Western von Valeska Grisebach. BRD/Österreich/Bulgarien, 2017. Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek, Syuleyman Alivov Letifov, Veneta Fragnova, Viara Borisova, Kevin Bashev, Aliosman Deliev, Robert Gawellek, Jens Klein, Waldemar Zang
Eine Gruppe Bauarbeiter wird nach Bulgarien geschickt, in die Nähe der Grenze zu Griechenland, um dort ein Wasserkraftwerk zu bauen. Der Bauleiter ist Vincent und der kriegt von oben die Direktive, den Job in unwirtlichem Gelände und unter schwierigen Bedingungen mit der kleinen Truppe so schnell wie möglich zu erledigen. Vincent ist ein Platzhirsch und Macho, der sich gleich mal mir ein paar einheimischen Frauen anlegt, die auch im Fluss baden wollen und die seine plumpe Anmache nicht so verlockend finden. Vincent gegenüber steht Meinhard, auch ein alter Haudegen mit sehr viel Vergangenheit, wie wir im Lauf des Films erfahren, aber einer, der erstmal zuhört und beobachtet, ein ruhiger, zurückhaltender Typ, den Vincent gleich als seinen ernsthaftesten Rivalen ausmacht. Meinhard lernt eher zufällig die Bewohner eines nahen Dorfes kennen, knüpft beharrlich Kontakte und schließt sogar so etwas wie Freundschaft mit einigen von ihnen, unter anderem mit Veneta, jener Frau, auf die es Vincent eigentlich abgesehen hatte. Es gibt Streit um Wasser, das sowohl die Dorfbewohner als auch die Bauarbeiter für sich brauchen, das aber aufgrund einer vorsintflutlichen Brunnenanlage nur entweder zum einen oder zum anderen geleitet werden kann. Und es gibt eine Menge dubioser Geschäfte rund um die Grenze, in die die Männer des Dorfes verwickelt sind und die man bis zuletzt nicht so recht durchblickt. Vincent verhält sich Meinhard gegenüber immer herausfordernder und schnappt sich schließlich das weiße Pferd, das Meinhard sich von einem Dorfjungen ausgeliehen hatte und verursacht einen für das Tier tödlichen Unfall. Aber Meinhard gerät auch mit den anderen aneinander, weil er sich abseits hält, seine eigenen Wege geht und vor allem mehr Interesse an den Dorfbewohnern als an ihrer treudeutschen Bierkumpanei zu haben scheint (als erstes wird am Bauplatz mitten in der Wildnis natürlich die schwarz-rot-goldene Flagge gehisst…). Vincent stellt ohne Absprache mit den Dorfbewohnern den Brunnenhebel um, leitet das Wasser raus auf die Baustelle und sorgt damit für zusätzlichen Zündstoff, muss sich im Dorf entschuldigen und einen zähen diplomatischen Prozess zur Wiederannäherung anleiern. Meinhard schläft mit Veneta, unterliegt aber dem Missverständnis, es könne sich zwischen ihnen beiden mehr daraus entwickeln, worüber sie ihn schließlich aufklärt. Und am Schluss gibt’s Musik und Tanz mit allen im Dorf, auch die Leute vom Bau sind dabei, und dann ist der Film einfach zu Ende.
Und ich saß ziemlich perplex und offen gestanden auch ein wenig enttäuscht da – enttäuscht nicht über den Film im Ganzen, denn der ist richtig klasse, enttäuscht nur über den Schluss, der mich persönlich total in der Luft hängen ließ, um so mehr, als Valeska Grisebach vorher alles richtig gemacht und viel Spannung aufgebaut hatte, und ich dieses eine Mal zumindest in Teilen das Bedürfnis nach Auflösung oder Klärung hatte. Sonst bin ich durchaus ein Freund offener Enden und brauche ganz bestimmt keine Filme, die jede einzelne Frage bis ins kleinste Detail durchdeklinieren. Aber diesmal ging’s mir halt etwas anders, diesmal dacht ich, dieser Film hat irgendwie einen anderen Ausgang verdient – gerade weil er so gut ist. Hört sich vielleicht paradox an, war aber mein Gefühl zuletzt, als ich wünschte, dass die zuvor so äußerst kunstvoll arrangierte Eskalation müsse irgendwohin führen, nur nichts ins Nichts.
