Personal Shopper von Olivier Assayas. Frankreich/BRD, 2016. Kristen Stewart, Lars Eidinger, Sigrid Bouaziz, Anders Danielsen Lie, Nora von Waldstätten
Vor einigen Jahren beeindruckte Assayas mit „Die Wolken von Sils Maria“, ein vielschichtiges, hybrides, rätselhaftes Werk, das sich, und gerade das machte seine Faszination aus, partout nicht in irgendeine Schublade stecken ließ, und das bei einem Regisseur, der bis dahin ganz gern und gekonnt in Schubladen gearbeitet hatte. Mit „Personal Shopper“ setzt er nun noch einen drauf, wie ich finde, vor allem in puncto Rätselhaftigkeit, Vieldeutigkeit. Ein Geisterfilm, ein psychologischer Thriller, eine Trauergeschichte, alle diese Kategorien passen auf den Film, mal mehr, mal weniger, mal alle gleichzeitig, mal getrennt voneinander. Ein seltener Film vor allem, denn er wirkt noch lange nach, arbeitet in mir, reizt mich, ihn noch einmal zu sehen, um vielleicht nochmal anders zu sehen, mehr zu sehen.
Personal Shopper ist die aktuelle Beschäftigungsbezeichnung, die Maureen einmal auf Nachfrage angibt, was heißen soll, dass sie für eine sehr prominente und leider total ausgebuchte Frau namens Kyra, die irgendwo sehr global in der Modebranche operiert, Einkäufe erledigt. Sie lebt deshalb in Paris, shoppt sich durch die Nobelboutiquen, aber darum geht es ihr eigentlich gar nicht. Ihr geht es um ihren Zwillingsbruder Lewis, den sie vor kurzem durch die Folgen eines Herzfehlers verlor (den auch sie selbst hat), und zu dem sie unbedingt in Kontakt treten möchte. Wie ihr Bruder ist auch sie ein Medium, in der Lage, Signale aus dem Jenseits zu empfangen, und sie und Lewis hatten einander versprochen, dass derjenige, der zuerst stirbt, dem anderen ein Zeichen gibt. Maureen sucht das große Haus auf, in dem Lewis zuletzt mit seiner Freundin gewohnt hatte, und dort spürt sie tatsächlich eine Präsenz, die sie allerdings noch nicht genau identifizieren kann. Sie lernt auch Kyras Freund Ingo kennen und bekommt kurz nach ihrer Begegnung geheimnisvolle Texte auf ihr Handy. Diese locken sie auf verschiedene Spuren, beunruhigen sie mit ominösen Andeutungen, und schließlich gerät sie mitten in einen Mordfall mit Lyra als Opfer und sie selbst zumindest kurzzeitig als Verdächtiger. Dann kann aber Ingo als Täter dingfest gemacht werden, nachdem Maureen eine weitere massive Erscheinung hatte und sich nun sicher ist, dass dieser Geist nicht Lewis sein kann. Sie folgt der Einladung ihres Freundes, der zurzeit in Oman arbeitet, doch auch in der Wüste kann sie ihre Geister nicht abschütteln.
Immer, wenn man sich halbwegs eingerichtet hat und sicher fühlt in der Geschichte, nimmt sie wieder eine Wendung, lotst uns auf unsicheres Terrain, auf dünnes Eis, wobei gerade die an sich sehr coole und überlegt wirkende Erzählweise einen irritierenden Kontrast zu diesen abrupten Sprüngen bildet. Assayas erzählt augenscheinlich total ernsthaft, ohne jedes Augenzwinkern, auch wenn es zwischenzeitlich ein wenig abstrus zu werden droht. Maureen als Medium hat keinerlei esoterischen Trash-Appeal, sondern ist eine stinknormale junge Frau wie Millionen andere auch, und sie trägt ihre Gabe, die sie im Übrigen keineswegs als solche empfindet, auch nicht sie einen Banner vor sich her. Sie wirkt schüchtern, oft unsicher, nervös, hakt ihren Job eher als lästige aber notwendige Zeitvergeudung ab, hat sich mit all den Marotten und Kapriziosen ihrer Arbeitgeberin vertraut gemacht und geht ihrer Wege unter all den schicken, hippen Leuten zwischen Paris und London. Diese Welt scheint mit ihrer und der ihres Bruders gar nichts zu tun zu haben, und manchmal scheint Maureen selbst sich wie ein Gespenst zwischen diesen Welten zu bewegen, einsam zumeist, ohne Freunde und Familie, nur ihr Lover ist mal über Skype zugeschaltet und die Freundin ihres Bruders hilft ihr, auch indem sie das große alte Haus an interessierte Kunden verkauft. In all die wenig spektakulären Szenen mischen sich zwischendurch jäh einige Spannungsmomente, in denen Assayas wie beiläufig klarstellt, dass er sowas durchaus auch kann. Und tatsächlich, er kann es, es gibt einige tüchtig gruselige Momente, und dann noch den Mord an Kyra und den anonymen Fremden per SMS, und schon sind wir in einem Verschwörungskrimi angekommen, der sich dann aber nach kurzer Zeit elegant und ein wenig mystisch verläuft und damit abgehakt ist. So lässig und nonchalant geht Assayas fast die ganzen zwei Stunden zu Werke, und das hat dann doch etwas Komisches an sich, auf jeden Fall die Art und Weise, wie er uns ständig aufs Eis führt und dort erst mal ein paar Runden schlittern lässt.
Kristen Stewart muss den Film fast im Alleingang tragen, und das tut sie mit Bravour in ihrer unscheinbaren, total unaufdringlichen, feingliedrigen Präsenz, wobei auch sie sehr subtil zwischen sensibel, verletzlich, distanziert und kühl die Tonarten ändern kann, und all das macht sie derartig gut und überzeugend, dass ich ihr sehr gern die ganze Spieldauer über gefolgt bin. Sicherlich ihre bisher stärkste Rolle und auch ihre stärkte Leistung, nachdem sie bereits in „Sils Maria“ neben der Binoche überzeugt hatte.
Wie schon „Sils Maria“ ist „Personal Shopper“ ein Film, der nicht in erster Linie bis in jedes Detail verstanden, erklärt, intellektuell durchdrungen werden will. Die ist ein Film, der sinnlich und intuitiv erfahren werden will und uns gleichzeitig dazu einlädt, den Kopf nicht völlig abzuschalten, und diese perfekt ausbalancierte Dualität macht ihn so effektvoll. Tolles, meisterhaft gestaltetes und gespieltes Kino, mit Abwegen und Abgründen, die bis über das Ende hinaus reichen. (20.1.)