Maudie von Aisling Walsh. Irland/Kanada, 2017. Sally Hawkins, Ethan Hawke, Kari Matchett, Zachary Bennett, Gabrielle Rose

   Und nochmal Berlinale, zum fünften und letzten Mal.

   Die wahre Geschichte der Maud Lewis, einer kanadischen Künstlerin, Vertreterin der wenn man so sagen will „naiven Malerei“, oder vielleicht eher „Volkskunst“. Sie litt seit ihrer Kindheit an rheumatischer Arthritis, lebte nach dem frühen Tod der Eltern zunächst bei ihrem Bruder, später bei ihrer Tante, stets als Klotz am Bein und lästiger Esser, der nichts zum Lebensunterhalt beitragen konnte und die aufgrund ihrer stark ausgeprägten Bewegungseinschränkung gleichzeitig für geistig behindert gehalten wurde. Um der ungnädigen „Gastfreundschaft“ ihrer rigorosen Tante zu entkommen, greift sie gleich zu, als Everett Lewis, ein einzelgängerischer Fischer und Hausierer einen Aushang im Laden des kleinen Ortes aufhängt, auf dem eine Haushaltshilfe gesucht wird. Obwohl er eigentlich gar nicht will und eigentlich auch gar nicht mit irgendwelchen Menschen umgehen kann, zieht Maud bei ihm ein, und nach etlichen Konflikten und gegen seinen Widerstand lässt er sich darauf ein, dass sie seinen Haushalt in Ordnung bringt. Zwei totale Außenseiter, die sich zusammenraufen. Maud hat immer viel gemalt und nun fängt sie wieder damit an, bemalt Wände, Möbel, Türen, sogar ein Fenster mit ihren einfachen, ländlichen Motiven und gerade so, wie ihre unbeweglichen Hände es hinbekommen. Everett und Maud heiraten schließlich, aus Maud Dowley wird Maud Lewis, an ihrem Verhältnis, das man vielleicht am besten als rustikal bezeichnen könnte, jedenfalls was ihn angeht, ändert sich sonst wenig. Maud malt unermüdlich, beschafft sich Material und Unterlagen, wo sie nur kann, doch weder sie noch Everett, der ohnehin mit dem ganzen Kram herzlich wenig anfangen kann, wären auf die Idee gekommen, ihr Tun als Kunst zu bezeichnen. Das ändert sich erst, als eine wohlhabende New Yorkerin ein Wochenendhaus in der Nähe kauft und zufällig eines von Mauds Bildern zu sehen bekommt. Sie wird Mauds erste richtige Auftraggeberin, an sie verkauft Maud zum ersten Mal ein Bild, und bald wird es so sein, dass Everett den Haushalt schmeißt, während sie den Großteil ihres Unterhalts mit ihren Bildern reinholt, und auf seine knorrige, wortkarge Weise wird er lernen, dies so hinzunehmen. Natürlich wird er erst so recht verstehen, was er an ihr hatte, als sie im Sterben liegt (Maud Lewis starb 1970), und wie man liest, raffte sich die Gemeinde erst nach Everetts Tod knapp zehn Jahre später (Mord durch einen Einbrecher) dazu auf, das von Verfall bedrohte Haus zu restaurieren und als schützenswertes Kulturgut zu betrachten.

 

   Zunächst mal: Ein Film, in dem Mary Margaret O’Hara, Lisa Hannigan und Margo Timmins zu hören sind, kann nichts falsch machen, klare Kiste! Der wunderbare Soundtrack (ansonsten von Margos Gatten Michael) gibt den friedlichen, ländlichen Rhythmus der Erzählung vor, die poetischen Impressionen der Küstenlandschaft Nova Scotias geben einen würdigen Rahmen für das Leben dieser Frau, die sich ständig am Rande des absoluten Existenzminimums befand und die dieses Leben bewusst annahm und daraus die für sie wichtigen Dinge bezog. Zum einen die Motive für ihre Bilder, klar, leuchtend, einfach, zum anderen die Suche nach einem Menschen, der sie liebte und dem sie sich zugehörig fühlen konnte. Bruder und Tante waren es nicht, Everett wehrte sich anfangs mit Händen und Füßen, doch er wurde auserkoren und lebte sich in die Rolle hinein. Und so konnte sie zuletzt sterbend zu ihm sagen: Ich wurde geliebt. Everett wäre sich dessen vermutlich nicht mal selbst bewusst gewesen, doch sie empfand es so, darauf kam es an. Everett tat sich eh schon schwer genug, sie als Mensch zu sehen und nicht als Nutztier, doch das brachte sie ihm schon bei und auch alles andere, was sie brauchte, und das war offenbar nicht viel. Die eigentümliche Beziehung der beiden nimmt den Großteil dieses Films ein und sie wird in vielen sehr gut beobachteten, liebevoll gezeichneten und von Sally Hawkins und Ethan Hawke wirklich kongenial interpretierten Momenten ausgebreitet. Gerade die großartige Chemie der beiden, ihre unaufdringliche, intensive Menschlichkeit bringt auch die vielen kleinen komischen Augenblicke ihrer Annäherung und ihres Miteinanders zur Geltung, genau wie all die Probleme, die sie haben, aufgrund ihrer vielen schlimmen Erfahrungen überhaupt Vertrauen zu jemandem aufzubauen. Die Regisseurin Aisling Walsh hat es zudem sehr gut geschafft, einen angemessen bedächtigen Erzählrhythmus zu finden, ohne lahm oder zu betulich zu werden und die Kunst der Maud Lewis buchstäblich in Land und Leute einzubetten, was ohne viele Worte funktioniert. Man erlebt die Kargheit der Landschaft, die Ärmlichkeit ihrer Behausung, die sie aus irgendeinem Grund nie verlassen wollten, man erspürt, was ihr wichtig war, was sie gesehen und gefühlt hat, und wenn man im Film und auch nachher im Abspann die Bilder dazu sieht, ist die Verbindung sofort da. Das hat mir gefallen, gerade weil’s in letzter Zeit viele Künstlerfilme gab, denen genau das nicht so gut gelungen ist. Ein ausdrucksvoller, schöner, gefühlvoller Film, dem ich nichtsdestoweniger andere Berlinalefilme vorziehe, weil er, wenn auch auf sehr angenehme Weise, nicht mehr tut, als meine Vorerwartungen zu erfüllen. Ich habe in diesen drei Tagen aufregendere, vielschichtigere Filme gesehen und halte mich in diesem Falle eher an die. Den warmen, anhaltenden Applaus nachher im riesigen Friedrichstadt-Palast haben Walsh und Hawkins aber auf jeden Fall total verdient. (15.2.)