A monster calls (Sieben Minuten nach Mitternacht) von J.A. Bayona. Spanien/England/USA, 2016. Lewis MacDougall, Felicity Jones, Sigourney Weaver, Toby Kebbell, James Melville
Sieben Minuten nach Mitternacht ist exakt die Zeit, zu der Conor O’Malley immer diesen schlimmen Alptraum hat. Eine Friedhofskirche stürzt ein, das Loch in der Erde wird größer und größer, schließlich rutscht auch seine Mom über die Kantre und er kann sie nicht halten. Seine Mom hat irgendeine unheilbare Krankheit, vermutlich Krebs, kämpft schon lange und hat schon viele fürchterliche Therapien über sich ergehen lassen, aber Conor weiß schon, dass sie den Kampf verlieren wird. Niemand kommt an den Zwölfjährigen heran – die Großmutter schon gar nicht, denn die ist alt und verbissen, der mittlerweile mit einer neuen Familie in Kalifornien lebende Dad auch nicht, denn der hat nur lahme und hilflose Sprüche auf Lager und macht seinem Sohn klar, dass in der neuen Familie kein Platz für ihn wäre. In der Schule ist er das absolute Opfer und kassiert fast jeden Tag eine Abreibung, nur die Mutter ist ihm wirklich nahe, doch die hat kaum noch Kraft für ihn. Conor ist oft allein, wütend, traurig. Und eines Nachts wieder kurz nach zwölf geht draußen ein gewaltiges Poltern los, und plötzlich steht da ein furchterregender Baumriese, der aber eigentlich gar nicht böse ist, sondern Wert darauf legt, Conor drei Geschichten zu erzählen, um dann zuletzt eine vierte Geschichte von Conor zu hören, und zwar die wahre Geschichte. Conor begreift noch nicht so recht, worauf das hinausläuft und höchst widerwillig lässt er sich auf den Deal ein. Er bekommt zunächst zwei eigenartige Märchen erzählt, komplex und mit einer Moral, die sich dem Jungen erst nach und nach erschließt. Und indem dies geschieht, lernt er zugleich, seine Gefühle auszuleben, sich auszutoben, und das tut er. Omas peinlich aufgeräumtes und sortiertes Wohnzimmer wird zerlegt, und der Chefpeiniger in der Schule kriegt bös was auf die Fresse. Damit erfüllt Conor indirekt und ungewollt die Essenz der dritten Geschichte vom unsichtbaren Mann, doch nun ist das Monster am Zug zu fordern, und es verwehrt sich zugleich gegen Conors Erwartung, seine Mom zu heilen. Conor lernt, sich seiner Angst zu stellen und auch seine geheimsten Sehnsucht, das Leiden möge bald ein Ende haben. Und als Mom es dann geschafft hat, wird er sich daran machen, sie loszulassen. Abschließend findet er ein altes Zeichenbuch seiner Mutter, und darin just die Geschichten, die das Baummonster ihm zuvor erzählt hat.
Ein sehr poetischer, gefühlvoller und schöner Film, der mit Fantasyelementen solch schwierige Themen wie Trauer, Tod, Liebe und Angst behandelt, es das tut er weder belehrend noch banal noch kitschig, aber trotzdem so, dass sicherlich auch jüngere Zuschauer darauf anspringen könnten. Also ich denke, dass die oft etwas dunklen Bilder und die recht tiefgehende Tragik der Geschichte die ganz Jungen überfordern würden, aber was weiß ich schon. Bayona stellt jedenfalls keinen knuddeligen Leinwandliebling in den Mittelpunkt, sondern einen durchaus borstigen, widersprüchlichen Charakter, der unheimlich viel mit sich selbst ausmacht, und in seinem Inneren Gefühle und Zustände handhaben muss, die er auf Dauer unmöglich ohne Hilfe bewältigen kann. Die auf den ersten Blick ziemlich kryptischen Märchen des Baumes befremden ihn, machen ihn eher noch sauer, doch nach und nach kriegt er mit, was das Monster ihm vielleicht sagen will, über sich selbst, aber auch über die Menschen allgemein, und das alles, was auf den ersten Blick gut und richtig und gerecht scheint, auf den zweiten Blick vielleicht schon ganz anders beurteilt werden könnte, dass man folglich lernen muss, von verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und zu urteilen. Die kühnen, elegant gezeichneten Tricksequenzen sind atemberaubend effektvoll, weil sie dem Film zusätzlich eine etwas düstere Note geben. Der junge Lewis MacDougall kriegt es obendrein unheimlich gut hin, den Kampf des Zwölfjährigen gegen angeblich verbotene Gedanken und Wünsche nachfühlbar zu machen, ebenso wie seine Traurigkeit und Einsamkeit. Bei der Oma ist er einfach ein bockiger Teenager, beim Vater ein Sohn, der sich nach Aufmerksamkeit sehnt, bei der Mutter ein Sohn, der sie mit aller Macht und Liebe festhalten möchte, obwohl er weiß, dass er das nicht kann.
Bayona hat dies durchweg eindrucksvoll umgesetzt und gestaltet (wie man in „Das Waisenhaus“ gesehen hat, versteht er sich auf leicht morbide, dunkle Jugendgeschichten bestens), hat durchaus Fans von Fantasygeschichten angesprochen, aber eben auch andere, die gern etwas mehr Tiefgang hinter den Effekten sehen. Das ist ihm super gelungen, und ich hoffe doch, dass ich von ihm in Zukunft noch mehr solch schöner Filme zu sehen bekommen werde. (29.5.)