My cousin Rachel (Meine Cousine Rachel) von Roger Michell. England/ USA, 2017. Sam Claflin, Rachel Weisz, Holliday Grainger, Iain Glen, Pierfrancesco Favino, Andrew Knott, Poppy Lee Friar

   Eine viktorianische Schauermär nach Daphne Du Maurier, schön old-school inszeniert und ohne jegliche Ambitionen, mehr zu sein als das, was man sieht. Philip Ashley erzählt seine Geschichte: Früh verwaist, wurde er von seinem älteren Cousin Ambrose auf dessen großem Anwesen nahe der Küste Cornwalls aufgezogen. Ambrose zieht aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend nach Florenz, und von nun an erhält Philip viele Briefe, in denen von der schönen Cousine Rachel die Rede ist, die Ambrose dort trifft, der er vollkommen verfällt und die er schließlich heiratet. Spätere Briefe werden mysteriöser, bruchstückhafter, und es ist darin von Krankheit und Misstrauen, Wahn und Paranoia die Rede. Ambrose stirbt schließlich, und Philip wird bis zur Vollendung seines fünfundzwanzigsten Lebensjahres unter der Vormundschaft des freundlichen Mr. Kendall stehen, dessen Tochter Louise seit langem ein Äuglein auf ihn geworfen hat. Philip ist davon überzeugt, dass Rachel den Tod seines geliebten Cousins verursacht hat, doch eine kurze Reise in die Toskana bringt ihn nicht weiter, er trifft dort nur den undurchsichtigen Signore Rainaldi, einen Freund Rachels, von dem er sich vage hinters Licht geführt wähnt. Kurz darauf wird bekannt, dass Rachel als rechtmäßige Eigentümerin des Anwesens nach Cornwall kommt, und Philip ist wild entschlossen, sie so schroff wie möglich zu empfangen. Dieser Vorsatz zergeht wie Butter an der Sonne, als er seine Cousine zum ersten Mal sieht, seine Haltung schlägt fast augenblicklich in tiefe Bewunderung und Liebe um, sehr zum Missfallen Mr. Kendalls, der Rachel misstraut und Philip dringend dazu rät, nach dem Erreichen seiner Volljährigkeit keine Unvorsichtigkeiten zu begehen. Genau das geschieht jedoch, Philip ist geradezu blind vor Liebe, will Rachel alles Eigentum inklusive Familienschmuck übertragen und sie auch noch heiraten. Rachel weist ihn deutlich vor versammelter Mannschaft zurück, und von nun an stürzt Philip in einen fatalen, fieberähnlichen Zustand, in dem er Realität nicht mehr von Fantasie trennen kann. Will Rachel ihn vergiften, so wie sie Ambrose angeblich vergiftete? Ist sie eine männermordende Intrigantin und Rainaldi ihr Komplize? Mit Louises Hilfe kann er sich aus seiner Apathie befreien und sucht nach beweisen, ohne einen einzigen zu finden. Rachel stürzt beim Ausreiten tödlich ab, wobei Philip ihr mit Absicht einen sehr gefährlichen Weg am Klippenrand empfohlen hatte. Er heiratet Louise, macht eine Familie auf, doch der Schatten der rätselhaften Cousine wird auf ihm bleiben.

   Das alles hat ein wenig Groschenheftappeal, und wenn ich beispielsweise an “Rebecca“ denke, fühle ich mich in vielem daran erinnert – das Landhaus nahe der Küste, die durchgehend morbide Atmosphäre, eine Stimmung von Unsicherheit, Misstrauen, Angst. Roger Michell hat dies sehr gekonnt auf die Leinwand übertragen, hat einerseits einen ganz konventionellen Kostümfilm im klassischen Sinne gemacht, hat es andererseits aber vermieden, optisch zu dick aufzutragen, sondern belässt es bei einer ganz reizvollen Ambiguität, die tatsächlich bis zuletzt durchgehalten wird und zu einer Art offenem Ende führt – und diesmal passt es auch! Philip ist ein typisch englischer bleicher Jüngling, ein bisschen einfältig und ziemlich hochfahrend, und bis zuletzt können auch wir nicht sicher sein, ob Rachel eine dämonische Erbschleicherin und sogar Mörderin ist oder das Opfer zweier paranoider Männer, die möglicherweise die gleiche pathologische Veranlagung besitzen. Die fiebrigen Brieffetzen seines Cousins leiten Philip auf die eine Spur, doch er selbst schwankt ständig, sieht in Rachel mal einen Engel, mal einen Teufel. Tatsächlich operiert sie mit einem eigenartigen Pülverchen, das sie dem wehleidigen ständig Bürschlein in den Tee mischt, und gleichzeitig wird draußen schön suggestiv der Goldregen runtergeschnitten, und Rainaldis Rolle kann erst spät insofern befriedigend geklärt werden, als er als schwul geoutet wird und wenigstens in dieser Hinsicht keine Gefahr von ihm ausgeht. Wir Zuschauer sind genau wie Philip auf unser Gefühl, unsere Vermutung, auch unsere Vorurteile angewiesen, und das wird zumindest in Teilen des Films ganz geschickt arrangiert. Rachel Weisz kann ihr ganzes Charisma in die Waagschale werfen und genau diese Zweideutigkeit perfekt umsetzen, sodass auch meine Haltung mal in die eine, mal in die andere Richtung pendelte. Leider ist der anämische Sam Claflin kein ebenbürtiger Partner für sie – hier wäre die Regie doch mal gefragt gewesen – was zum einen vielleicht an der schematischen Figurenanlange des Romans liegt, aber ganz sicher auch daran, dass er Weisz nicht das Wasser reichen kann, was Persönlichkeit und Präsenz angeht. Ich weiß nicht, wie das in dem alten Heuler von 1952 mit Olivia de Havilland und Dickie Burton war, wäre direkt interessant, die beiden Filme mal zu vergleichen. Und wie ich grad bei youtube sah, gibt‘s auch eine BBC-Adaption von 1983 mit Geraldine Chaplin und Christopher Guard – vielleicht versuch ich‘s erstmal damit.

 

   Aber um das hier erstmal zum Schluss zu bringen – Roger Michells Version ist ein hübsch anzusehendes Stück gediegenen britischen Literaturkinos, eine dunkle Romanze, die sicherlich noch tiefer in die dunklen Gebiete hätte eintauchen können, und wie Michell zumindest in einigen seiner früheren Filme gezeigt hat, könnte er das durchaus. Hier hat er’s weitgehend bei suggestiver Atmosphäre belassen und sich auf seine großartige Hauptdarstellerin verlassen und damit sicherlich nichts falsch gemacht. Reicht ja manchmal auch schon… (12.9.)