3 Tage in Quiberon von Emily Atef. BRD/Frankreich/Österreich, 2017. Marie Bäumer, Birgit Minichmayr, Charly Hübner, Robert Gwisdek

  Mehr als drei Tage genau genommen verbringt Romy Schneider 1981, also etwa ein Jahr vor ihrem Tod, in Quiberon in einem Hotel, das man heute wohl als „Welleness-Oase“ bezeichnen würde, um sich auszuruhen, um es sich gut gehen zu lassen und wohl auch, um ihren Alkoholkonsum in den Griff zu bekommen. Zur Unterstützung reist ihre Jugendfreundin Hilde an, und sie haben eine Verabredung mit Michael Jürgs, einem Journalisten vom Stern, der den Fotografen Robert Lebeck mitbringt, einen langjährigen guten Freund Romys. Hilde ist skeptisch, weil sie sieht, in welch fragilem Zustand Romy sich befindet und wie dringend sie Ruhe und Erholung bräuchte. Dennoch wird das Interview durchgeführt, in  den bewussten drei Tagen insgesamt, vielfach unterbrochen und begleitet von zahlreichen Stimmungswechseln, zum Teil hervorgerufen durch Jürgs‘ oft recht ruppige, arrogante und zudringliche Befragung, zum anderen durch Romys Gemütszustände, die alles abdecken zwischen abgrundtiefer Verzweiflung und champagnertrunkener Euphorie. Eine Sturz beim Fotoshooting draußen auf den bretonischen Felsen beschert ihr einen willkommenen Knöchelbruch, den sie, wie sie kurze Zeit später in Paris ihrem guten Freund Lebeck anvertraut, durchaus bewusst in Kauf nimmt, um sich endlich wenigstens mal für kurze Zeit ihren Kindern widmen zu können. Jürgs entschließt sich dann doch, ihr einen Vorabdruck des Interviews zur Verfügung zu stellen und ihr die Möglichkeit zu geben, alle Passagen zu streichen, die sie nicht gedruckt haben möchte. Romy winkt aber das Interview komplett durch, entschlossen, sich der Öffentlichkeit auf diese Weise zu stellen.

   Zu meiner Überraschung verkneift sich der Abspann den Hinweis, dass Romy Schneider ein Jahr später tot sein würde, aber das ist nur konsequent, denn hier geht es um ihr Leben und nicht um ihr Sterben. Diese Geste ist exemplarisch für den Film insgesamt, der mir ausgesprochen gut gefallen hat, eben weil er sich nicht um das gängige Procedere eines Biopics schert, sondern einen ganz eigenen und viel interessanteren Weg geht. In einem kurz umrissenen Zeitraum bündelt sich praktisch ein ganzes Leben, denn obwohl sie von ihrem baldigen Tod sicherlich selbst nichts ahnt, zieht Romy wieder und wieder Bilanz, getrieben entweder von sich selbst oder von den recht kaltschnäuzigen und übergriffigen Fragen des Journalisten. Der trifft zielsicher alle offenen Wunden: Das schwierige Verhältnis Romys zur bundesdeutschen Öffentlichkeit, die ihr Exil in Frankreich noch immer übel nimmt, das schwierige Verhältnis zur Sissy, mit der sie noch immer identifiziert wird trotz all ihrer Bemühungen, sich davon zu distanzieren, das schwierige Verhältnis zur Mama, die zu viel da war, und zum Papa, der zu wenig da war, das schwierige Verhältnis zu ihren Kindern, denen sie kein stabiler Rückhalt sein kann, das schwierige Verhältnis zu ihrem kürzlich durch Suizid verstorbenen Ex-Mann und so weiter. Alles also sehr schwierig, sehr konflikthaft, und wir erleben hier eine Romy Schneider, die zumeist am Rande des totalen Zusammenbruchs steht. Sie hadert mit ihrer Unfähigkeit als Mutter, mit ihrem Image in der BRD, mit ihren ehemaligen und aktuellen Ehen, mit ihrer schlechten finanziellen Lage, mit ihrer Alkohol- und Tablettensucht und überhaupt. Romy selbst schwankt zwischen Hilfesuchen und trotziger Abwehr, ruft Hilde zu sich, weil sie sie braucht, und stößt sie kurz darauf wieder zurück, weil sie sich die Einmischung in ihr Leben verbittet. Mal ist sie verzweifelt, depressiv, buchstäblich lebensmüde, dann ist sie wieder die kapriziöse Diva, die für ihren Freund Robert posiert, als hätte sie keine anderen Sorgen, und inszeniert ein abendliches Champagnergelage im Ort, wohl wissend, dass sie für den Rückfall büßen wird. Von den Tabletten kann sie sich nur mit Mühe fernhalten, doch sicher ist das nicht, und als plötzlich ihr Sohn am Telefon ist und mit ihr sprechen will, kriegt sie es nicht fertig, ihm zu antworten. Und im nächsten Augenblick übt sie sich wieder in entschlossenem Lebenswillen, nur scheint ihr bei alledem die Mitte zu fehlen, scheint sie sich im Grunde vollkommen verloren zu haben. Sogar ihre zwischenzeitlichen Euphorieanfälle haben etwas Verzweifeltes an sich.

