Es war einmal in Deutschland von Sam Garbarski. Belgien/Luxemburg/ BRD, 2016. Moritz Bleibtreu, Antje Traue, Mark Ivanir, Tim Seyfi, Hans Löw, Anatole Taubman, Pál Mácsai, Václav Jakoubek, Joel Basman
David Berman stammt aus einer angesehenen Frankfurter Familie, die erfolgreich ein Wäschegeschäft betrieb. Dann kommen die Nazis, die KZs, die Vernichtung. Bermans gesamte Familie stirbt in Auschwitz, er überlebt Sachsenhausen. Und kehrt wie etliche andere Juden nach Deutschland zurück, lebt dort zunächst in einem von den Amerikanern organisierten Lager (schon wieder ein Lager…). Berman will kein Opfer sein. Sein Wahlspruch: Hitler ist tot, aber wir, wir leben noch. Er kratzt ein paar seiner alten jüdischen Kumpel zusammen und macht einen neuen Wäschehandel auf, dreht den Deutschen mit allen möglichen Tricks Wäschepakete an, um für sich und die anderen das nötige Geld für die ersehnte Ausreise nach Amerika zusammenzukriegen. Das Geschäft floriert, doch Berman und seine Freunde bewegen sich auf dünnem Eis, die Einsturzgefahr ist enorm hoch, gerade wenn man plötzlich von Angesicht zu Angesicht mit einem ehemaligen SS-Monster aus einem KZ steht, der nun unter falschem Namen (und zwar dem Namen einer seiner Opfer) Zeitungen am Kiosk verkauft und auf unbescholtener Bürger macht. Auch Berman selbst hat einige Probleme, unter anderem muss er regelmäßig bei den Amis zum Verhör antanzen, denn es wird ihm Kollaboration vorgeworfen, und seine Vergangenheit wird nun peinlich genau durchleuchtet. Das wird besorgt von Sara Simon, die selbst Jüdin ist, mit ihren Eltern in die USA emigrierte und nun zurückgekommen ist, um ihren Beitrag zum Wiederaufbau zu leisten. Sara hört sich die lebhaften Eulenspiegeleien, die Berman ihr auftischt, abwechselnd entrüstet und amüsiert an, doch letztlich stellt sich heraus, dass er wohl im Kern die Wahrheit gesagt hat, und außerdem verliebt sie sich in den charmanten Lebemann. Und schließt sich seinem Kreis an, der einen tragischen Verlust erleidet, als einer von ihnen sich erhängt, weil er irrtümlich glaubt, man habe dem falschen Mann den Kiosk angezündet und ihn darin verbrennen lassen (doch es war der richtige). Schließlich ist genug Geld vorhanden, um die Emigration zu finanzieren, und alle verlassen Deutschland – bis aus Berman. Der bleibt, weil er meint, man könne dieses schöne Land unmöglich allein den Deutschen überlassen, und er macht den Wäscheladen seiner Eltern wieder auf. Im Abspann lesen wir, dass ungefähr 4000 Juden nach dem Holocaust nach Deutschland zurückkehrten und ihren Kindern später nicht erklären konnten, weshalb sie es taten.
