Nocturnal Animals von Tom Ford. USA, 2016. Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Arnie Hammer, Ellie Bamber, Karl Glusman, Robert Aramayo, Laura Linney, Andrea Riseborough
Zunächst nochmal ein Prost aufs neue Jahr und auf hoffentlich viele neue spannende, anregende, aufregende Filme!
Und jetzt mitten rein in die neue Saison mit dem zweiten Film von Tom Ford, dem ja immer noch das Image des hauptberuflichen Designers anhängt, der vor allem auf die schicke Oberfläche schaut. Womit er natürlich schon mal zur Hälfte fürs Filmgeschäft qualifiziert wäre, und solange er solch reizvolle Projekte hervorzaubert wie „A single man“ oder nun „Nocturnal Animals“ kann mir sowieso schnuppe sein, was das Feuilleton über ihn zu sagen hat.
Diesmal bietet er eine dunkel schillernde Mixtur, die oszilliert zwischen Realität und Fiktion, zwischen dem wahren Leben und der Kunst, der Gegenwart und der Vergangenheit, inklusive der fiktionalen. Die Welt der Schönen und Reichen in der Kunstszene von L.A. gibt einen hübsch dekadenten Hintergrund ab, und dorthin passen Susan und ihr Gatte Hutton scheinbar zu einhundert Prozent. Sie betreibt eine Galerie, hat allerdings gegen sinkende Gewinne und sich häufende Misserfolge zu kämpfen, während er als Geschäftsmann einen lukrativen Deal nach dem anderen landet – und seine flotte Assistentin vögelt. Sie erhält per Post ein Manuskript, verfasst von ihrem Ex-Mann Edward, ihr gewidmet und benannt nach dem Spitznamen, den er ihr einst gab – Nachtschwärmer. Während Hutton mal wieder auf Reisen ist, vertieft sie sich einerseits in den Roman, eine brutale und typisch amerikanische Gewalt-und-Rache-Story aus dem ländlichen Texas, worin ein friedfertiger Ehemann und Familienvater Frau und Tochter an drei Bastarde verliert und sich mithilfe eines kaputten, todkranken Polizisten an ihnen rächen kann, dabei aber selbst zu Tode kommt. Und andererseits vertieft sie sich in Erinnerungen an ihre Zeit mit Edward in New York, an ihr Kennenlernen, als sie beide noch Studenten waren, an die mahnenden Worte ihrer Mutter, die sehr richtig voraussah, dass Edward auf Dauer nicht in ihre ehrgeizigen, zielstrebigen Zukunfts- und Karriereplanungen passen würde, an ihre zunehmenden Differenzen und Konflikte, und schließlich an ihren Schwangerschaftsabbruch, der ohne Edwards Wissen, dafür bereits mit Huttons Unterstützung stattfand, womit das Ende der Ehe markiert war. Der grimmige Roman schüttelt sie seelisch ordentlich durch, zumal er an vielen Stellen Anspielungen an die eigene gemeinsame Geschichte zu enthalten scheint, und schließlich verabredet sie sich mit ihm zum Abendessen. Sie sitzt und wartet und wartet, doch er erscheint nicht.
Ford hat seinen Film sehr gekonnt konzipiert und raffiniert gestaltet. Die verschiedenen Ebenen sind künstlerisch täuschend klar voneinander getrennt – die Gegenwart in L.A. in samtig-kühlen, eleganten Bildern und entsprechenden Dekors, die Romanerzählung in fiebrigen, erhitzten Bildern voller Gewalt und Psychose, und während die Personen, die das L.A. von Susans Welt bevölkern, cool gestylte Szeneschickis hinter zentimeterdicken Make-up-Masken sind, erscheint das Personal des Romans klischeehaft, zum Teil leicht ins Surreale verzerrt, gerade so, wie es in den üblichen Horrorgeschichten auftritt. Jake Gyllenhaal ist zugleich Edward und der Vater der Erzählung, und die Parallelen im Charakter sind unübersehbar, während die Ehefrau im Roman nicht von Amy Adams gespielt wird. Und es gibt eine Tochter – jene Tochter womöglich, die Susan einst ohne Edwards Wissen abtrieb. Natürlich sind diese Verbindungen reine Spekulation, werden vom Drehbuch zwar sozusagen leicht angeheizt, aber niemals wirklich bestätigt, doch deutet auch Susans sehr intensive Reaktion darauf hin, dass viele Momente in ihr mehr auslösen, als dies ein gewöhnlicher, unverbindlicher Roman täte. Ford indes treibt dieses Spiel niemals auf die Spitze, es gibt keine platten Querverweise, es gibt vor allem Susan, die tiefer und tiefer hineingezogen wird in ihrer Erinnerungen, und die natürlich auch dadurch empfindlich wird, dass sie von Huttons Untreue erfährt und sich fragen muss, ob die Trennung von Edward damals nicht ein großer Fehler war. Abgesehen davon entfaltet sich der Roman auch für uns sehr intensiv, es wirken die gewohnten Mechanismen des Gewaltfilms, die halt immer wirken, und Ford handhabt diese Mechanismen sehr überlegt und geschickt, aber doch auch so, dass wir mitfiebern und mitleiden. Wie leicht ist es doch, uns in Lynchjustizstimmung zu versetzen! Man muss nur die Charaktere stereotyp genug anlegen und bei der Story dick genug auftragen, und schon wünschen auch wir den drei Mördern einen möglichst grimmiges Ende und hoffen, dass Paps endlich die Eier hat, und den Ballermann benutzt, den der Cop ihm reicht. Gegen dieses archaische, krasse Szenarium hebt sich die Kälte und Entfremdung aus Susans Welt deutlich ab, die beiden wirken fast wie bewusste Gegenentwürfe zueinander, und es ist gut möglich, dass Edward all seinen Zorn, seine Verletztheit und auch seine Aggressionen in diese eine blutige Geschichte gepackt hat. Erfahren werden wir es im Film, nicht, denn Edward taucht nicht mehr auf, lässt Susan sitzen, stellt sie dieses eine Mal bloß mit ihren frisch geweckten Hoffnungen und Erwartungen – nachdem sie ihm einst so grausam mitgespielt hat, scheint sie nun allen Ernstes eine Versöhnung mit Edward anzustreben, ganz im Stile einer Frau, die gewohnt ist zu bekommen, was sie haben will. Man sieht ihr die Ernüchterung direkt an, als sie erkennt, dass Edward dies womöglich vorausgesehen und genau diesen Plan durchkreuzt hat.
Elegant fotografiert, raffiniert konstruiert und von allen glänzend gespielt ist „Nocturnal Animals“ ein abgründiges, düsteres, auch sinnliches Spiel zwischen den Welten, meinetwegen nur eine Delikatesse von kurzer Wirkdauer, dafür aber eine höchst schmackhaft zubereitete. (2.1.)