Mit dem kunstvoll arrangiert ist es nämlich wirklich so – das Drehbuch ist ein wahres Meisterstrück trügerischer Beiläufigkeit. Was auf den ersten Blick so aussehen mag wie eine Aneinanderreihung mehr oder minder improvisierter Szenen und Momente, entpuppt sich mehr und mehr als brillante Verknüpfung vieler Themen und Konfliktlinien, und was man gewöhnlich eher in einem urbanen Milieu verorten würde, transportiert Grisebach zusätzlich noch in ein sehr unkonventionelles Setting, eine fast archaische, jedenfalls recht rau wirkende Landschaft, die nebenbei bemerkt in bestechenden Bildern eingefangen wird.
Der Filmtitel „Western“ suggeriert ein Männerdrama nach festgelegten Regeln, und zum Teil findet sich genau das hier auch. Auf wiederum beiläufige aber dennoch ungeheuer effektvolle Weise werden die Männer in Szene gesetzt, ihre Köper, die Haltung, die Blicke, die Gesten. Die Alphatiere, die Sprüche, die Herausforderung, das scheinbare Ausweichen, das Drohen undsoweiter, alles was Männergesellschaften im Grunde so öd und durchschaubar macht. Vincent und Meinhard werden früher oder später zum Duell antreten, das scheint unausweichlich, zumal auch Meinhard irgendwann seine provozierende Passivität drangibt und seinem Widersacher unverhohlen droht, und sich auch den triumphierenden Blick nicht verkneifen will, als Vincent checkt, dass da was zwischen Veneta und Meinhard gelaufen ist. Ganz klar alles Themen für einen klassischen Western, doch Grisebach hat gottlob noch viel mehr zu bieten, und hier ist Meinhard derjenige, der die Handlung und die Themen voranbringt, indem er Kontakt zu den Einheimischen aufnimmt. Hier geht es jetzt um Mauern und Brücken, bildlich gesprochen also, um Mauern aus kulturellen, vor allem sprachlichen Unterschieden und Brücken aus Sympathie, Interesse, Offenheit. Man versteht sich am Ende irgendwie doch, wenn man es nur will. Auf anderer Ebene ist das Verständnis dann schon schwerer, und immer kreuzt auch die Geschichte in die Gegenwart hinein, denn so mancher der älteren Dörfler erinnert sich natürlich an die deutschen Besatzer, nur sind diese Erinnerungen sehr unterschiedlich, und es ist schon sehr gekonnt, wie Grisebach dieses Thema einfach mal einbringt, ohne gleich ein großes Fass aufzumachen. So zieht sie das im Ganzen durch – sie tut so, als würde sie gar nicht so genau hinsehen und tut es natürlich umso mehr. Jedenfalls wird das Bild des Straßenbauers, der die westliche Zivilisation in die entlegenen und unterentwickelten Gebiete trägt, hier einer gründlichen Relativierung unterzogen. Spannung entsteht also auf vielfältige Weise auch zwischen Bulgaren und Deutschen, weil es diese tiefgreifenden Differenzen gibt und weil beide Gruppe zu wenig voneinander wissen, kein rechtes Vertrauen aufbauen können oder wollen und nie verstehen, was die anderen umtreibt, was sie tun, wie sie leben. Gewalt scheint immer wieder als ein möglicher Ausweg, es kommt zwar nie so recht dazu, doch diese Spannung trägt praktisch über das Filmende hinaus, denn kein einziger Konflikt ist geklärt oder gelöst.
Alle Darsteller (ob nun Laien oder nicht) spielen das ganz hervorragend und sind hundertprozentig echt. Diese bestechende Authentizität macht eine der großen Qualitäten dieses sehr bemerkenswerten Films aus, der mir abgesehen vom Ende wie gesagt ausgesprochen gut gefallen hat und der in der hiesigen Filmlandschaft auf jeden Fall einen absoluten Ausnahmerang einnimmt, so in der Richtung von „Toni Erdmann“. (11.9.)