All the money in the world (Alles Geld der Welt) von Ridley Scott. USA/England, 2017. Michelle Williams, Christopher Plummer, Mark Wahlberg, Charlie Plummer, Romain Duris, Timothy Hutton, Andrew Buchan, Marci Leonardi, Stacy Martin

   Ja, die Getty-Entführung 1973, die ist damals durch sämtliche Blätter gewandert, so vage erinnere ich mich noch daran. Das abgeschnittene Ohr, natürlich. Sowas bleibt. Und sonst? Der Enkel des damals reichsten Mannes der Welt, ein degenerierter, verlorener Jet-Jet-Bubi, Sohn eines anderen degenerierten, verlorenen Jet-Set-Opfers, fällt in die Hände der kalabrischen Mafia. So what? Zu gleicher Zeit verhungerten, verreckten, verschwanden anderswo zwischen Afrika und Südamerika und Südostasien Tausende von Menschen, und keine Sau hat sich darum geschert.

   Aber so ticken wir halt. Es ist das glamouröse Einzelschicksal, die saftige Familientragödie, die uns bewegt, nicht das anonyme Massenelend in irgendeiner dritten Welt, von der wir am liebsten nicht mal Kenntnis nehmen würden. Aber John Paul Getty III, der in Rom in glitzernden, zwielichtigen Kreisen verkehrte, den die Paparazzi liebten, der herrliche Schlagzeilen machte, und dann dagegen der Großvater, der Ölmagnat, der Geschäftemacher und Kapitalist überhaupt. Der Enkel wird also gekapert, eine Lösegeldforderung von 17 Millionen Dollar wird verkündet, eine Summe, über die der Alte eigentlich nur müde lächeln sollte. Und was tut er, als sich seine Schwiegertochter Gail an ihn wendet, oder korrekter gesagt seine Ex-Schwiegertochter, denn sie hat sich vom versoffenen und verkoksten John Paul Getty jr. getrennt. Statt ihr die Kohle hinzuwerfen und zu brummeln, geh und befreie den verzogenen kleinen Bastard, weigert er sich kategorisch, auch nur einen müden Heller locker zu machen, tritt sogar vor die Presse und erklärt ganz cool, er habe vierzehn Enkel, und wenn er nun für den einen bezahle, dann werde er bald vierzehn entführte Enkel haben. Stattdessen heuert er seinen bewährten Söldner Chace an, schickt ihn nach Rom, um den Enkel zu finden. Doch zunächst verkalkuliert man sich, glaubt, die Roten Brigaden seien verantwortlich, und als sich der Irrtum aufklärt, versteigt sich Chace gar zu der Theorie, der Filius habe seine Entführung nur fingiert, um dem Alten ein paar Dollars aus dem geizigen Kreuz zu leiern. Womit er selbigem natürlich eine Steilvorlage gibt, die ganze Affäre abzuhaken und der entsetzten Gail zu verkünden, er werde nun rein gar nichts mehr unternehmen. Als dann endlich rauskommt, dass die ´Ndrangheta dahintersteckt, kommt die Sache wieder ins Rollen, aber der arme Bub muss tatsächlich erst ein Ohr abgeben und fast auch noch sein Leben, bevor er endlich gefunden und in Sicherheit gebracht werden kann.

   Frage ist, ob mich diese Geschichte wirklich bewegt. So richtig sicher bin ich mir am Ende auch nicht, ich glaube aber, eher nicht. Das Blöde ist ja, dass der Ausgang allgemein bekannt ist, also keine Spannung im Thriller-Sinne aufkommen kann. Also muss das Drama aus einer anderen Quelle gespeist werden, und die ist ja durchaus reichlich vorhanden, doch leider bringt sich Ridley Scott selbst ein wenig um dieses Potential, indem er seine Erzählung recht konventionell und breit anlegt, ständig zwischen dem Entführten und seiner Familie hin- und herspringt. Dabei ist die Familie J. Paul Gettys sicherlich das wahrhaft interessante an der Affäre, und die Szenen mit den fabelhaften Akteuren Christopher Plummer und Michelle Williams deuten an, wie stark dieses Familiendrama hätte werden können, wenn sich Scott nur stärker darauf fokussiert hätte. Das Psychogramm des monomanischen, vereisten, egozentrischen Geldmoguls ist auch in den skizzenhaften Momenten schon eindrucksvoll genug, doch hätte es ohne Zweifel noch viel eindrucksvoller werden können. Seinen Sohn verlieren wir bald schon aus den Augen, und so bleibt das Duell zwischen dem übermächtigen Imperator und seiner verzweifelten Schwiegertochter, die letztlich immer mutiger in die Opposition geht und ihn damit am Ende wohl auch so beeindruckt, dass er die Kohle dann doch rausrückt und ihr auch noch das Sorgerecht für ihre Kinder lässt. Das widerwärtige, zynische Gerangel um die Zahlungsmodalitäten, vor allem Gettys Idee, das Geld lediglich als Darlehen an seinen kaum noch geschäftsfähigen Sohn auszuschreiben, damit er es am Ende von der Steuer absetzen kann, deutet einmal mehr an, was in dieser Geschichte hätte drin sein können. Im Off wird es eingangs schon gesagt: Wir sehen vielleicht aus wie ihr, aber glaubt mir, wir sind nicht wie ihr. Dafür hätte ich gern noch ein paar nette Beispiele mehr gesehen. PG III bleibt in dieser Story leider auch ziemlich blass, und dabei hatte der Gute damals schon eine ganz nette Agenda an Entwurzelung und ziellosem Dahinleben an der Seite des Vaters und seiner neuen Frau, doch bleibt all dies hier bruchstückhaft und kaum nachvollziehbar, findet letztlich später im Film keinen Nachhall und gerät in Vergessenheit. Ganz zu schweigen von dem traurigen Leben, das Getty noch vor sich hatte und von dem der Abspann gnädigerweise gar nichts erwähnt, sondern sich darauf konzentriert, wie wohltätig der Getty Fonds nach dem Tod des Alten plötzlich war in Form von Spenden und Schenkungen und so weiter. Ein typischer Ridley-Scott-Moment, wie ich finde, alles wird am Ende etwas halbherzig, halbgar, und statt einmal richtig konsequent zu bleiben und ruhig den breiteren Pinselstrich durchzuziehen, flüchtet Scott an seichtere Ufer und lässt mit des Seniors Tod (der tatsächlich erst drei Jahre nach der Entführung stattfand und nicht wie hier unmittelbar danach) alles ein wenig in Wohlgefallen zerfließen.

 

   Immerhin erzählt er dennoch eine spannende Geschichte, hat eine wirklich hochklassige Besetzung beisammen und kreiert für uns die mittleren Siebziger gekonnt und überzeugend. In die möglichen Tiefen und Abgründe dieser Gruselfamilie traut er sich trotzdem nicht  so richtig – aber so kennt man ihn. (27.2.)