Der Autor Michel Bergmann hat für diesen Film zwei seiner Romane zu einem Drehbuch zusammengefasst. Zwei Romane in einhundert Minuten, das ist ziemlich sportlich, und mir scheint, als hätten sich Autor und Regisseur daran ein wenig verhoben. Zweifellos ist „Es war einmal in Deutschland“ ein in seiner Vielsinnigkeit sehr reizvoller Film mit ganz vielen sehr gelungenen, bewegenden und beeindruckenden Momenten. Aber gerade weil das so ist, hätte ich mir gewünscht, noch viel mehr von diesen verschiedenen Geschichten erzählt zu bekommen, während hier in diesem Rahmen natürlich vieles zwangsläufig eher angerissen denn ausformuliert wird. Die Mischung ist spannend: Jüdische Schelmengeschichten, das Grauen des Holocaust, die Tragödie der Überlebenden, der Opfer, die nach dem Krieg plötzlich ihren Peinigern gegenüberstehen und ertragen müssen, dass diese nicht nur unbehelligt und bestens beleumundet weiter leben, sondern dass es ihnen vielfach auch sehr viel besser geht. Also ist auch ein gutes Stück Gesellschaftsporträt mit drin und vor allem natürlich jüdische Geschichte, jüdisches Schicksal und der Versuch der Überlebenden, mit diesem Schicksal fertig zu werden. Emigration ist der nächstliegende Ausweg, diejenigen aber, die sich gegen alle Vernunft dafür entscheiden, im Land der Mörder zu verbleiben und dort eine neue Existenz aufzubauen, müssen sich nach ihren Beweggründen fragen lassen, wir wollen es verstehen. Diese Frage hängt leider ein wenig hinten über, wird praktisch erst im Abspann thematisiert, und so geht es mir hier an einigen Stellen. Jeder von Bermans Freunden hat seine eigene Geschichte, doch wir hören nur in Bruchstücken davon. Die Frage nach der Integration der jüdischen Mitbürger in die Nachkriegsgesellschaft hätte mich interessiert. Die komischen Aufeinandertreffen der gewieften Verkäufer mit den deutschen Nachkriegsmuttis hätt ich gern noch häufiger und ausführlicher erlebt. Das Miteinander der neu aufgebauten jüdischen Gemeinde hätte mich interessiert. Die Vorstellungen der Amis von Entnazifizierung ebenso, und die Frage (die auch Berman ungläubig dreinblicken lässt), wieso in Dreiteufelsnamen ein Jude der Kollaboration verdächtigt wird, während draußen tausende deutscher Täter fröhlich und frei leben können, erst recht. Klar, in einem normalen Spielfilm kann all dies nicht in gebotener Ausführlichkeit behandelt werden, aber manchmal reicht’s mir einfach nicht, wenn vieles nur so knapp und in Ansätzen zur Sprache kommt.
Abgesehen davon beherrscht Garbarski das Genre der Tragikomödie offensichtlich ausgezeichnet, denn die Gratwanderung zwischen dem Komischen und dem Abgrund gelingt ihm wirklich gut. Berman ist eine sehr eindrucksvolle Figur, ein trauriger Clown, der in Sachsenhausen zum Witzeerzähler gemacht wird, der das Opfer besonders widerwärtig perverser SS-Spielchen wird, und der den Tod seiner Familie auf sich nimmt, sich schuldig fühlt. Einer, der das Erlittene vermutlich verdrängen würde, wenn die Untersuchung der Militärpolizei ihn nicht dazu zwingen würde, sich auseinanderzusetzen, sich zu erinnern, Rechenschaft abzulegen. Moritz Bleibtreu spielt ihn sehr einprägsam und präsent als eleganten, wortgewandten, selbst-bewussten Überlebenskünstler, dessen Trauer und Scham zumeist hinter der Oberfläche verborgen bleiben, was nicht bedeutet, dass er die Vergangenheit um jeden Preis hinter sich lassen will. Innerhalb seiner Gruppe finden sich sehr unterschiedliche Charaktere und folglich auch unterschiedliche Wege der Verarbeitung – leider nur sehr knapp umrissen, aber das sagte ich schon. Ist dennoch ein wenig bedauerlich, denn um Bleibtreu herum gruppieren sich ausgezeichnete Charakterköpfe, die aber leider sämtlich von der Figur Bermans dominiert werden. Aber gut. Die Komik in dem Film ist ebenso charmant wie das Traurige ins Herz trifft, die langen Verhörsequenzen mit Berman und Sara haben einen zunehmend erotischen Appeal, und Denkanstöße gibt’s allemal zuhauf. Dann muss ich mir eben mal die Romane hernehmen oder was Anderes in der Art lesen. Film kann auch nicht alles leisten. (25.4.)