Marie Curie von Marie Noëlle. Frankreich/Polen/BRD, 2016. Karolina Gruszka, Arieh Worthalter, Charles Berling, Izabela Kuna, Rose Montron, Marie Denarnaud, Samuel Finzi, Malik Zidi, André Wilms, Daniel Olbrychski, Piotr Glowacki

   Die Biopic-Welle geht auch in 2017 unvermindert weiter, prominente Frauenfiguren, die aber heutzutage nicht mehr so prominent sind, wie sie ihren Meriten gemäß eigentlich sein sollten, sind stark en vogue. Diesmal isses die zweifache Nobelpreisträgerin (Physik und Chemie), deren Name natürlich noch immer geläufig ist, deren tatsächliche Arbeit aber wohl eher nur noch Spezialisten interessiert. Zwei Nobelpreise hat nicht jeder auf seinem Konto, erst recht keine Frau, und ihre Forschungen auf dem Gebiet der Radioaktivität waren offenbar von bahnbrechender Bedeutung, und dennoch hat sich Marie Noëlle gegen einen wissenschaftslastigen Diskurs entschieden – gottseidank, kann ich nur sagen, denn weder Physik noch Chemie haben je zu meinen bevorzugten Feldern gehört, und werden es auch nie, sodass mir die ganzen Begriffe und Themen ziemlich fern liegen. Wenn überhaupt, interessiert mich eher der Mensch Marie Curie, und mit dem beschäftigt sich der Film fast ausschließlich.

   Er konzentriert sich sogar auf die acht Jahre zwischen den beiden Preisen, also 1903 und 1911, beginnt mit einem Porträt des Ehepaars Curie, das scheinbar in völliger Harmonie seine Forschungen betreibt und zugleich als Ehepaar und Familie miteinander lebt, bis es durch Pierres tragischen Unfalltod 1906 auseinandergerissen wird. Und plötzlich wird sehr deutlich, dass Marie, obwohl völlig gleichberechtigt in ihrem gemeinsamen Tun, in der wissenschaftlichen Szene stets nur als geduldetes Anhängsel ihres Mannes betrachtet wurde, nicht aber als die ernstzunehmende, visionäre, brillante Forscherin, die sie schließlich war, so wie Zeitgenossen wie Einstein früh erkannten und vor allem anerkannten. Plötzlich werden auch Stimmen laut, die zuvor nicht zu vernehmen waren – eine Frau wird unter gar keinen Umständen an der Académie zugelassen werden, und eine Polin schon gar nicht. Marie beißt auf die Zähne, schluckt alles hinunter, was ihr regelmäßig hochkommt, und mit Unterstützung ihrer Schwester Bronia, die nach Pierres Tod aus Polen zu ihr gekommen ist und nun ihre beiden Töchter Irène und Ève hütet, kann sie ihre Forschungen fortsetzen, immer auf der Suche nach deiner Möglichkeit, das Element Radium zu isolieren und vor allem in der Medizin nutzbar zu machen. Nebenbei macht sie eine kleine Privatakademie auf, unterrichtet die Töchter zuhause und nimmt auch andere Kinder in die Stunden mit auf. Sie erhält nach langem Ringen schließlich doch einen Lehrstuhl an der Sorbonne, bleibt aber Außenseiterin, aufgrund ihrer unbestreitbaren Erfolge widerwillig akzeptiert, doch die Stimmung schlägt ein weiteres Mal dramatisch gegen sie um, als sie und Paul Langevin,  ehemaliger Schüler Pierres und verheirateter Vater einer eng befreundeten Familie, eine Liebesbeziehung eingehen und zum öffentlichen Skandal werden, an dem sich der gesamte Stammtischpöbel der Stadt auslässt. Aber nicht er wird angefeindet und verteufelt, sondern allein sie steht am Pranger, die Hure und böse Verführerin, die jüdische Polackin, die Schande über ihre und Pauls Familie bringt. Misogynie und Antisemitismus reichen sich fröhlich die Hand, die angeblich feine Gesellschaft zeigt ihre hässliche Fratze, die Klatschpresse gießt eifrig Öl ins Feuer, und dennoch hält Marie mit Hilfe ihrer Familie aus, muss die ersten ernsten Anzeichen einer zunehmenden Radiumvergiftung ertragen, muss sogar Zeugin eines törichten Duells werden, muss sich Eiertänze der königlich schwedischen Akademie gefallen lassen. Doch sie reist nach Stockholm, nimmt ihren Preis wider allen Empfehlungen entgegen, holt stolz ihre Älteste auf die Bühne (die später übrigens selbst einen Nobelpreis erhalten wird), und gemeinsam stehen sie ungebrochen und aufrecht vor der versammelten Herrengesellschaft. Und eigentlich hat sich danach bis zu ihrem Tod 1934 noch eine Menge in ihrem Leben getan, doch davon erzählt dieser Film nicht.

