The Square von Ruben Östlund. Schweden/Dänemark/BRD/Frankreich, 2017. Claes Bang, Elisabeth Moss, Christopher Læssø, Dominic West, Marina Schiptjenko, Terry Notary, Elijandro Edouard, Daniel Hallberg, Sofie Hamilton

   Den letzten Satz von oben drüber kann ich eigentlich gleich als ersten Satz für diesen, den einhundertersten Film des Jahres nehmen: Für meinen Geschmack kein Meisterstück, trotz der Goldenen Palme 2017, eigentlich sogar alles andere als das, aber ein Film, der zur Auseinandersetzung reizt, und damit hat er dann doch wieder seine Berechtigung.

   Es wird zunächst der Kunstbetrieb der westlichen Hemisphäre aufs Korn genommen mit all seiner Blasiertheit, Selbstzufriedenheit, Einfältigkeit, zugleich aber geht’s natürlich um die westliche Hemisphäre an sich, um unsere Gesellschaft, um die Welt heute mit ihrem immer tieferen Graben zwischen Arm und Reich, zwischen maßlosem Wohlstand und erschütternder Not und der Angst der einen oder den anderen. Unsere westliche Welt wird belagert – Flüchtlinge, Bettler, Kriminelle, sie alle bevölkern die Straße und Plätze unserer Städte, sie alle wollen nur das eine und nehmen es sich ohne Rücksicht. Wie reagiert der reiche Westen, wie stellt er sich der Herausforderung – Verdrängung, Hilflosigkeit, Abscheu, Aggressivität? Hier kriegen wir alle Varianten zu sehen, indem wir den Stockholmer Kunstkurator Christian für ein paar Tage seines Lebens begleiten. Christian steht ein bisschen unter Druck, weil eine neue aufsehenerregende Ausstellung in den Startlöchern steht, eine Installation namens „The Square“, die eine Art geschützter Raum für Mitmenschlichkeit darstellen soll, nur macht man sich noch Gedanken ums Marketing. Zwei junge Cracks aus der Szene kriegen den Auftrag, einen möglichst effektvollen Clip für die Social Media zu produzieren, und was dabei herauskommt, ist eine Provokation erster Güte, vor allem aber ein Skandal, auf den sich die öffentliche Meinung mit freudigem Elan und Selbstgerechtigkeit stürzt. Christian hat leider einmal nicht aufgepasst, hat den Clip nicht genehmigt, bevor er ins Netz gestellt wurde, weil er anderweitig stark eingebunden ist: Raffinierte Trickdiebe haben ihm Handy und Geldbörse auf offener Straße abgeluchst, und nun ist er damit beschäftigt, sich sein Eigentum zurückzuholen. Ein Freund greift ihm unter die Armem ortet das Handy in einem großen Wohnblock und hat die Idee, einen Drohbrief in jeden einzelnen Briefkasten zu werfen. Die Aktion ist total schräg, doch sie hat tatsächlich Erfolg – er kriegt die beiden Sachen zurück, doch hat er von nun an einen wütenden Jungen an der Backe, der vehement eine Entschuldigung verlangt und ihn bis an die eigene Wohnungstür verfolgt. Er kann sich mit seinen beiden kleinen Töchtern (als getrennt lebender Pappi, natürlich) gerade noch in die eigenen vier Wände flüchten, doch klingt ihm das monotone Hilferufen des Jungen aus dem Treppenhaus unerbittlich in den Ohren. Mittlerweile erreicht der Aufruhr um den drastischen Werbeclip seinen Höhepunkt, Christian muss sich vor der genussvoll empörten Presse verantworten und erklärt schließlich seinen Rücktritt, was aber auf noch mehr Widerstand und Zorn stößt. Am Ende fährt Christian mit seinen Mädchen nochmal zu jenem Wohnblock, entschlossen, dem Jungen doch Abbitte zu leisten, doch kann er ihn nicht mehr finden.

