Forushande (The Salesman) von Asghar Farhadi. Iran/Frankreich, 2016. Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti, Farid Sajadhosseini, Babak Karimi, Mina Sadati, Mehdi Koushki, Maral Bani Adam, Emad Emami
Emad und Rana sind Theaterleute, erarbeiten gerade eine Inszenierung des alten Schülerquälers "Death of a salesman“ von Arthur Miller. Als das gesamte Mietshaus, in dem sie wohnen, akut vom Einsturz bedroht ist, müssen sie Hals über Kopf räumen und sich rasch eine neue Bleibe suchen. Ein Kollege vom Theater kommt ihnen zu Hilfe, vermittelt ihnen eine ordentliche Wohnung. Einziges Ärgernis: Die Frau, die vor ihnen dort gewohnt hat, besetzt noch immer ein ganzes Zimmer mit ihrem Kram, denn sie selbst hat auch noch keine neue Wohnung gefunden. Zusammen mit ihren vielen Helfern schaffen Emad und Rana das Zeug kurzerhand raus auf die Terrasse und ziehen erstmal ein. Kurz darauf wird Rana in ihrem Badezimmer von einem fremden Mann angegriffen, dem sie irrtümlich die Haustür öffnete, dachte, es sei Emad. Sie wird verletzt, und was genau geschehen ist, bleibt unklar, denn sie will sich nicht äußern und Emad schämt sich, genau nachzufragen. Er sinnt nun auf Rache, will den Mann finden, der sich an den Füßen verletzte und sein Auto vor ihrem Haus zurückließ. Und weil er sich zunehmend in seine Rache hineinsteigert, ist er nicht für seine Frau da, die sich mehr und mehr von ihm entfremdet. Als er schließlich den Mann findet, einen herzkranken älteren Herren, der angenommen hatte, in der Wohnung wohne noch immer jene Dame, die regelmäßig Männer für Geld empfing, stellt er ihn zur Rede und will ihn vor dessen gesamter Familie konfrontieren. Es kommt zur Katastrophe, die Emad und Rana vielleicht für immer trennen wird.
Vor fünf Jahren mussten wir bereits mitansehen, wie sich Nader und Simin scheinbar ohne wirklichen Grund unaufhaltsam in den Abgrund manövrierten. Nun scheint der Anlass bei Emad und Rana ein wenig handfester und ernster zu sein, doch die Symptome sind im Grunde die gleichen geblieben, was diesem Film zusätzlich ein beklemmendes Gefühl von Déjà-vu gibt. Im Zentrum der Tragödie steht das Unvermögen eines Paares – woher auch immer es herrühren mag – miteinander zu sprechen, sich nahe zu kommen, füreinander da zu sein. In beiden Filmen wird eine im Grunde intakte, im Alltag fest verankerte Beziehung von innen heraus zerstört in einem Prozess, den wir praktisch tatenlos mitansehen, selbst durchleiden müssen, der zum einen sicherlich durch spezifisch iranische Verhältnisse geprägt ist, der uns aber andererseits fragen lässt, ob uns selbst dies nicht auch passieren könnte. Farhadi nimmt dabei, ohne auch nur im geringsten Partei für ihn zu ergreifen, eher Emads Perspektive ein, Rana bleibt ein wenig fremd, vermutlich in dem Maße, in dem sie ihrem eigenen Mann fremd wird. Ihre Situation ist vergleichsweise klar: Sie ist verletzt (physisch wie seelisch), gedemütigt, in ihrem Grundvertrauen erschüttert, sie braucht Zuwendung, Zeit, Geborgenheit. Sie will den Überfall nicht zur Anzeige bringen, schämt sich vermutlich selbst, braucht eigentlich auch jemanden, der ihr genau diese Scham nimmt, der sie stärkt und ihr immer wieder versichert, dass nichts von dem, was passiert ist, ihre Schuld ist. Zu all dem ist Emad vollkommen außerstande. Man sieht direkt in ihn hinein, als er ins Badezimmer tritt, das Blut sieht und Rana dann im Krankenhaus in Begleitung der Nachbarn findet und begreift, was geschehen ist. Sofort wird auch in ihm der unvermeidliche Kreislauf losgetreten – Scham und Misstrauen, und beides wird er bis zuletzt nicht los. Fast widerwillig