Einmal bitte alles von Helena Hufnagel. BRD, 2017. Luise Heyer, Jytte-Merle Böhrnsen, Maxi Schafroth, Patrick Güldenberg, Stefano Bernadin, Gizem Emre, Sunnyi Melles, Boris Aljinovic, Jessica Schwarz
Vor ein paar Monaten hat uns André Téchiné gezeigt, wie das mit siebzehn ist, und wie schwer man es in dem Alter hat. Jetzt gehen wir also zehn Jahre weiter, und siehe da - mit siebenundzwanzig isses kein bisschen besser geworden! Kein bisschen klarer, kein bisschen selbstsicherer. Isi kann davon ein ganzes Lied singen – vor acht Jahren dem elterlichen Nest entkommen (vermutlich mit lautstarkem Triumphgeschrei), aber immer noch das Mädchenzimmer als doppelten Boden behalten, nun in einer WG mit der allerbesten Freundin Lotte, doch so recht will ihre Leben nicht vom Fleck kommen. Der ersehnte Job als Illustratorin liegt nicht grad auf der Straße herum, eine fiese Bitch mobbt sie aus dem Praktikum, an der Männerfront gäb‘s zurzeit nur skurrile Fehlschläge zu berichten, und es kommt noch ärger: Lotte lacht sich einen süßen Italiener an und verwandelt ihr Schlafzimmer Nacht für Nacht in eine Sexhöhle, Isi nebenan kann nur Schäfchen zählen und flüchtet dann irgendwann, findet aber nirgends eine wirkliche Bleibe. Die Eltern erklären vergnügt, sie hätten ihr Zimmer jetzt endlich für sich vereinnahmt und es gebe kein Zurück mehr, und Isi stellt zudem fest, dass ansonsten herzlich wenig beste Freunde geblieben sind. Einer lässt sie dann widerwillig bei sich unterkommen, widerwillig vor allem deshalb, weil er genau weiß, dass sie absolut keine Knete hat und sich mit nichts an der schrägen Wohngemeinschaft beteiligen kann. Immerhin findet sie einen Aushilfsjob in einem Fahrradladen, doch irgendwas Solides mit Perspektive ist am Horizont beim besten Willen nicht erkennbar. Am schlimmsten trifft sie aber, dass sich Lotte plötzlich so verändert, so spießig und häuslich und zu allem Überfluss auch noch schwanger wird und sich ganz mit ihrem Leo verschanzt, was logischerweise das Ende der beiden ehemals unzertrennlichen Freundinnen ist. Isi selbst treibt das Drama auf die Spitze, indem sie Lottes Verlobungsring versetzt, weil sie so pleite ist, und ihn später nicht mehr zurückkaufen kann, als ihr klar wird, was sie da eigentlich angerichtet hat. Also mit der Lotte wird das nichts mehr, aber beruflich könnte am Schluss doch wieder was gehen, weil sie an ihrem Plan, aus F. Scott Fitzgeralds „The beautiful and damned“ eine Graphic Novel machen zu wollen, so hartnäckig und entschlossen festhält, dass sie daraus schließlich neue Kraft schöpft und wieder etwas zuversichtlicher nach vorn schauen kann.
Helena Hufnagel hat diese Geschichte wunderbar geerdet und mit viel Humor und Empathie umgesetzt, liebevoll ironisch, zärtlich zerstreut und natürlich mit hundertprozentiger Solidarität. Dabei wird just diese Solidarität mitunter auf eine gehörige Probe gestellt, denn Isi baut eine ganze Menge Scheiß, strapaziert die Geduld ihrer Mitmenschen ordentlich, weil sie alles in allem sehr mit sich selbst und ihren Versuchen beschäftigt ist, das Chaos in ihrem Leben irgendwie in den Griff zu kriegen. Sobald das WG-Idyll mit Lotte bröckelt (keine Freundschaft hält für immer, nicht mal unter Frauen…), sobald nichts mehr da ist, das ihr den Blick auf die triste Wirklichkeit verstellen kann, muss sich Lotte eingestehen, dass sie mit siebenundzwanzig noch bei Null steht, nix erreicht hat, keinen Partner, keinen Job, nicht mal ´ne eigene Behausung, und jetzt kommen sogar die herzlich unsympathischen Eltern an und erklären ihre Tochter kurzerhand für erwachsen, soll heißen, sie hat keinen automatischen Anspruch mehr auf ihr Kinderzimmer und jederzeitigen Unterschlupf bei Mama und Papa. Und als um Isi herum alles schön langsam und gründlich wegbröckelt, und sie plötzlich sozusagen ganz auf sich allein zurückgeworfen ist, da ist sie gefordert, in sich selbst die nötigen Reserven freizumachen, sich aus der Frustkrise, der drohenden Lähmung und Depression zu befreien. Dieser Weg ist selbstredend alles andere als glatt und hindernisfrei, er ist im Gegenteil mit Rückschlägen und peinlichen Pannen gepflastert (Isi kann auch die Sache mit den Fettnäpfchen ganz gut…), doch wie dann doch in sich soviel positive Energie aufbaut, um weiterzumachen, durchzuhalten und es wieder zu versuchen, das wird hier sehr unaufdringlich und schön geschildert. Ganz viele Szenen sind aus unser aller Alltag entnommen, manche ein wenig witzig überzeichnet, andere einfach nur äußerst realistisch und hier und da auch selbst erlebt, Isis Erfahrungen gehören zum Erfahrungsschatz einer Generation, zumal in einer Stadt wie München, wo Singles und Loser nicht soviel Spaß haben, wie immer behauptet wird, wo das Leben einfach teuer ist und in jedem Büro eine Oberzicke wie Sunnyi Melles wartet, die deine Bewerbung mit Hohn und Spott quittiert. Klasse gespielt ist dieser Film, einen klasse Soundtrack hat er obendrein auch noch und alles in allem beschäftigt er sich mit Sachen, die mir immer schon am Herzen gelegen haben. Und ein schöner und dabei gar nicht seichter Frauenfilms isses auch noch. (26.7.)