Moonlight von Barry Jenkins. USA, 2016. Trevante Rhodes, Ashton Sanders, Alex Hibbert, André Holland, Jharrel Jerome, Jaden Piner, Naomie Harris, Janelle Monaé, Mahershala Ali
Ein schmächtiger Neunjähriger, heißt eigentlich Chiron, wird aber Little genannt wegen seiner Statur. Lebt in Miami zusammen mit der Mutter Paula, einer Crackhure, hält sich von den anderen fern, wird aber ständig angegangen und verfolgt, das ideale Opfer eben. Der Dealer Juan liest ihn eines Tages in einem Versteck auf, und da Little nicht sagen will, wohin er gehört, nimmt ihn Juan mit zu sich nach Hause, wo sich seine Freundin Theresa um den Knaben kümmert. Juan macht auf dicke Hose, ist aber kein so übler Kerl, er will Little das Schwimmen beibringen und ihm zeigen, wie man Kraft und Vertrauen kriegt und erklärt ihm, dass Schwulsein nicht schlimm ist und er noch Zeit, um rauszufinden, ob er das ist.
Sieben oder acht Jahre später: Chiron wird jetzt Chiron genannt, ist aber immer noch schmächtig und ein Außenseiter, wird vom Chefmacho in der Klasse ständig als Schwuchtel beschimpft und immer noch gemobbt. Juan ist tot, Theresa ist weiterhin die Ersatzmutter, Paula weiterhin cracksüchtig. Chirons einziger Freund an der Schule ist Kevin, der nur vor den anderen den Machomacker gibt. Mit Kevin wird Chiron seine erste sexuelle Begegnung am Strand haben. Später verprügelt ihn Kevin vor den ganzen anderen Jungs, weil er nicht wie ein Schlappschwanz dastehen möchte. Chirons revanchiert sich kurze Zeit später bei seinem ärgsten Feind, zieht ihm in der Schulklasse einen Stuhl über den Schädel und wird von der Polizei abgeführt.
Wieder zehn Jahre oder so später: Aus Chiron ist jetzt Black geworden, ein Pusher mit Goldkettchen, Goldzähnen, fetten Muckis und einer Pusherkarre. Er lebt in Atlanta, besucht Paula ab und zu in einer Rehaeinrichtung, in der sie vielleicht sogar auf Dauer bleiben will. Er kriegt einen Anruf von Kevin, mit dem er keinen Kontakt mehr hatte seit damals, und er fährt nach Miami, besucht ihn in seinem Restaurant, das er als Koch betreibt. Die beiden trinken, reden, Kevin erzählt, dass er kurz verheiratet war, einen Sohn hat und insgesamt mit seinem Leben im reinen ist. Black erzählt, wie er in den Knast gewandert ist und dort zum Dealer wurde, wie die Geschäfte gut liefen und er aufgestiegen ist. Kevin versteht nicht, sagt, das bist gar nicht du, wieso bist du so geworden. Er sagt auch, dass es ihm leidtut, was er Chiron damals angetan hat. Black erzählt ihm, dass er, Kevin, der einzige geblieben ist, dem er jemals nahe gekommen ist. Die beiden Männer lehnen sich aneinander, geben sich gegenseitig Halt und Trost. Wir sehen noch einmal den Jungen Little, er steht im Meer, dreht sich um und schaut irgendwie herausfordernd in die Kamera.
