Indignation (Empörung) von James Schamus. USA, 2016. Logan Lerman, Sarah Gadon, Tracy Letts, Linda Emond, Danny Burstein, Pico Alexander

   Hmm, nicht leicht, zu diesem Film eine spontane, klare Meinung zu haben, finde ich. Vor allem die letzten Minuten haben irgendwie was kaputt gemacht, ein äußerst trister, ernüchternder Ausgang, der aber irgendwie nicht recht zu dem passt, was sich davor abspielt. Ich für meinen Teil war jedenfalls nicht auf eine Tragödie vorbereitet und wollte auch gar keine sehen. Doch wenn die eine Hauptfigur im Koreakrieg fällt und die andere in der Psychiatrie endet, dann muss man wohl von einem tragischen Schluss sprechen. Fühlte sich für mich einfach nicht richtig an.

   Marcus ist der Sohn eines koscheren Metzgers aus New Jersey. Anders als die meisten anderen Söhne verpflichtet er sich nicht freiwillig für den Koreakrieg, und anders als die meisten anderen Söhne strebt er nicht danach, das Handwerk seines Vaters auszuüben. Er ist ehrgeizig, fleißig und vor allem gut, gewinnt ein Stipendium für eine kleine, aber renommierte Uni in Ohio und entgeht dadurch auch dem Wehrdienst in Fernost. Auf dem Winesburg College macht er einschneidende Erfahrungen. Als Jude hält man sich tunlichst an die jüdische Kommilitonen, die ihn auch gleich für ihren exklusiven Club rekrutieren wollen. Er lehnt ab. Das Zimmer teilt er mit zwei anderen jüdischen Studenten, entzieht sich ihnen und ihrem Geschwätz aber auch bald und bezieht ein entlegenes, karges Zimmer, das er aber ganz für sich hat. Überhaupt haben es die Juden hier schwer, denn die ist ein christliches College, und das wird ganz groß buchstabiert. Heißt im Klartext, wer nicht regelmäßig dem Gottesdienst beiwohnt und seine Teilnahme schriftlich bestätigen lässt, der hat keine Chance auf einen Abschluss, was dazu führt, dass gewisse Studenten andere dafür bezahlen, in ihrem Namen hinzugehen. Marcus fügt sich zunächst in die Collegeordnung und geht hin, wenn auch widerwillig. Er verliebt sich in die schöne Olivia, die auch eher eine Außenseiterin ist und ihn mit sehr offensiven Sexualpraktiken überrascht, ansonsten aber etwas geheimnisvoll bleibt. Langsam aber sicher wird die Situation dann immer unangenehmer und beklemmender Marcus. Der allgemeine Antisemitismus trifft ihn, die dogmatische Enge des Miteinander am College, der Dekan, der offenbar eine gottähnliche Position innehat, verwickelt ihn in eine quälend lange Debatte über Grundsatzfragen und seine Rolle innerhalb des College, Papa nervt ihn am Telefon noch immer mit seiner übertriebenen Fürsorge, vor der er einst regelrecht floh, und Mama macht ihm unmissverständlich klar, dass sie Olivia nie und nimmer als Umgang tolerieren würde, denn auch sie hat die Narben an Olivias Handgelenk gesehen und weiß, was sie zu bedeuten haben. Am College erregt ihr Verhältnis ebenfalls Anstoß, und der Dekan steckt Marcus, dass Olivia bereits einige Elektroschocktherapien und schwere Nervenkrisen hinter sich hat. Eines Tages ist sie dann mal wieder weg, ist zusammengebrochen und in eine Anstalt gebracht worden. Marcus fliegt von der Schule, nachdem er dabei erwischt wurde, einen Kommilitonen an seiner Statt in den Gottesdienst geschickt zu haben. Er landet dann doch in Korea und stirbt dort. Wir sehen ganz zuletzt Olivia als ältere Frau, die noch immer in der Psychiatrie lebt und versonnen eine Blumentapete ansieht, die sie an früher erinnert.