   Ruben Östlund, der zuvor den fabelhaften „Höhere Gewalt“ inszeniert hat, strebt ganz offenkundig eine Satire auf unseren satten, zugleich von Paranoia und Belagerungsangst heimgesuchten Westen an. Die Kunstszene ist nur das vordergründige Ziel, und gelegentlich kommt er uns mit dem verbalen Holzhammer, damit wir auch ja verstehen, dass es um die Gesellschaft insgesamt geht. So sehen wir eine Kulturschickeria, die sich auf die Häppchen stürzt, als habe sie seit Tagen nichts zu beißen gekriegt, wir sehen die bizarr irrelevanten Werke der modernen Künstler, die in einem geradezu grotesken Missverhältnis zu den Fragen der Gegenwart stehen, wir erleben, wie Kunst verkauft, vermarktet wird, wie die dazu nötigen Strategien ausgetüftelt werden, wir erleben auch, dass Kunst oft nicht mehr ist als ein aufgeblasenes, prätentiöses Nichts. Und wir werden auf jene Frage gestoßen, die uns im Alltag wieder und wieder begegnet: Was ist uns im Westen wichtig, wo liegen unsere Prioritäten, wollen wir uns im Ernst weiterhin mit unseren abwegigen Luxusproblemchen und Luxusthemen herumschlagen, oder kann man nicht auch vom Kunstbetrieb erwarten, dass er sich endlich mal positioniert und mit den relevanten Kräften verlinkt, statt zum Teil in immer entlegenere Sphären abzudriften und weiterhin sein elitäres Süppchen zu kochen.

   So gesehen präsentiert uns Östlund hier nicht gerade einen Helden oder nicht mal einen Sympathieträger, denn im Grunde ist Christian nicht viel mehr als ein halbwegs netter Einfaltspinsel, der irgendwie nicht ganz checkt, was in der Welt um ihn herum los ist, weil er eben auch in dieser Kunstblase lebt, leicht abgehoben vom Erdboden. Die Anfechtungen durch das reale Leben erlebt er als irritierend bis bedrohlich, mit Menschen kann er auch nicht so wirklich gut, was sich auch in seinen Frauenbeziehungen zeigt, die offenbar nicht sonderlich erfolgreich waren. Auch der jüngste One-night-stand verläuft nicht nach seinen Erwartungen, die Dame stellt ihn plötzlich zur Rede und es kommt zu einem albernen Gerangel um das benutzte Kondom (fällt unter das Stichwort männliche Paranoia…). Hier scheint Östlund irgendwie an Fellini anzudocken, auch was das Ausufernde, Üppige angeht, das er in seine Beschreibungen der Künstlerszene integriert – leider war ich nie ein Fan von Fellini… Aprops ausufernd: Zweieinhalb lange Stunden Spieldauer sind für mich viel zu viel für eine wirkungsvolle Satire und führen dazu, dass sich ein paar brillante Szenen mit Füllmaterial abwechseln und damit auch an Wirkung einbüßen. Zwischendurch spüre ich immer wieder, dass Östlund ins Schwarze trifft, spüre auch, woran ihm offenbar gelegen war, doch dann plätschert die Erzählung für längere Zeit eher belanglos dahin und mein Aufmerksamkeitspegel sinkt bedenklich. Jene Performance mit dem halbnackten, wie ein Gorilla auftretenden Künstler anlässlich einen feinen Diners, atemberaubend und furchteinflößend zugleich, zeigt, wie gut der Film hätte werden können, wenn Östlund es geschafft hätte, dieses Niveau durchzuziehen, doch dann hätte er natürlich dreißig, vierzig Minuten streichen müssen, was mich persönlich nicht gestört hätte.

 

   Also hier und da ein spannender Ansatz, aber zuviel Leerlauf zwischendurch, das ergibt einen insgesamt nicht wirklich befriedigenden Film, erst recht nicht, wenn man bis fast halb zwölf in der Nacht durchhalten muss… (8.11.)