The Snowman (Schneemann) von Tomas Alfredson. England, 2017. Michael Fassbender, Rebecca Ferguson, Charlotte Gainsbourg, Jonas Karlsson, J.K.Simmons, David Dencik, James D’Arcy, Val Kilmer, Toby Jones, Chloë Sevigny
Ich liebe skandinavische Krimis, nicht alle natürlich, aber sehr viele, und es gibt einige Autoren, die es wirklich geschafft haben, über viele Romane hinweg ein tolles Niveau zu halten. Jo Nesbø ist einer davon, seine Krimis um Harry Hole gehören für mich zum essentiellen Kanon, ein bisschen sehr macho und masochistisch vielleicht, auch ein bisschen krank, was einige Gewaltphantasien angeht, aber immer hoch intensiv und spannend. Mit dem Kino ist es dagegen so eine Sache – nur sehr wenige meiner Favoriten sind bislang wirklich adäquat auf die Leinwand gebracht worden: Kommissar Beck hat längst ein Eigenleben entwickelt, was in diesem Falle gar kein Problem ist, denn die Serie finde ich bis zur vierten Staffel hervorragend, auch wenn sie nix mehr mit Sjöwall/Wahlöö zu tun haben. Mit Wallander ist es das gleiche, wenn auch mit gemischterem Resultat, aber immerhin sind die langen TV-Produktionen mit Rolf Lassgård große Klasse. Arne Dahl erscheint in sehr routinierten und zum Teil auch wirklich starken TV-Filmen. Ake Edwardsons Romane wurden dagegen eher blass verfilmt, soweit ich das beurteilen kann. Jussi Adler Olsen und Stieg Larsson haben es vielleicht bisher am besten getroffen, denn die jeweiligen Filme haben wirklich Kinoformat und –klasse. Ihnen allen ist eins gemeinsam: Sie müssen die zum Teil sehr epischen Romane irgendwie auf ein konsumierbares Format eindampfen, und sie alle büßen darüber mehr oder weniger Substanz ein, und genau diese Substanz ist es ja oft, die die nordischen Autoren auszeichnet, wie immer man dazu stehen mag.
Und nun Herr Nesbø aus Norwegen? Wirkt auf mich wie eine im Großen und Ganzen recht verunglückte Unternehmung. Die erste verunglückte Idee betrifft die Chronologie, der Anfang wurde ungeschickterweise mit dem siebten Roman gemacht, was bedeutet, dass uns extrem viel Vorgeschichte und Vorwissen abhandenkommen, es sei denn, man füllt sehr viele Kinominuten mit dem Versuch, uns ein wenig über Harry Hole und seinen Charakter zu erzählen, was seine Stärken sind, was seine Obsessionen, wieso er so geworden ist, wie wir ihn hier sehen. Nesbø beschäftigt sich von Roman zu Roman äußerst ausführlich damit, dieser Film tut es nicht und lässt mich damit grundsätzlich in der Luft hängen, wenn ich die Romane nicht gelesen hätte. Seine Rolle im Polizeiapparat, sein Team und womit sie sich beschäftigen, wie sie zusammenarbeiten, all das wird schlicht und einfach weggestrichen, denn na klar, wie kondensiere ich ein fünfhundert Seiten dickes Buch zu einem Zweistundenfilm? Indem ich kürze, straffe, streiche. Das habe ich durchaus nicht anders erwartet, doch die Kürzungen müssen Sinn ergeben und sie müssen den Kern des Romans erhalten. Die besten der Skandiavienfilme haben das geschafft, „Schneemann“ versagt in dieser Hinsicht total. Vielleicht gibt‘s ja wie bei den Millenniumfilmen auch eine doppelt so lange TV-Fassung? Die tät ich sehr gern sehen! Die Kürzungen haben aber auch auf anderem Gebiet eher Schaden angerichtet, denn es entwickelt sich zu keiner Zeit eine sinnvoll strukturierte, verständliche Story, und das geht empfindlich zu Lasten der Spannung, denn wir werden oft recht unmotiviert hin- und hergeworfen zwischen einzelnen Handlungsteilen oder auch Rückblenden, die kein überzeugendes Ganzes ergeben wollen. Vor allem die Rückblenden, in denen zum Beispiel ein gruselig gealterter Val Kilmer auftaucht, hätte man für meinen Geschmack fast vollständig weglassen könne zugunsten der Gegenwartsaction, die man damit vielleicht ein bisschen runder hätte machen können. Und dabei hat der Autor in vielen Momenten dem Drehbuch praktisch schon vorgegriffen, hat quasi filmreife Szenarien kreiert, die förmlich dazu einladen, sie in ihrer drastischen Bildsprache eins zu eins zu übertragen, beispielsweise im haarsträubenden Finale, das hier und lasch daherkommt und mich überhaupt kein bisschen mitgerissen hat. Konnte es vermutlich auch nicht, denn gerade der bei Krimis so zentral wichtige Handlungsaufbau gerät durchweg konfus. Es bleiben elend viele Fäden irgendwo im Raum hängen, die Dramaturgie holpert und schlingert, und wenn ich nicht schon zwei ziemlich hervorragende Filme von Tomas Alfredsson gesehen hätte, wäre mir glatt der Gedanke gekommen, dass man hier einen ganz unerfahrenen Debutanten rangelassen hat. Und zu alledem taucht dann auch noch der Name Martin Scorseses als Produzent auf – was zum Teufel hat das denn zu bedeuten?
Meine bessere Hälfte motzte abschließend auch noch über viele einschneidende Änderungen im Vergleich zum Roman, Änderungen, die vor allem dann ins Gewicht fallen, wenn man wirklich an eine Fortsetzung der Reihe denkt und deren Sinn mir auch innerhalb des Films nicht recht einleuchten wollte. Aber im Prinzip sind solche Änderungen gang und gäbe und auch nicht das größte Problem hier. Das größte Problem sind die merkwürdig schludrige Handlungsführung und der Verzicht auf jeglichen Tiefgang bei den Personenzeichnungen. Sowas wird vielleicht einem Jerry-Cotton-Heftchen gerecht, aber keinem anspruchsvollen Krimi.
Immerhin ist Michael Fassbender so ziemlich der ideale Harry Hole, und ich gebe zu, dass ich meine Erwartungen größtenteils an ihn und seine bemerkenswerte Präsenz geknüpft habe, doch leider kriegt er genauso wenig Futter wie die exquisiten Damen Ferguson und Gainsbourg, und wenn ich dann Prominenz wie Kilmer, Jones oder Sevigny in völlig kontur- und bedeutungslosen Nebenrollen verschwendet sehe, frag ich mich doch, ob die Produzenten (unter ihnen solch hochverdiente Leute wie Eric Fellner und Tim Bevan) gerade zuviel Geld in der Hosentasche hatten.
Also gut, der Auftakt ist ziemlich danebengegangen, und wenn man sich von den vielen berechtigt negativen Kritiken nicht abschrecken lassen und tatsächlich weitere Filme produzieren sollte, dann muss sich schon gehörig was tun auf allen Ebenen. „Schneemann“ flößt mir zunächst nicht viel Optimismus ein, aber meine eingangs erwähnte Liebe zum skandinavischen Krimi wird mich sicherlich veranlassen, der Sache auch ne zweite Chance zu geben… (20.10.)