Helle Nächte von Thomas Arslan. BRD/Norwegen, 2017. Georg Friedrich, Tristan Göbel, Marie Leuenberger, Hanna Karlberg

   Also dann, Berlinale, die erste:

   Michael arbeitet in Berlin, ist getrennt lebender Vater, seine Ex lebt zusammen mit dem vierzehnjährigen Sohn Luis weit weg in München, Kontakt ist offenbar selten und lange her, die Telefonate sind kurz und eher unpersönlich. Michaels Vater stirbt, ein schwieriger Typ, mit dem Michael selbst auch wenig am Hut hatte, doch da sich niemand sonst findet, der die Angelegenheiten ordnen will, beschließt Michael, nach Norwegen zu reisen, wo der Vater zuletzt lebte, und sich um den Nachlass zu kümmern. Luis begleitet ihn auf seinen Wunsch, und er hat sich vorgenommen, die Reise zu nutzen, seinem Sohn wieder ein wenig näher zu kommen.

   Und weil dies ein Film von Thomas Arslan ist, wissen alle, die ihn schon kennen, dass dies eine eher wortkarge, um nicht zu sagen zähe Angelegenheit werden wird. Und genau das ist sie auch geworden, was aber nun gar nicht gegen den Film an sich spricht. Arslan hat’s nicht so mit Eloquenz und er hat‘s erst recht nicht mit glattpolierten, konventionellen Formen und Methoden. Weswegen wir hier auch keinen Vater-Sohn-Film im herkömmlichen Sinne sehen, kein gefälliges Familienstück, kein gewöhnliches Melodram und auch keine schrille Psychokiste. Die Reise geht nach Norwegen, und so ist auch der Film, er atmet die Ruhe, die Weite, die leere der Landschaft, die durchaus auch mal etwas unangenehm oder beklemmend werden kann. Um dies nachdrücklich zu illustrieren, stellt Arslan seine Kamera nach vorn an die Windschutzscheibe, lässt sie unbewegt geradeaus auf die Straße gucken und fährt einfach mal ein paar Minuten kommentarlos durch nebelverhangene, öde Berglandschaft, nur begleitet vom suggestiv dräuenden Elektroniksoundtrack Ola Flottums, der unter dem Strich deutlich mehr andeutet und erwarten lässt, als Arslan bereit ist zu geben, der aber dennoch extrem gut zu den Bildern passt. Arslan setzt eher auf das Atmosphärische, das sich langsam aber stetig entwickelt zwischen Michael und Luis, und da wir es hier mit einer Männergeschichte zu tun haben, sind Worte selten, oft hinderlich oder gar Auslöser für Streit und Missverständnisse. Natürlich ist Michael kein sehr geübter Vater, natürlich hat er eigentlich gar keinen Schimmer, wie er sich einem sperrigen Teenie nähern soll, von dem er so gut wie nichts oder bestenfalls Oberflächliches weiß, und natürlich hat Luis seinerseits nicht die Absicht, es seinem Vater irgendwie leicht zu machen, denn der hat ihn verlassen, hat sich jahrelang kaum gekümmert, und nun will er plötzlich einen auf toller Vater machen und tut so, als würde er sich für ihn interessieren. Verletztheit und Zorn auf der einen Seite, Verunsicherung auf der anderen, und mehr als einmal geraten die beiden bei Kleinigkeiten aneinander, oder lang Aufgestautes bricht sich seine Bahn und drängt sich zwischen sie. Arslan zeigt ein sehr feines Händchen für diese Stimmungen, und so gehören auch die wortlosen Passagen immer wieder dazu, die Unsicherheit der beiden, vor allem Michaels Hilflosigkeit auf der Suche nach dem richtigen Weg zu seinem Sohn. Ein ungelenkes Schulterklopfen, ein paar vage Fragen nach privateren Dingen, und sobald Luis abweisend reagiert (war vorwiegend der Fall ist), zieht Papa sich sofort wieder zurück. So lassen sich die beiden durch die Gegend treiben, nachdem die Sache mit Opas Haus geregelt ist. Michael möchte ein wenig in der Wildnis wandern gehen, was bei jedem Vierzehnjährigen natürlich wahre Jubelsprünge hervorruft. Luis macht zwischendurch die Bekanntschaft eines norwegischen Mädchens, das mit seinen Eltern unterwegs und genauso genervt ist wie er, und mehr als einmal fragte ich mich, wieso sich der Bursche überhaupt auf diese schräge Aktion eingelassen hat, doch ganz langsam und zart kommt dann doch etwas zum Vorschein, und besonders als es dann doch mal aus Luis herausbricht und er seinem Vater ein paar seiner Gefühle ins Gesicht sagt, ahnt man, dass es für die beiden vielleicht doch eine Zukunft gibt, oder jedenfalls die Bereitschaft, wieder regelmäßig in Kontakt zu treten, denn nach der eher nüchternen Trennung am Flughafen geht jeder erstmal wieder seiner Wege.

 

   Das Gewicht liegt hier also in den Details, den kleinen Gesten, manchmal auch nur dem Gedanken daran oder unserem Wunsch, es möge endlich mal dazu kommen zwischen den beiden. Es geht hier ganz und gar nicht um Sympathie oder Antipathie, wir haben sofort tiefstes Verständnis für beide, sowohl für den Vater und seine Annäherungsversucher als auch für den Sohn und seine Widerborstigkeit. Beide Figuren sind wunderbar lebensnahe, und gerade wer einen Sohn in jenem Alter erleben durfte, weiß nur allzu gut, wie mühsam es manchmal sein kann, so etwas wie tieferen Kontakt herzustellen, auch ohne konfliktreiche, böse Situationen. Einfach so. Arslan ist es für mein Gefühl nicht immer hundertprozentig geglückt, dem Jungen ganz echt klingende Dialoge zuzuschreiben, aber Tristan Göbel macht dies mit seinem großartigen Spiel locker wieder wett. Er sorgt für einen eckigen, kantigen Jungen, der ums Verrecken niemanden so schnell an sich heranlässt, erst recht nicht seinen Vater, der so viele Jahre einfach verpasst hat und nun auch nicht nachholen kann. Georg Friedrich hat es mit dem Drehbuch etwas leichter und spielt gleichsam hervorragend diesen in sich gekehrten, etwas schwerfälligen und unhandlichen Österreicher, der wie so viele arme Männer viel mehr will, als er fertig bringt, weil er wie so viele arme Männer nicht so richtig weiß, wie er’s anstellen soll. Arslan findet den passenden ruhigen Erzählrhythmus, entfaltet ein Roadmovie durch die nördliche Landschaft und gibt damit auch unseren eigenen Gedanken und Assoziationen Raum und Zeit. Ein wirklich sehr guter Film, doch nicht Arslans bester, denn wie auch nach „Gold“ dachte ich so bei mir, dass er im Berliner Milieu am besten aufgehoben ist, auch wenn ihm diese beiden Balladen im Prinzip gut zu Gesicht stehen. Daher auch nicht der beste Film, den ich auf der Berlinale gesehen habe. (13.2.)