Junction 48 vom Udi Aloni. Israel/USA/BRD, 2016. Tamer Nafar, Samar Qupty, Salwa Nakkara, Saeed Dassuki, Adeep Safadi, Tarik Kopty, Sameh Zakout

   Während des Films und noch lange danach musste ich sehr intensiv an Irland denken, und an die ganze beschissene Geschichte und die vielen Parallelen zu Israel und Palästina, so wie sie sich hier nach wie vor darstellt, kein bisschen entspannter, kein bisschen friedvoller, einem wirklich dauerhaften Konsens kein Stück näher gerückt. Und wie man hier auch sieht, kommt der Feind nicht nur von außen, sondern maßgeblich auch von innen, genau wie eben in Irland, und genau das macht die Sache noch viel tragischer und beschissener.

   Kareem lebt in Lod, einer Kleinstadt außerhalb Tel Avivs, als Teil der arabischen Minderheit dort, und damit ist fast alles gesagt über sein Leben. Die Eltern pflegen die alten Traditionen und treten mit arabischem Liedgut in Versammlungsräumen auf, Kareem aber ist Rapper, hat mit seinen Jungs eine richtige Band auf die Beine gestellt und versucht nun, sich Gehör zu verschaffen, bekannt zu werden, auch in Konkurrenz zu den prominenten jüdischen Bands, die ihn zunächst gnädig dulden, aber darauf achten, dass seine Texte nicht zu provokativ werden, während sie ihrerseits ungeniert die gewohnt martialischen Parolen vom Stapel lassen. Ansonsten sind Schikanen für Kareem und die Jungs Alltag, ständig werden sie von der Straße geholt, an Häuserwände oder Zäune gedrückt und drangsaliert, ständig dringt Polizei oder Militär in ihr Viertel ein und veranstaltet willkürliche Drogenrazzien – denn natürlich sind Drogen ein Thema, und zumindest einer von Kareems engsten Freunden steckt tief drin im Geschäft, was ihn am Ende das Leben kosten wird. Ein weiteres Thema ist, dass die Israelis in der Nachbarschaft ein Museum für die friedliche Koexistenz von Juden und Arabern errichten wollen, zu diesem Zweck aber das Haus eines alten Mannes abreißen wollen, der der Vater einer der Kumpel Kareems ist. Und dann ist da noch seine Freundin Manar, die aus einer betont traditionsbewussten, strengten Familie stammt, sich aber eigentlich auch gern moderner und freier entwickeln will und schließlich von Kareem regelmäßig auf die Bühne geholt wird, wo ihre Songs großen Erfolg haben. Kurz vor ihrem ersten wirklich großen Auftritt kriegt Kareem von Manars Vettern eine handfeste Warnung, und er verbietet ihr den Auftritt aus Angst um ihr Leben. Später, nachdem sie wütend und enttäuscht abgerauscht ist, ändert er seine Meinung und bittet sie, am Konzert teilzunehmen, doch vor ihrem Haus haben sich die Vettern in einem großen Auto postiert und lassen Zweifel an ihren Absichten.

