Dunkirk von Christopher Nolan. England/USA/Frankreich/Niederlande, 2016. Fionn Whitehead, Tom Glynn-Carney, Jack Lowden, Harry Styles, Aneurin Barnard, Mark Rylance, Cillian Murphy, Tom Hardy, Kenneth Branagh, James D’Arcy

   Ein schönes Beispiel für einen Film, der inhaltlich nicht besonders interessant ist, der mich zumindest nicht besonders interessiert hat, der aber trotzdem unheimlich spannende und aufregend ist, einfach weil der Regisseur sein Handwerk beherrscht. Dabei ist Nolan einer, mit dem ich noch nie so richtig warm geworden bin, eben weil mich seien Filme thematisch nicht sehr reizen. Und weil er einer ist, dessen Filme ihre Cleverness sehr gern ausstellen, und zudem blasen die Kritiker allzu gern auch in dieses Horn und betonen, wie tiefgründig und komplex seine Filme zumeist sind. Tja, hat sich mir irgendwie noch nicht mitgeteilt. Würde auch für „Dunkirk“ nicht gelten, aber der besticht durch pure Kinetik, ist reines Kino, und diesmal hab ich auch das Gefühl, dass Nolan gar nicht mehr wollte, als gut unterhalten, dass er keinen philosophischen Kram im Sinn hatte, wie sonst gern behauptet. Es geht in „Dunkirk“ nicht mal in besonderer Weise um den Krieg, und eigentlich nimmt Nolan in keiner Weise Stellung zu dem Thema, es geht einzig und allein darum, durch ein geschicktes Erzählkonstrukt und brillantes Handwerk den reinen Überlebenskampf möglichst intensiv und aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen. Und das ist ihm fraglos perfekt gelungen.

   Verschiedene Perspektiven heißt in diesem Falle drei: Zu Wasser, auf dem Lande und in der Luft. Am Strand Nordfrankreichs hoffen und bangen hunderttausende britischer und französischer Soldaten auf eine kaum noch anzunehmende Rettung vor den anrückenden und sie erbarmungslos umzingelnden deutschen Truppen. Die höheren Ränge wissen: Viel wird nicht zu erwarten sein, denn die Befehlshaber wollen möglichst viel Material für die baldige Schlacht um England schonen. In der Luft machen sich ein paar Spitfire-Piloten ans Werk, die deutschen Bomber und Jäger daran zu hindern, immer wieder ihre mörderischen Angriffe auf die Soldaten am Strand und die Schiffe vor der Küste zu fliegen. Und gemeinsam mit vielen anderen macht sich in Südengland ein kleiner Kutter auf den Weg über den Kanal, um seinen Beitrag zur Rettung möglichst vieler ihrer Jungs zu leisten. Am Ende werden tatsächlich dreihunderttausend in Sicherheit gebracht, doch natürlich haftet der heroischen Aktion ungeachtet dessen der Ruch einer militärischen Schmach, Blamage und Niederlage an – also, wem sowas wichtig ist…

 

   Nolan arbeitet jeweils eine Handvoll Protagonisten heraus und schafft es, dass wir mit ihnen fiebern, obwohl wir nicht sonderlich viel über sie erfahren und sie uns als Menschen nicht sonderlich nahe gebracht werden. Doch ihr Wettlauf mit der Zeit und gegen die immer intensiver werdenden Attacken der Deutschen wird so effektvoll geschildert, dass ich auch gar nicht mehr über sie zu wissen brauchte und auch nicht wollte. Und Nolan wäre nicht Nolan, wenn ihm nicht doch irgendein ganz schlauer Trick eingefallen wäre, und so verschachtelt er die drei Perspektiven und gibt ihnen jeweils eine autonome Chronologie, erzählt nicht parallel, sondern verschoben. Das ist anfangs recht unübersichtlich, aber natürlich seeehr clever, und am Schluss fügen sich die drei Zeitebenen zusammen und münden in ein grandios montiertes und choreographiertes Spektakel, bei dem man wirklich nicht ruhig sitzen bleiben kann. Physisches Kino von höchster Intensität, dramatische, auf die sprichwörtliche Spitze getriebene Spannung, die sich allein um die Frage dreht, ob unsere Hauptfiguren lebend aus dieser verzweifelten Situation herauskommen werden. Hier wird nicht über Sinn oder Unsinn des Krieges reflektiert, hier werden gottlob auch keine patriotischen, markigen Sprüche geklopft, hier wird überhaupt sehr wenig gesprochen in den gut einhundert Minuten, hier geht’s buchstäblich einzig um Leben oder Tod. Ein konsequentes Konzept konsequent umgesetzt, würde ich mal sagen. Ein wenig Pathos kommt am Schluss natürlich doch noch auf, aber das war wohl kaum zu vermeiden und stört den Gesamteindruck nicht wirklich. Nolan inszeniert bestechend fokussiert und ohne seine üblichen selbstzufriedenen Mätzchen. Genauso bruchlos fügen sich die Schauspieler in das Ganze ein, auch die bekannteren Stars gehen komplett im Ensemble auf. Und zudem ist „Dunkirk“ wahrscheinlich der allererste Film, bei dem mir die Nennung Hans Zimmers im Abspann nicht das Mittagessen hochkommen lässt, denn der hat für Nolans Film einen wirklich großartigen Soundtrack entworfen, seinen besten bei weitem, einen unerbittlich treibenden, düsteren Klangteppich, dessen rastloser Rhythmus die Erzählung atemlos vorandrängt, der mir wirklich in den Magen fährt und der bis zum Schluss keine Ruhe gibt, solange nicht, bis die Überlebenden endlich in England angekommen sind. Ein ideales Beispiel für einen Soundtrack, der die Bilder wirklich ergänzt, verstärkt, der maßgeblich zu ihrer Wirkung beiträgt. Als Kriegsfilm im eigentlichen Sinne also ist „Dunkirk“ nicht wirklich geeignet, wohl aber als brillant gestalteter Hochspannungsfilm, und als solchen muss ich ihn dann auch nehmen. (2.8.)