Willkommen bei den Hartmanns von Simon Verhoeven. BRD, 2016. Eric Kabongo, Senta Berger, Heiner Lauterbach, Florian David Fitz, Palina Rojinski, Marinus Hohmann, Elyas M’Barek, Uwe Ochsenknecht, Ulrike Kriener, Eisi Gulp
Im aktuellen Spiegel-Heft zur Lage der Nation las ich einen Beitrag einer israelischen Korrespondentin, die die Deutschen ganz offensichtlich nicht versteht: Euch geht es gut wie noch nie, ihr habt eine funktionierende Demokratie, ihr lebt in Freiheit, könnt konsumieren was und wann ihr wollt, ihr habt ein intaktes Gesundheitssystem – und trotzdem seid ihr ständig im Stress und unzufrieden. Was zur Hölle ist los mit euch??? Ich geb zu, dass ich mich in dieser bestechend zutreffenden Diagnose wiedererkenne, auch ich kann nicht aus meiner deutschen Haut (so sehr ich‘s manchmal auch wünsche), auch ich bin ständig missmutig und mit irgendwas unzufrieden und weiß manchmal selbst nicht, wieso eigentlich. Die Unzufriedenheit der Satten wahrscheinlich. Oder doch die latente Angst, den Status irgendwie verlieren zu können? Müsste ich mal tief drin in mir graben, um das nachzuprüfen, denn an der Oberfläche fühle ich mich nicht besonders ängstlich. Aber viele andere offenbar schon, denn was in aller Welt ist bloß durch unsere Köpfe gegangen, als wir vor zwei Jahren derart panisch und hysterisch auf die „Flüchtlingswelle“ oder die „Flüchtlingsschwemme“ oder auch die „Flüchtlingsbedrohung“ reagiert und fast schon den Untergang des Abendlands herbeigeunkt haben? Das beschissen reichste Land weit und breit, und plötzlich haben alle wieder Angst, sie werden nicht satt. Wie im Winter 45, möchte man denken. Plötzlich stand alles auf dem Prüfstand, unsere Gesellschaftsordnung, unsere Werte, unsere Sicherheit vor allem, und dieses Klima der globalen Verunsicherung nimmt sich Vehoevens Film so ein wenig zur Brust, karikiert mit breitem Strich eine Gemeinschaft, die sich zwischen Gutmenschentum, Neofaschismus, Egozentrik, Helfersyndrom undsoweiter orientieren muss, und deren Protagonisten natürlich mit sich selbst soviel zu tun haben, dass sie den Blick eigentlich gar nicht über den sprichwörtlichen Tellerrand heben können.
Die Hartmanns sind Teil der Münchner Bussi-Clique: Er ist Chefarzt kurz vor dem Ruhestand mit Herzflattern und verspäteter Midlife-Crisis, die er sich zur Not bei seinem Gspusi dem Schönheitschirurgen etwas wegspritzen lässt. Sie ist Akademikerin bereits im Ruhestand aber mit dem starken Drang, sich irgendwie und irgendwo einzubringen. Söhnchen ist Kapitalismusknecht, ständig unterwegs, ständig unter Strom, ständig am Handy, und deswegen auch nicht imstande, sich um Söhnchen zu kümmern, wie er’s gern täte, nachdem seine Frau ihm weggelaufen ist. Töchterchen ist ein Produkt dieser Welt, völlig unentschlossen, kein Glück mit Männern und nach zig abgebrochenen Studiengängen mit dem aktuellen (Psychologie, was sonst) auch nicht sooo glücklich. Die Hartmanns mit ihren Luxusproblemchen stehen für uns alle, mehr oder weniger, und ihre Welt gerät endgültig aus den Fugen, als Mama einen Flüchtling ins Haus holt, also einen echten Flüchtling, einen Schwarzen aus Nigeria, Diallo, der noch auf seinen Asylbescheid wartet. Mama stellt Diallo überall als „unser Flüchtling“ vor und ist sehr stolz auf ihr soziales Gewissen, Paps rastet natürlich aus, Töchterchen findet‘s cool und Söhnchen kitschig. Die Hartmanns manövrieren nun durch eine wilde Achterbahnfahrt, auf der sie versuchen müssen, jeder für sich mit ihren jeweiligen Luxusproblemchen irgendwie zurande zu kommen, als Familie wieder zueinander zu finden und eine vernünftige Einstellung zu Diallo zu finden, der sich das eigentümliche Gebaren der wohlhabenden Deutschen mit Verständnislosigkeit und auch Amüsement anguckt, bis nach vielen Turbulenzen alles am Ende gut ausgeht.
Die letzten fünf Minuten fallen unter der Bezeichnung „Willkommen im Schweiger-Universum“ und hätten deshalb unbedingt vermieden werden müssen. Jeglicher satirische Ansatz droht zu verpuffen angesichts des monumentalen, totalitären Wohlfühlfinals, in dem ich zumindest kein Körnchen Ironie mehr entdecken konnte. Kaum ein Film für die breite Masse, so scheint es, kommt heutzutage ohne diese monumentale abschließende Seelenmassage aus. Wenn ich diese fünf Minuten mal freundlich weglasse (der Film ist sowieso zu lang), finde ich ihn aber durchaus unterhaltsam und auch sehr lustig. Verhoeven nimmt die Bussi-Clique (aus der er selbst natürlich auch stammt als Söhnchen von Senta Berger) sichtlich genussvoll aufs Korn, lässt kein Thema aus, weitet damit den Fokus natürlich auch von der Flüchtlingsdebatte auf ein etwas allgemeineres Gesellschaftsbild aus. Die Erzählung zerfasert deshalb immer wieder, doch ist die Gagdichte so hoch und sind die meisten Kalauer komisch genug, dass man darüber hinwegsehen kann. Jede Situation wird deutlich überzeichnet, das Drehbuch schlägt haarsträubende Volten, und so vergehen die ersten einhundertzehn Minuten ziemlich zackig. Ja, und dann kommen eben jene letzten fünf… Aber sonst gibt’s ein paar hübsche Spitzen gegen politische Korrektheit, großbürgerliche Selbstgerechtigkeit, aber auch kulturelle Differenzen, die auf der anderen Seite zu Buche schlagen, denn was Diallo in bester Absicht an Ratschlägen an seine Gasteltern heranträgt, zeugt von wenig Verständnis für westliche Gegebenheiten. Insgesamt bleibt der Ton aber relativ mild, um nicht zu sagen harmlos, es wird niemals richtig bös und bissig, zumal, wenn sich der Pulverdampf (inklusive Fascho-Aufmarsch und SEK-Großeinsatz) verzogen hat, das besagte Schweiger-Finale wartet und jegliche Wogen glättet.
Keine Frage, dass man den Film auch ganz anders hätte gestalten können, doch Verhoevens angepeilte Zielgruppe hätte das wohl kaum goutiert, also hat er’s bei einer temperamentvollen Komödie belassen, die uns immerhin im einen oder anderen Punkt zum Nachdenken bringen könnte. Zugegeben ist das Terrain aktuell noch immer so sensibel, dass sich die Filmemacher richtig grobe politische Unkorrektheiten jetzt sicherlich noch nicht zutrauen. Vielleicht dann mal in ein paar Jahren, wenn wir alle noch drüber lachen können… (19.8.)