   Das war für mich das große Thema dieses wirklich beeindruckenden Films: Eigentlich haben die Araber dort in Lod reichlich genug damit zu tun, sich ständig der israelischen Übergriffe zu erwehren, doch anstatt solidarisch eng zusammenzustehen, setzen sie sich untereinander noch zu mit den Scheißdrogen und den Traditionen, die wie ein Gefängnis wirken, zumal für Mädchen, die endlich heraus möchten aus ihren alten Rollen. Und so kommt es, dass Unterdrückung und Erniedrigung durch die Israelis zwar zum täglichen Brot gehören und folglich zentrales Thema in Kareems Raps sind, doch die hausgemachten Probleme sind letztlich fast noch fataler – Kareems bester Freund wird erschossen, weil bei der Abbruchaktion eine Ladung Drogen verloren ging und der lokale Drogenboss diesen Unfall bestraft, und Manar wird vermutlich nie in Freiheit leben können, solange ihr die eigene Familie auf den Fersen bleibt und dafür sorgt, dass sie ihnen keine Schande macht, indem sie auf einer Bühne steht und anrüchige Songs zum Besten gibt. Ich finde es im Kontext eines Films wie diesem extrem beachtenswert, dass er diese Balance deutlich betont, statt allein die Israelis hinzuhängen für die ganze Misere, wie man es nur allzu leicht tun könnte. Natürlich bleibt noch genug Wut und Frust über die tief verwurzelte Feindseligkeit zwischen den beiden Gruppen, in diesem Fall klar aus arabischer Sicht und der Perspektive der ewig unterdrückten Minderheit, und Buch und Regie machen daraus gar keinen Hehl. Aber sie stellen eben auch heraus, wie schwer sich die Community damit tut, angesichts dieses Ausnahmezustands wirklich solidarisch zu leben. Abgesehen davon geht’s hier natürlich auch um Kareem und Manar, die irgendwie versuchen, eine Beziehung in Gang zu kriegen, obwohl gerade sie sehr unter dem Einfluss der beherrschenden Regeln und Gesetze steht. Und es geht um Musik, ihre Wucht und Ausdruckskraft, ihre Energie und ihre Bedeutung als Sprachrohr, als Kommunikator, als Identifikationsmöglichkeit. Kareem und die Jungs lassen nicht nur Dampf ab, reagieren ihre Aggressionen, ihre Wut mit ihrer Musik ab, sie beziehen Stellung, mischen sich ein, melden sich zu Wort, erzählen von ihren Erfahrungen und ihrer Situation und tun damit genau das, was Kultur idealerweise tun sollte (die Betonung liegt auf „idealerweise“…). Und da Rap nicht gerade die diplomatischste aller Kunstformen ist, geht es schön gerade und direkt zur Sache, genau so, wie die Kids es brauchen, und so wächst die Popularität der Band sehr schnell und der Weg zum ersten Großkonzert und medialer Aufmerksamkeit ist frei.

   Kareem wird gespielt von Tamer Nafar, einem Rapper, dessen Biografie hier ganz offenbar in vieler Hinsicht ein Vorbild war, der aus Lod stammt und seit mehr als anderthalb Jahrzehnten zusammen mit seinem Bruder aktiv ist, genau wie Kareem hier im Film auch. Seine Präsenz gibt dem Film eine weitere Dimension, macht ihn noch authentischer und stärker, wie ich finde, denn hier ist jemand am Werk, der ganz genau weiß, wovon er spricht und vor allem  wofür er spricht. Denn trotz allem ist dies kein Film, der Gewalt als Lösungsmittel propagiert, es ist vor allem ein Film, der sich an die arabische Gemeinde selbst richtet und vielleicht an sie appelliert, mehr Freiheit und Offenheit zuzulassen, den jungen Menschen, den Frauen in erster Linie natürlich, die Möglichkeit zu geben, sich zu artikulieren, sich zu engagieren, statt wie vorgesehen ihre Rolle als Hausmütterchen zu spielen.

 

   Es hat schon viele hervorragende, eindrucksvolle Filme aus der Region gegeben, die sich allesamt gegen blinden Fanatismus aussprechen, ohne sich dabei der einen oder anderen Seite anbiedern zu müssen. Natürlich muss eine Produktion wie diese mit internationalem Geld entstehen, das sieht man ihr aber nicht an, finde ich, und das hat mich sehr erleichtert, denn ab und zu hab ich das auch schon anders erlebt. Dies ist dynamisches Milieukino ohne kommerzielle Abmilderungen oder Konzessionen, und um den oben aufgemachten Kreis mal zu schließen, wäre ich verdammt froh, wenn von der grünen Insel auch mal wieder engagiertes Politkino zur aktuellen Lage käme, denn die hätten wohl auch noch die eine oder andere Geschichte zu erzählen… (19.1.)