   Das ist die Entscheidung der Drehbuchautorin und Regisseurin Marie Noëlle, und das finde ich auch völlig akzeptabel, zumal schon diese kurzen acht Jahre sie vor die Entscheidung stellen, wie man sie gewichten soll. Sie nimmt verhältnismäßig wenig Informationen vorweg, konfrontiert uns unmittelbar mit Maries Leben in Paris an der Seite Pierres und kümmert sich auch im weiteren Verlauf nicht so sehr darum, einen übersichtlichen biographischen Abriss zu bieten, bevorzugt eher eine Art impressionistischer Darstellung, die sehr auf Stimmungen und Emotionen setzt. Das klappt auch gut – die Bilder sind schön und ausdrucksvoll, die Darsteller top, allen voran Karolina Gruszka, die eine sehr eindrucksvolle Marie Curie abgibt und die vor allem keine glatte Heroine ist, sondern ein Mensch mit starkem eigenen Willen, in den wir auch nicht so ohne weiteres hineinsehen können. Ihre wissenschaftliche Arbeit wird wie gesagt nur sehr knapp umrissen, und da fehlt mir eigentlich auch nichts, was mir aber schon ein bisschen fehlt, ist eine Einordnung, die mir einen Eindruck davon gibt, was Curies Arbeit seinerzeit bedeutete. Denn was ich heute mit dem Begriff Radioaktivität verbinde, ist ganz sicher sehr weit von dem entfernt, was er vor mehr als einhundert Jahren bedeutet hat, und da Marie Curie noch immer als eine bahnbrechende Naturwissenschaftlerin gilt, hätte ich gern besser verstanden, wo ihre Pionierarbeit einzuordnen ist. Abgesehen davon hat sie ihr Engagement eigentlich erst nach dem zweiten Nobelpreis ausgeweitet, doch davon zu erzählen hätte einen gänzlich anderen Film ergeben, der vermutlich auf rein menschlicher Ebene nicht so ergiebig gewesen wäre. So haben wir einmal mehr die Geschichte einer Frau, die um Anerkennung in der fest zementierten Männergesellschaft kämpft und dabei auch einige üble Hässlichkeiten zu schlucken hat, und wir haben ein Liebesdrama, das einige Kreise zieht und beinahe zu einem Politikum wird, und uns auf jeden Fall zu verstehen gibt, dass damals wie heute an Frauen und Männer unterschiedliche moralische Maßstäbe angelegt wird, was damals wie heute damit zusammenhängt, wer diese moralischen Maßstäbe festlegen darf. Im Film muss das nicht mal sonderlich polemisch dargestellt werden, die Tatsachen sind schon schockierend genug, und genauso ist es extrem respektgebietend, wie es Marie Curie gelungen ist, sich durch diese unglaublich schwierige, belastende Zeit hindurch zu kämpfen. Eins, zwei Szenen mehr, die uns eine Vorstellung davon geben, was das wirklich mit ihr angerichtet hat, hätten mir übrigens ganz gut gefallen…

 

   Alles in allem also mal wieder ein typischer Fall, ein inhaltlich interessanter, formal sehr ansprechender, künstlerisch gelungener Film, der aber wie fast alle anderen seiner Art letztlich doch am Gegenstand der Betrachtung scheitert. Das ist fast zwangsläufig. Wenn man sich einen realen Charakter vornimmt, lädt man die Zuschauer dazu ein, sich zu informieren, nachzulesen, zu vergleichen, das bleibt nicht aus, und man kommt unweigerlich zu dem Schluss, dass ein Film solch ein Leben kaum jemals angemessen abbilden kann. Noëlle hat ja noch nicht mal den Anspruch, das zu tun, indem sie diesen kurzen Lebensabschnitt ausgewählt hat, aber wenn ich‘s genau bedenke, hat sie ja noch nicht mal diese acht Jahre voll im Griff, das ist vielleicht auch gar nicht machbar im Rahmen eines Hundertminutenwerks. „Marie Curie“ hat aber auf jeden Fall den gleichen Vorteil wie all die anderen Biopics – er macht womöglich neugierig, mehr erfahren zu wollen, sich noch ein bisschen schlauer zu machen, und darum guck ich mir solche Filme doch immer wieder an, selbst wenn sie mich kaum mal richtig zufriedenstellen. (4.1.)