Rodin von Jacques Doillon. Frankreich/Belgien, 2017. Vincent Lindon, Izïa Higelin, Séverine Caneele, Zina Esepciuc, Olivia Baes, Lea Jackson, Edward Akrout, Arthur Nauzyciel, Olivier Cadiot, Laurent Poitrenaux, Bernard Verley
Tja Mensch, Jacques Doillon, den gibt‘s tatsächlich noch! Der letzte Kinofilm, den ich von ihm gesehen habe, war „Ponette“, das war vor sage und schreibe zwanzig Jahren, und das war ein ganz großes Meisterwerk in einer Zeit, da das französische Kino noch Meisterwerke in Serie hervorbrachte. Und da seither nichts von dem Mann zu hören oder zu sehen war, gehe ich logischerweise davon aus, dass er gar keine Filme mehr gemacht hat…? Irrtum Sir, der Monsieur Doillon war mitnichten untätig, der hat zwischen Ponette und Rodin satte acht Kinofilme gemacht, von denen kein einziger bei uns im Kino zu sehen war. Ein Prosit also auf unsere deutschen Verleiher – wahre Filmliebhaber müssen das sein. Ganz ähnlich isses mir ja in diesem Jahr schon mit Monsieur Téchiné gegangen, und ich könnte kotzen, wenn ich vielen vielen Scheißwohlfühlfilme sehe, die Woche für Woche die Säle blockieren, und man für die verdienten und vor allem herausragenden Filmemacher nicht mal eine einzige beschissene Vorstellung pro Woche übrig hat. So, das musste jetzt mal raus.
Wo war ich? Genau, der Doillon. Der hat jetzt im Jahre 2017 einen Künstlerfilm gemacht, der viel eher in die besagten 90er gehörte, in die Reihe von Pialat oder Rivette, weil er hat genau deren Eigenwilligkeit, deren Unangepasstheit, deren Eigenständigkeit, deren Unabhängigkeit vom allgemeinen Konsenskino - und gleich heißt’s in den Rezensionen wieder, dem Film gehe das Gefühl ab, es komme nicht so recht was rüber. Das kommt davon, wenn man sich längst an jenen Einheitsbrei gewöhnt hat, der glaubt, jegliche Emotion meterdick auf die Leinwand schmieren zu müssen, damit das Volk sie auch ja mitkriegt. Spröderes Handwerk so wie dieses erreicht die Leute scheinbar gar nicht mehr, weil die zu Recht voraussetzen, dass sie sich selbst nicht mehr anstrengen müssen, sondern alles schön vorgekaut kriegen, so wie es in der Regel ja auch der Fall ist. Und wem haben wir diese nette Entwicklung zu verdanken…? So, das musste auch mal raus.
Wo war ich? Genau, der Doillon. Der hat dem dreißig alten Melodrama von Isabelle Adjani nun die ergänzende Perspektive hinzugefügt, allerdings ohne den enormen Überschwang, den die Diva Adjani einst bei ihrem Herzensprojekt an den Tag legte. Aber natürlich spielt die Beziehung zwischen Rodin und Claudel auch in seinem Film eine tragende Rolle, wenn auch nicht die einzige. Doillon verfolgt zwei Themenstränge, die er sehr überzeugend und souverän miteinander verknüpft: Rodin der Künstler und Rodin der Ehemann und Liebhaber der Frauen. Rodin der Künstler bekommt 1880 als Vierzigjähriger seinen bis dato lukrativsten Auftrag, nämlich die Gestaltung des Danteschen Höllentors für ein neues Pariser Museum. Ein Staatsauftrag also und damit seine offizielle Würdigung als bedeutender Künstler. Natürlich arbeitet er sich gerade daran auch weiterhin ab, auch in engem Kontakt mit Malern wie Renoir oder Cézanne, die wie er darum ringen, ihre revolutionären Kunstvorstellungen endlich an die breite Öffentlichkeit tragen zu können. Wir sehen Rodin als fieberhaft und unermüdlich Schaffenden, der an dem Höllentor mehrere Jahrzehnte arbeiten wird. Wir sehen ihn auch als Schöpfer ungewöhnlich ausdrucksstarker Figuren, denen er eine für die damalige Zeit unerhörte und aufsehenerregende Sinnlichkeit, Lebendigkeit und Präsenz verleiht. Oder wir sehen die Bürger von Calais und den Aufruhr, den sie damals verursachten. Ein Künstler, der buchstäblich seine Seele investiert, der stets und ständig um den ultimativen Ausdruck ringt, der den geliebten Ton zum Leben, zum Vibrieren bringen will. Und der damit naturgemäß regelmäßig aneckt, zum Beispiel bei den noblen Herrschaften, die bei ihm eine Balzac-Standfigur zur Ehrung des großen Autors in Auftrag geben und zunächst ein unansehnliches, schmerbäuchiges Konstrukt mit dicken Eiern präsentiert bekommen, das Rodin dann widerwillig mit einem Mantel verhüllt. Doillon verbringt mit uns viel Zeit damit, Rodin bei der Arbeit zuzusehen, ihm nachzuspüren, zu verstehen, wohin er mit seiner Kunst will, was er ausdrücken will, wieviel von ihm selbst in dieser Kunst steckt. Lange schon habe ich keinen Film mehr gesehen, der sich wirklich so intensiv auf den kreativen Prozess selbst einlässt, selbst wenn da womöglich auf Kosten einer herkömmlichen Dramaturgie gehen könnte. Das ist ebenso ungewöhnlich wie faszinierend, es sollte dabei aber eigentlich normal sein, denn dies ist schließlich ein Film über einen Künstler.