kümmert er sich tags darauf ein bisschen um seine Frau, fragt kaum einmal, wie es ihr geht, kann sie kaum ansehen, kann sie vor allem nicht das fragen, was er sie eigentlich fragen möchte. Unwillig postiert er sich vor dem Badezimmer, das sie nicht allein betreten möchte, noch unwilliger lässt er sich zunächst darauf ein, sie nicht allein in der Wohnung zurückzulassen, und schließlich bricht er buchstäblich aus, fahndet fieberhaft nach dem Auto, macht sich auf die Suche nach dem Angreifer. Seine Angst und seine Scham agiert er auf diese Weise aus, weil er nicht imstande ist, mit Rana offen zu sprechen, für sie da zu sein, weil er sich vor dem fürchtet, was sie ihm möglicherweise erzählen könnte. Ihre gemeinsamen Versuche, weiter Theater zu spielen, als sei nichts geschehen, scheitern erwartungsgemäß, sie bricht auf der Bühne zusammen, wird durch eine andere Schauspielerin ersetzt, er ist ebenfalls nicht bei der Sache, jähzornig macht er seinem Freund Vorwürfe, der ihm die Wohnung vermittelt hatte, wirft ihm, vor, verschwiegen zu haben, dass zuvor eine Prostituierte dort wohnte und Rana deswegen überfallen wurde. Wir sehen hier also eine Gesellschaft, in der es zwischen Mann und Frau keine wirklich offene, ehrliche Kommunikation gibt, weil es zu viele Schranken, zu viele Rollengrenzen zwischen ihnen gibt. Auch die Reaktion der Umwelt ist bezeichnend: Alle drücken ihr Mitgefühl aus, doch deutlich spürbar ist der Hang, das Geschehen zu bagatellisieren – naja, ist ja nichts passiert, gottseidank. Die Frau als Opfer ist eben immer zum Teil mitschuldig, und es ist auch nur eine Frau, und obgleich das niemals offen ausgesprochen wird, schwingt es immer mit in den Mienen und Blicken der Nachbarn, die sich oberflächlich zwar hilfsbereit geben, aber dennoch deutlich auf Abstand bleiben. Nicht anders läuft das mit Kollegen und Freunden – niemand wagt es, Rana direkt anzusprechen, das Thema ist einfach zu heikel, alle sind froh, wenn man wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Das Motiv der Rache tritt dann zunehmend in den Vordergrund, und auch hier dürfen wir annehmen, geht es Emad fast eher um seine eigene Ehre als um die seiner Frau. In der Begegnung mit dem alten Herrn schwenkt unser Mitgefühl natürlich sofort um, doch verstrickt sich der Gute in einige Widersprüche, sagt offensichtlich nicht die Wahrheit, sodass wir auch hier verunsichert bleiben. In Emads panikartigem, konfusem Handeln mischen sich Hilflosigkeit und Wut, beides allzu nachvollziehbar, doch sehen wir auch Ranas verstörten Blick, die ihren Mann endgültig verloren zu haben scheint, ihn nicht mehr wieder erkennt. Dieses Gefühl hängt dann auch über ihrer letzten Szene im Schminkraum des Theaters, fern voneinander, entfremdet, und das ist natürlich die eigentliche Tragödie hier.
Farhadi ist ein weiteres Meisterstück gelungen, ein Gesellschaftsfilm hinter der Privatgeschichte, ein brillant gespieltes Drama, in dem beide Hauptdarsteller das Konzept ihres Regisseurs auf grandiose Weise verkörpern und mittragen, ein sehr gründlich und detailliert erzählte Geschichte ohne künstliche Aufreger, dennoch auch nach zwei vollen Stunde nicht einen Moment langweilig, und können wirklich nicht viele. Ein Film aus einer Welt, die uns in vielem (gottseidank) sehr fremd ist, und doch gibt’s in der Essenz zwischen Emad und Ranas etwas, das weit über den lokalen Rahmen hinausgeht und auch uns „aufgeklärte“ Westler betrifft und uns fragen lässt, wie wir uns wohl in einer solchen Situation verhalten würden. Großes Kino von einem großen Filmemacher. Ach ja, und: Fuck the new American Sonofabitchpresident… (9.2.)