   Bis dahin erleben wir ein schön detailliertes und treffendes Porträt der USA in den frühen 50ern: Dünkel und Repression, wohin der Blick sich wendet. Juden, Kommunisten, Andersgläubige, Frauen mit lockerer Moral, sie alle kommen in den großen Korb der Verdächtigen, der Aussätzigen, derjenigen, die das Wohl der Öffentlichkeit gefährden und nach Möglichkeit entweder umerzogen oder am besten gleich aussortiert werden müssen. Marcus möchte mit all der Bigotterie und widerwärtigen Hexenjagd eigentlich gar nichts zu tun haben, er möchte seinen Weg gehen, möchte niemandem etwas zuleide tun, möchte vor allem, dass ihm im Gegenzug auch niemand etwas zuleide tut. Dies und nichts anderes versucht er dem Dekan verständlich zu machen: Ich interessiere mich nicht für Politik oder die großen Fragen des Glaubens oder der allgemeinen Moral oder sonstwas – ich möchte lernen, meinen Abschluss so gut wie möglich machen, ich möchte mich mit niemandem anlegen, einfach meine Ruhe haben und sonst nichts. Der Dekan versteht ihn nicht oder er akzeptiert diesen Wunsch nicht, findet ihn verdächtig. Wer sich raushält, ist gegen uns, so die Doktrin, raushalten ist Widerstand. Wer sich abseits zu halten wünscht, macht sich verdächtig, sieht womöglich auf die anderen herab. Der Dekan trumpft auf mit Dogmen und Grundsätzen, Marcus hält unerbittlich dagegen, bleibt höflich aber bestimmt,  hält fest an seinem Vorsatz, einfach nur das College zu absolvieren, ohne sich dem einen oder anderen Club zuzuordnen, ohne irgendeinem Gruppenzwang unterliegen zu müssen. Dieses verbissene Ringen wird in einer brillant geschriebenen, hoch spannenden Dialogsequenz verarbeitet, der mit Abstand eindrucksvollsten Szene dieses Films, ihres Kernstücks sozusagen, die all das erhält, wofür Marcus einsteht und wogegen er sich durchsetzen muss. Ein selbstbewusster, frei denkender junger Mann trifft auf eine autoritäre, dogmatische Institution, die weder mit Selbstbewusstsein und erst recht mit Freiheit etwas anzufangen weiß, die beidem zutiefst misstraut und beidem mit entschiedener Feindseligkeit begegnet. Logan Lerman und Tracy Letts spielen das auch toll, und wenn der ganze Film auf diesem Niveau stattfinden würde, handelte es sich zweifellos um ein echtes Meisterwerk. Es gibt aber leider nur eine andere Szene, auf die das zutrifft, nämlich eine Begegnung zwischen Marcus und seiner Mutter, in der sie ihm deutlich zu verstehen gibt, was sie von Olivia und Frauen ihresgleichen hält. Sie argumentiert ähnlich moralisierend und manipulativ wie der Dekan, nur hätte man von ihr einen solchen Auftritt eben nicht erwartet, auch Marcus nicht. Der ist total erschüttert und gebrochen, viel tiefer getroffen als vom Dekan, denn indem ihn auch die eigene Mutter massiv unter Druck setzt, zieht sie ihm endgültig den Boden unter den Füßen weg, nimmt ihm den letzten Rückhalt, dessen er sich bis dahin stets sicher sein konnte. Seine Einberufung nach Korea ist folglich eine Art von Kapitulation, fast eine Art Selbstmord, das bittere, irgendwie aber auch folgerichtge Ende seines Versuchs, ungeachtet der äußeren Bedingungen einfach nur seinen Weg zu gehen.

 

   Soweit, so gut. Anderes aber bleibt in „Empörung“ deutlich unschärfer, und das hat mir leid getan, vor allem Olivia bleibt schemenhaft, was sicherlich damit zu tun hat, dass der Fokus ganz auf Marcus liegt, aber wenn ich schon von ihrer Verstörung, ihren Verletzungen andeutungsweise zu hören bekommt, hätte ich gern mehr darüber erfahren, auch darüber, was sie im Vergleich zu Marcus bewegt und antreibt, woran sie glaubt, was sie erreichen möchte. Da der dem Film zugrunde liegende Roman von Philip Roth ist, liegt sonst die Gefahr einer seiner typischen Machoprojektionen auf der Hand. So bleib bei mir am Ende der Eindruck, der Film sei nicht ganz fertig, nicht ganz rund, trotz einiger wie gesagt sehr starker Momente und einer sehr sorgsamen Nachbildung des Hochmittelalters in den USA, sprich den frühen 50ern. Vielleicht fehlt mir auch nur eine klare Handschrift des Regisseurs, der sich zur Satire nicht richtig bekennen mag, aber auch nicht zum Drama, vielleicht liegt’s aber auch an Roth und dem speziellen Tonfall seiner Romane. Mit Ewan McGregors „American Pastoral“ erging es mir ja vor ein paar Monaten schon ganz ähnlich. (24.2.)