehr überreden, ihn zu begleiten, und so brechen Vater und Sohn 1925 auf, um die sagenumwobene Stadt endlich zu finden. Sie werden von dieser Reise nicht zurückkehren, werden auch später von den zahlreichen Suchtrupps nicht gefunden.

   Dieses Verschwinden mitsamt möglichen Ursachen ist mindestens ebenso legendenbelegt wie die Stadt Z, aber das gehört ja auch dazu. James Grays Film rafft die Ereignisse naturgemäß und nimmt sich mit vielen Details sicherlich Freiheiten heraus, doch das hat keine Bedeutung. Das Porträt des rastlos Suchenden und Forschenden ist in sich vollkommen überzeugend. Fawcett war demnach alles andere als ein Spinner, ein Verrückter, ein Fitzcarraldo, sondern ganz im Gegenteil ein seriös und überlegt denkender, handelnder und beobachtender Mann, der Legenden und Aberglaube misstraute, der

allerdings die Indianerstämme ernstnahm und hoch achtete, ganz im Gegenteil zu den meisten seiner Kollegen daheim, die sich in die üblichen rassistischen Phrasen ergingen. Ein unbeirrbarer, unfassbar entschlossener, mutiger, ausdauernder Forscher, der erst dann Angst und Panik spürte, als er in den grauenhaften Gräben an der Somme lag und erkannte, dass nicht die Natur, sondern allein der Mensch die einzige Hölle auf Erden ist. Charlie Hunnam verkörpert diesen Percy Fawcett bravourös und dabei völlig unaufgeregt. Er fügt sich damit total in James Grays Gesamtkonzept ein, denn auch Gray liegt nichts am Spektakel, an lauten Sensationen. Er schafft einen faszinierenden Erzähl- und Bilderfluss, der sein getragenes Tempo über zweieinhalb Stunden hält, und der auch bei etwas belebteren Tableaus seine Atmosphäre der Intimität und Bedachtsamkeit nie verliert. Das ist schon eine besondere Kunst, einen solch gleichbleibend eindringlichen Sog zu erzeugen, besonders natürlich die Dschungelszenen sind bestechend gut inszeniert und transportieren die Faszination des Neuen, Unbekannten, Fremden, geben mir zumindest eine Ahnung davon, weshalb vor allem der weiße Mann unentwegt aufbrach, um ferne Länder, höchste Berge, tiefste Seen zu entdecken und zu erforschen. Fawcett ist dabei fast ein schizophrener Charakter – ruhig und stoisch an der Oberfläche, in sich aber völlig beherrscht von dem durchaus irrationalen und nur auf unbestimmbare Funde und Indianererzählungen basierenden Gedanken an die verlorene Stadt Z, wobei er selbst nie den Eindruck macht, allein seines eigenen Ruhms wegen unterwegs zu sein, im Gegensatz beispielsweise zu dem unsäglichen Mr. Murray, der sich brüstet, mit Shackleton am Südpol gewesen zu sein, im Urwald aber ein Bild des Jammers abgibt und nachher auch noch versucht, die Schuld auf Fawcett abzuwälzen und ihn zu einer öffentlichen Entschuldigung zu zwingen.

   Gray folgt dem Muster vieler klassischer Abenteuerfilme, doch diese Oldschool-Attitüde gereicht ihm in jeder Hinsicht zum Vorteil. Der Film ruht ganz in sich, wirkt unprätentiös, fokussiert, und vor allem die Kriegsszenen, die naturgemäß aus dem Rahmen fallen, geben im Kontrast zu allem übrigen einen starken Eindruck vom Ausmaß der Katastrophe und von den Folgen für die Opfer, die Betroffenen, die überlebenden. Das Ende Percy und James Fawcetts im Dschungel, in der Hand eines feindseligen Indianerstammes, wie hier suggeriert wird, erscheint dagegen fast schon undramatisch. Immerhin verrät uns der Nachspann, dass archäologische Entdeckungen aus unserem Jahrhundert Fawcetts Theorien und Fantasien möglicherweise unterstützen und zumindest von einer weitaus reicheren und älteren Indianerkultur im Amazonasgebiet zeugen, als bislang angenommen wurde. Vielleicht hat der alte Visionär auf lange Sicht doch Recht behalten… (5.4.)