Jackie von Pablo Larraín. USA/Frankreich/Chile, 2016. Natalie Portman, Peter Sarsgard, Billy Crudup, Greta Gerwig, John Hurt, Max Casella, Beth Grant, John Carroll Lynch
Das Interview, das der (im Film allerdings nicht namentlich benannte) Life-Reporter Theodore H. White Ende 1963 mit Jackie Kennedy in einer der Kennedy-Residenzen in Massachusetts führte, bildet eine Art Klammer für alles zwischendrin. Das Porträt einer Witwe, das Porträt einer Ehefrau, das Porträt einer Familie unter Schock, das Porträt eines Landes unter Schock, das Porträt einer Dynastie namens Kennedy, die Schilderung der Vorgänge hinter den Kulissen, der Bewältigung des Attentats, der hurtigen Vereidigung Lyndon Johnsons als neuen Präsidenten, der sich zusammen mit der neuen First Lady auch flugs daran macht, das Weiße Haus nach seinem eigenen Geschmack zu dekorieren, das Ringen um die Formalitäten bezüglich der Bestattung und der daran hängenden Zeremonie. Und noch mehr – Jackie mit Bobby, Jacks Bruder, der auch ihr ein enger Vertrauter war, Jackie mit dem Priester, der ihren Mann beerdigen wird, in einem ausführlichen, tiefen Gespräch über Fragen des Lebens, Jackie mit Nancy, ihre Jugendfreundin und Brautjungfer, die ihr in den Tagen nach Jacks Tod beisteht und sie berät, Jackie und die Presse, hier vornehmlich in Person des Mannes vom Life-Magazin, mit all den vielen Dingen, die in dieses vertrackte Verhältnis hineinspielen.
Vor allem aber das Porträt einer Frau, die sich nicht so leicht auf das eine oder andere Motiv reduzieren lässt. Witwe, Ehefrau, Mutter, die bereits zwei Kinder in ganz jungem Alter verlor. Eine frau, die sich ihren Platz in der Kennedy-Dynastie hart erkämpft hat, vor allem gegen die dominante Frau Schwiegermama, eine Frau, die den Preis dafür bezahlt hat, eben zu jener Elite zu gehören, eine Frau, die ihren Platz nun nicht so einfach räumen, sang- und klanglos wieder in den Hintergrund zurücktreten möchte. Eine Frau, die ihren Wert genau taxiert und mit dem Preis verrechnet hat, den sie bezahlen musste. Eine Frau, die rechnen und be-rechnen kann. Eine Frau, die gelernt hat, zu repräsentieren und dem zu entsprechen, was als First Lady von ihr erwartet wird. Eine Rolle, die sie abwechselnd genoss und durchlitt, die sie letztlich aber mit soviel mädchenhaftem Charme ausfüllte, dass die US-Öffentlichkeit ihr zu Füßen lag und ihr als Stilikone huldigte. Eine Frau mit allen Facetten – verletzlich, eitel, klug, hochmütig, schüchtern, stark und unsicher, und keine Facette gibt’s für sich, jede einzelne hat Begleiter, Echos, Widerparts.