Kein Film, den ich schnell abhake nach dem Kinobesuch, sondern ein Film, der weiter arbeitet, der nachwirkt, der sich im Nachhinein auch noch verändert, und zwar zum Positiven. Während des Zusehens war mein Gefühl gar nicht mal so euphorisch, eher irritiert, doch wenn ich anfange, über „Moonlight“ nachzudenken, finde ich ihn dann doch ziemlich beachtlich. Ein schwarzer Film aus den USA, dem die Academy nun den Oscar für den besten Film zugeschanzt hat, leider im ganz falschen Moment, da es wie eine reine Konzessionsentscheidung aussieht, weil halt viele Stimmen laut wurden und mehr Unterstützung und Anerkennung für das schwarze Kino einforderten. Und so musste die Academy ihrem Herzen einen Stoß geben und statt ihres eigentlichen Favoriten „Lala Land“ diesem Film den Oscar überlassen, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass nun erstmal Ruhe ist in den kommenden Jahren. Pfui, was bin ich fies…
„Moonlight“ beschäftigt mich aufgrund seiner Brüche und Auslassungen. Er weigert sich ganz einfach, ein stinknormales Milieudrama zu sein, lässt das Milieu einfach außen vor, ich meine, wir kriegen schon Milieu zu sehen, aber eher beiläufig und im Hintergrund. Er weigert sich gleichfalls, ein stinknormaler Liebesfilm zu sein, ob nun schwul oder nicht. Er weigert sich auch, so etwas wie ein Lebensbericht mit einem Anfang und einem Ende zu sein. Er zeigt nur drei Episoden aus Chirons Leben, am Ende der dritten bleibt sein weiterer Weg offen – wird er enden wie Juan, dem er offensichtlich nacheifert, oder wird es für ihn und Kevin eine Zukunft geben, oder wird er sein Leben nochmal ändern, vielleicht endlich zu so etwas wie einer eigenen Identität finden. Und das scheint mir das zentrale Stichwort dieser Geschichte zu sein – Identität, darum geht’s. Woher kommst du, was hat dich geprägt, was hast du daraus gemacht, kurz, warum bist du der, der du bist – oder bist du‘s gar nicht. Der Bruch zwischen Kapitel zwei und drei ist tatsächlich derart heftig und unerwartet, dass ich auch erstmal schlucken musste, erst im weiteren Verlauf des Gesprächs zwischen Black und Kevin wird klar, dass Chiros Verwandlung vom zerbrechlichen Außenseiter zum bulligen Dealer zu einem Teil rein äußerlicher Natur ist, dass er sich seinen sensiblen, weichen Kern weitgehend erhalten hat. Ob das nun alles glaubhaft ist, kann man diskutieren, genauso wie die Figur Juans, der tatsächlich so etwas wie ein Pusher mit Gewissen ist – gibt’s sowas? Verkauft Crack, richtet unter anderem Paulas Leben zugrunde, und ist wirklich richtig traurig, wenn Little ihm das vorhält. Hm. Und von dieser Sorte gibt’s einige Haken und Ösen in „Moonlight“, aber wahrscheinlich muss man einfach akzeptieren, dass Barry Jenkins andere Absichten und Ansprüche verfolgt und sich weniger für die gängigen Gesetze des Sozialdramas und der Realitätsnähe interessiert. Tatsache ist: Dies ist schwarzes Kino im buchstäblichen Sinne, es kommt kein einziger Weißer vor, und das fällt überhaupt nicht auf, so selbstverständlich und souverän ist diese Äußerung schwarzen Selbstbewusstseins. Es kommt auch keine Gewalt im graphischen Sinne vor, selbst wenn Juan ab und zu mal mit ner Knarre hantiert und man annehmen darf, dass er auch nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Das hat aber nichts damit zu tun, dass Little/Chiro/Black nicht zu einhundert Prozent ein Produkt struktureller Gewalt sind, womit ich wieder beim Motiv der Identität wäre. Das hat Jenkins schon sehr eindrucksvoll hingekriegt, obwohl ich noch immer sagen muss, dass mich „Moonlight“ nicht in allen Einzelheiten überzeugt hat. Dennoch ist dies ein Film, der natürlich sehr weit entfernt ist vom Mainstream und dem, was uns Hollywood gewöhnlich zumutet. Starkes, emanzipiertes, kraftvolles Independentkino mit ganz tollen Schauspielern, vor allem den drei Chiros, sehr viel Gefühl und Ausdruck und einer mitunter vielleicht etwas aufdringlichen Kameraästhetik, die auf jeden Fall auch nix mit Mainstream im Sinn hat. Auf seine Weise ist der Film ähnlich theatralisch wie Denzel Washingtons „Fences“, nur hat er mich nicht so genervt und er hat mir definitiv sehr viel besser gefallen. Und natürlich ist es gar keine Frage, dass die Art und Weise, wie schwarze Kultur und Identität bislang in Hollywood behandelt wurden, schlicht skandalös ist, nur wundere ich mich, dass erst jetzt Krach geschlagen wird, wo das doch wirklich gar nichts Neues ist. Wenn also in diesem Jahr ein Film zur Besänftigung des weißen Gewissens geeignet ist, dann sicherlich eher „Moonlight“, den ich auf seine sperrige Art doch sehr anregend und diskussionswürdig finde. (22.3.)