   So entsteht ein komplexes, wahrhaft tiefgründiges Porträt, das aufgrund der räumlichen und zeitlichen Eingrenzung besonders dicht und intensiv geworden ist. Die hervorragende Regie von Emily Atef zeigt ein besonderes Gespür für Stimmungen und Zwischentöne, bleibt extrem fokussiert auf den Hauptfiguren, hat sämtliche Ablenkungen weggelassen, sich nur auf diese wenigen tage in dem Hotel an der bretonischen Küste konzentriert. Die Interviewszenen sind von fast greifbarer Spannung, andere Momente mit Romy und Robert oder Romy und Hilde von großer, aber auch zwiespältiger Intimität, und die großartige Schwarzweißfotografie tut das Ihre, um die Gesichter noch stärker, noch nackter in den Fokus zu rücken. Drehbuch und Regie leisten jeweils auf ihre Weise Besonderes, finden einen sehr ruhigen, introvertierten Rhythmus, geben den vergleichsweise wenigen Szenen Zeit zur Entfaltung, geben mir als Zuschauer Zeit, mich einzufinden in die Szenerie, einzufühlen in die Situation und die Bedeutung dieses Interviews, das vielleicht Romys letzten Versuch darstellt, sich der deutschen Öffentlichkeit noch einmal näher zu bringen, zu erklären und sich gleichzeitig zu behaupten und sich endgültig abzugrenzen von der ewigen Identifizierung mit Sissy und dem damit verknüpften Image. Darin liegt vielleicht auch der Grund, weshalb sie den gesamten Text am Ende abnickt, also auch die vielen alles andere als schmeichelhaften und einfachen Passagen. Sie möchte endlich als ganzer Mensch wahrgenommen werden mit allen Facetten, möchte nichts mehr schönreden oder verbergen. Nicht realisierend natürlich, Dass gerade diese Offenheit für vieler eher erschreckend und einschüchternd gewirkt haben mag. Welcher Filmstar gibt schon so viel von sich preis wie Romy Schneider in diesen drei Tagen.

 

   Ich war noch nie ein Fan von Marie Bäumer, ganz im Gegenteil, gebe aber gern zu, dass sie diesmal die perfekte Wahl ist und außerdem eine wirklich herausragende Darstellung abliefert, genau so mutig und kompromisslos wie die Frau, die sie hier porträtiert. Ihr und ihren drei nicht minder fabelhaften KollegInnen ist es zu verdanken, dass die sehr anspruchsvolle Konzeption der Autorin/Regisseurin Emily Atef voll aufgegangen ist und bemerkenswert umgesetzt wird. Ein künstlerisch wie inhaltlich sehr eindrucksvoller Film, und mich hat es sogar nicht gestört, dass ich nur so wenig von meiner geliebten Bretagne sehen konnte. (12.4.)