Um eine solch komplexe und komplizierte Persönlichkeit angemessen auf die Leinwand zu bringen, braucht man erstens ein gutes Buch, zweitens eine gute Schauspielerin und drittens einen Regisseur, der sich was traut. Alle drei Komponenten finden sich in diesem Film glücklich vereint, und das hat den Film letztlich zu dem Meisterstück gebracht, der er geworden ist. Noah Oppenheims brillant orchestriertes Drehbuch gelingt es, die vielen Ebenen und Aspekte beziehungsreich zu verknüpfen, einerseits die Dichte ihrer Verbindungen zu betonen, sie andererseits aber so klar voneinander abzusetzen, dass wir Zuschauer uns dennoch niemals überfordert fühlen. Natalie Portman ist ohne Frage eine bemerkenswerte Jackie, liefert ein erstaunliches Porträt, halb durchsichtig, halb verschlossen und bis in kleinste Nuancen spannend. Ist sie nun eher eine tragische Figur, eines Opfer dieser Ereignisse, oder ist sie am Ende doch nur eine höchst kühl kalkulierende Dame, die stets sehr genau wusste, was sie wollte und tat und nun darum kämpft, ihren Anteil zu sichern. Sie wusste genau um Jacks Untreue und notorische Schürzenjägerei, bemüht dem Journalisten gegenüber eine banale Metapher, doch hinter dieser Metapher steckt ein Abgrund, dessen Tiefe wir bestenfalls erahnen. Sie wusste wohl auch einiges um die Machenschaften des einflussreichen Kennedy-Clans, blieb aber stets hübsch brav bei ihren Leisten, weil sie ja nun ein Teil davon war. Einigen investigativen Fragen des Journalisten begegnet sie mit eisiger Distanz und zieht sich stattdessen auf Jacks Camelot-Tick zurück, dem Traum vom Paradies, von der heilen Welt, und man weiß nicht recht, ob man das nun total naiv oder total töricht finden soll.
Mir hat aber am besten Pablo Larraíns Regie gefallen, denn erst sie macht diesen Film zu einer solch ungewöhnlichen Erfahrung, die mit einem herkömmlichen Hollywoodfilm oder einem herkömmlichen Biopic nichts zu tun hat. „Jackie“ ist, zumindest habe ich ihn so empfunden, ein eher impressionistischer Film, der sich um einige Eckpfeiler herumbewegt, aber mehr an den Grauzonen dazwischen interessiert ist. Es gibt kein lineares Erzählen, keine klare Struktur, keine übersichtliche Chronologie der Ereignisse am und nach dem 22. November 1963, es gibt eher eine assoziative Verknüpfung von Erinnerungen und Empfindungen und unterschiedlichen Zeitebenen. Wir sind dabei auf Jackies Wahrnehmung angewiesen. Mal ist sie wieder mit ihrem Mann im Auto in Dallas unterwegs, mal übt sie sich bei einem offiziellen Termin im Umgang mit den neuen Etiketten, mal führt sie ein TV-Team im Weißen Haus herum, tut also das, was von der Präsidentengattin erwartet wird, und mal ringt sie mit sich und all den vielen Lobbyisten und Beratern um eine würdige Bestattungszeremonie für ihren Mann, wobei nach der Erschießung Lee Harvey Oswalds zwei Tage nach dem Attentat die Sicherheitsfanatiker zusätzlich Oberwasser bekommen. Larraín findet dafür extrem intensive, hypnotische Bilder, erzeugt einen faszinierenden Sog, der maßgeblich mitgestaltet wird von Mica Levis fantastischem Soundtrack, der allerdings zugegeben dazu geeignet ist, die Geister zu spalten. Meine bessere Hälfte gab mir zu verstehen, dass ihr die Musik irgendwann auf die Nerven zu gehen begann, während ich völlig fasziniert war von den ungeheuer wuchtigen, dräuenden Streicherklängen, die uns manchmal fast dissonant direkt in den Magen fuhren und wirklich bewusst irritierend eingesetzt werden. Wenn dann der Ton im Kino richtig laut gestellt wird, ist das schon ein besonderes Erlebnis, auf das man nicht unbedingt gefasst ist. Es kommt ja selten genug vor, dass ein Soundtrack einen Film wirklich besser macht oder ihn jedenfalls effektvoll begleitet, aber auf diesen hier trifft das absolut zu, ähnlich ging es mir in den letzten Jahren nur mit Jóhann Jóhannsson und einigen Arbeiten von Max Richter.
Ich will gar nicht wissen, was ein Hollywoodregisseur aus diesem Stoff gemacht hätte, denke aber, wir können nur froh und dankbar sein, dass es nicht so gekommen ist. „Jackie“ ist ganz große klasse, ein von Anfang bis Ende beeindruckender, faszinierender Film, der seinem Thema mehr als gerecht wird, indem er es völlig anders angeht, als man es hätte erwarten können. (30.1.)