Rodin und die Frauen gibt’s natürlich auch, und wie so oft erlebt man hier den scheinbaren Widerspruch vom großem Künstler, der sich ganz seinem Werk opfert, und einem Privatmann, der sich egozentrisch, feige und rücksichtslos gebärdet und eine ganze Serie zunächst hoffnungsvoller und später dann enttäuschter Modelle zurücklässt, der sich vor allem niemals so recht zu seiner angeblich großen Liebe Camille bekennen kann (oder will) und der am Schluss dann doch seine Rose heiratet, eine sogenannte „einfache Frau“ vom Lande, mit der er Kinder hat und die er weiterhin bei jeder Gelegenheit betrügt. Camille ist ihm weitaus ebenbürtiger, als Künstlerin zumal, aber auch menschlich, sie fordert ihn, reizt ihn, drängt ihn zu einer Entscheidung, und als ihre Auftritte immer schriller und neurotischer werden, entfernen sich die beiden voneinander, und für Rodin geht das Leben weiter, sie verschwindet für uns aus dem Blick. Sie weckt Gefühle in ihm, die er für Rose niemals hatte und niemals haben wird, doch immer wenn es darum geht, ihre Verbindung endlich festzumachen, weicht er aus, zieht er sich zurück, vielleicht weil ihn Camille im Gegensatz zu Rose ständig heraufordert, ihm zu nahe kommt, ihm zu gefährlich ist. Doillon versucht nicht, diese komplizierte Beziehung bis ins Detail auszuloten, doch es gelingen ihm zahlreiche Szenen, die ihren besonderen Charakter, ihre besondere Explosivität eindringlich beschreiben. Obwohl es viele Außenszenen gibt und durchaus auch viele Dekors, hat der Film eher den Charakter eines Kammerspiels, und Doillon inszeniert ihn dementsprechend zurückhaltend, ohne jegliches überflüssige Beiwerk und vor allem ohne gefälliges Zuckerwerk, das leider die meisten historischen Künstlerfilme heutzutage „auszeichnet“. Der Film stellt sich ganz in den Dienst des Protagonisten und seiner Kunst, seiner unmittelbaren Umgebung, er ist inhaltlich durchaus eng gewoben, lässt uns aber dramaturgisch Raum, bedrängt uns nicht, stellt sich nie zwischen Zuschauer und das Gezeigte. Gerade auf seine zurückhaltende Weise finde ich den Film eindrucksvoll schön, und er hat in Lindon und Higelin zwei ebenso eindrucksvoll Hauptdarsteller, die sicherlich nicht die Flamboyanz von Adjani und Depardieu entfalten, doch hätte dies auch absolut nicht in Dillons Konzept gepasst.
Alles in allem ein in jeder Hinsicht großartiger Film, der mich wirklich an die glorreichen 90er erinnert, und das hat jetzt ausnahmsweise mal gar nix mit Nostalgie oder Wohlfühlfilmhass zu tun. Fragt sich nur, wann wir das nächste Mal was von M. Doillon im Kino zu Gesicht bekommen werden… (31.8.)