Robert Doisneau – Le révolté du merveilleux (R.D. – Das Auge von Paris) von Clémentine Deroudille. Frankreich, 2016
Er ist die Sonne, die immer auf unser Leben scheint. Dieser letzte Satz prägt den gesamten Film, der weniger ein Dokumentarfilm im herkömmlichen Sinne ist, als vielmehr die zärtliche Liebeserklärung einer Enkelin ihren Großvater, eine Hommage an einen großartigen Fotokünstler und Menschen – was nicht heißen soll, dass man nicht dennoch viel über Fotografie und ihre Möglichkeiten mitbekommt. Zum Beispiel, wie man es schafft, eine Aufnahme komplett zu stellen und daraus ein weltberühmtes Foto zu machen…
Clémentine Deroudille geht das Projekt total straight an, erzählt schlicht chronologisch, folgt den einzelnen Lebensstationen ihres Großvaters von der Geburt 1912 bis hin zu seinem Tod 1994, nimmt die wichtigsten Etappen mit, das Elternhaus mit den Auswirkungen des ersten Krieges, dann die Zeit des zweiten Krieges, die ersten Gehversuche, die rasche Entwicklung als eigenständiger Künstler, die Heirat, die Familiengründung, die zunehmende öffentliche Prominenz, die damit einhergehende Erweiterung des Repertoires, und so weiter, gliedert später durchaus aber auch nach anderen Kriterien, wenn es eher darum geht, seine verschiedenen Arbeitsbereichen und Interessen abzubilden. Wir haben es hier offenbar mit einem gut dokumentierten Leben zu tun, sehen zusätzlich viele Filmaufnahmen auch aus öffentlichen Auftritten, TV-Interviews etc., und hören Wegbegleiter, Angehörige, Freunde und Kollegen. Prominente Freunde waren beispielsweise Sabine Azéma oder Jean-Claude Carrière, noch viele andere, die nicht mehr zu Wort kommen können. Was sich herausbildet, ist das Porträt eines merkwürdig vielschichtigen, fast paradoxen Lebens, eines gewaltigen Spagats, den der Mann stets mit unerschütterlichem Optimismus, Nonchalance und Lebensfreude bewältigt zu haben scheint. Einerseits ein Mann auf einfachen Verhältnissen, lebenslang seinem Pariser Banlieue und den Menschen dort verbunden, andererseits ein Mann mit vielen Kontakten zu berühmten Künstlern, Dichtern, Schauspielern, sogar auch Modefotograf für Vogue, ein Mensch des öffentlichen Lebens, der damit auch recht bewusst umzugehen verstand, aber auch ein radikal privater Mensch, der erst auf seinen langen Wanderungen durch die Straßen der Viertel aufzublühen schien. Ein rastlos und unermüdlich Arbeitender, den selbst seine Kinder nicht immer regelmäßig zu sehen bekamen, andererseits ein absoluter Familienmensch, der diesen Wert konsequent hochhielt und dafür sorgte, dass seine Familie auch über sein eigenes Leben hinaus eng verbunden blieb, und so haben es Kinder und Enkel auch gehalten, haben sein einstiges Wohnhaus und Atelier als Archiv, Dokumentationszentrum und Ausstellungsräumlichkeit umfunktionieret, haben vor allem endlich dafür gesorgt, dass sein gewaltiges, aus vielen tausend Fotografien zusammengesetztes Werk endlich gesichtet, sortiert und zugänglich gemacht wurde.
Die Hingabe, mit der sie sich dieser Aufgabe widmeten, wird auch in diesem Film deutlich, und gerade das macht seinen Charme und seine Wärme aus. Deroudille bringt ihre Liebe und Bewunderung für den Opa vollkommen natürlich und ungefiltert zum Ausdruck, sie erhebt zu keiner Zeit den Anspruch, sich seiner Persönlichkeit oder seinem Werk objektiv und nach vorgegebenem ästhetischen oder kunsttheoretischen Kriterien nähern zu wollen. Wir sehen hier einen Dokumentarfilm, der in der unmittelbaren privaten Sphäre des Porträtierten entstand und angesiedelt ist, sich aber immer wieder aus diesem engen Kontext löst und den Blick öffnet. Den Blick vor allem freigibt auf die Bilder selbst und ihre Motive, und hier wird’s natürlich besonders interessant. Nicht nur sind die Bilder oft von faszinierender Schönheit und Poesie, sie zeigen auch eine Welt, die es in dieser Form nicht mehr existiert, die im Laufe der Jahrzehnte einfach wegrenoviert wurde, wie zum Beispiel les Halles, in denen sich Doisneau mit Vorliebe herumtrieb, Kontakt zu den Leuten dort aufnahm und sie dann auf seien charakteristische Weise fotografierte. Seine Bilder zeigen dieses Interesse an den Menschen, seine Neugier, seine Zuneigung, und viel mehr noch als der ästhetische oder meinetwegen auch technische Aspekt ist es das, was seine Fotos auszeichnet und was sie so schön macht. Und selbst wenn er anderswo unterwegs ist, beispielsweise in den Staaten, oder wenn er seine Modefotos macht oder Prominente aus Kunst und Kultur ablichtet, behalten seine Bilder immer einen stark privaten, intimen Rahmen. Hier in Deroudilles Film kommen die Bilder natürlich reichlich zum Zug, doch dient die Dokumentation nicht als Ausstellung, und das ist gut so, denn soviel Zeit kann ein Kinofilm nicht investieren, er dient eher dazu, mich neugierig zu machen, mal eine Ausstellung oder einen Bildband anzusehen und mir die Zeit zu nehmen, die ich brauche. Und neugierig hat er mich wirklich gemacht, aber nicht nur deshalb hat mir dieser Film so sehr gefallen. Mit hat er so sehr gefallen, weil ich spüre, dass er aus tiefem Herzen kommt, aus großem Gefühl, und weil ich das in jedem Moment ebenso spüre, und weil dies ein ganz ungeniert persönlicher Film geworden ist. Und natürlich auch, weil er mir mal wieder gezeigt hat, wie toll Fotografie sein kann. (18.8.)