Unga Astrid (Astrid) von Pernille Fischer Christensen. Dänemark/Schweden, 2018. Alba August, Maria Bonnevie, Trine Dyrholm, Magnus Krepper, Henrik Rafaelsen, Björn Gustafsson

   Die alte Astrid Lindgren sitzt in der Dalagata in Stockholm, liest die vielen Geburtstagswünsche, die sie wie jedes Jahr erreichen, liest auch die vielen Fragen, wie es nur kommt, das sie sich so gut in Kinder hineinversetzen kann und sich wieder und wieder so für sie stark gemacht hat, und zwischendurch sehen wir diese Geschichte, die offensichtlich als ein Erklärungsversuch herhalten soll.

   Mitte der 20er Jahre wächst die junge Astrid Ericsson auf dem Lande bei Vimmerby heran, zusammen mit ihren Geschwistern auf den kleinen elterlichen Hof, den diese gepachtet haben und den sie stets mit viel Mühe und Arbeit bewirtschaften. Ein einfaches, frommes, ganz den traditionellen Werten verpflichtetes Leben, das der überaus vitalen, neugierigen und unangepassten Astrid auf die Dauer nicht genügen kann. Sonntags langweilt sie sich in der Kirche, vor allem die strenge Mutter hat ihre liebe Müh und Not, und so kommt das Angebot, bei einer Lokalzeitung ein Volontariat anzufangen, geradezu wie ein Segen. Astrid stürzt sich mit Begeisterung in diese neue große Welt und gleich auch mitten fein in eine Beziehung zum Chefredakteur Blomberg, einem viel älteren, verheirateten Mann, der seinerseits kurz vor der Scheidung steht und sich jetzt bloß keinen Fehltritt erlauben darf. Astrid wird aber dann doch schwanger und Blomberg kann sie überreden, ihren Jungen Lars in aller Heimlichkeit in einer Kopenhagener Klinik zu entbinden, sodass er nicht befürchten muss, Nachteile für seinen Prozess zu bekommen. Blomberg kann Astrid ferner dazu bringen, ihren Sohn erstmal dort bei einer Pflegemutter zurückzulassen, bis der Prozess vorüber ist. Für Astrid ist das natürlich ungeheuer schmerzhaft, doch sie hält sich an die Absprache, zumal er ihr gegenüber davon spricht, dass ihm schlimmstenfalls gar eine Gefängnisstrafe erwarte. Letztlich aber kommt er mit einer harmlosen Geldstrafe davon, was sie so tief verletzt und empört, dass sie seinen Heiratsantrag ablehnt und sich schließlich von ihm trennt. Als die dänische Pflegemutter Marie krank wird, muss sie Lasse doch zu sich holen und lernen, eine Mutter zu sein und vor allem erstmal einen Kontakt herzustellen zu ihrem Jungen, der sich nie an sie gewöhnen konnte. Das gelingt ihr schließlich, und es gelingt ihr auch, sich ihrer zuvor entfremdeten Mutter wieder anzunähern und zusammen mit Lasse wieder in die Familie in Småland aufgenommen zu werden. Und dann taucht in dem Büro, in dem sie angestellt ist, auch noch ein netter Herr namens Lindgren auf…

   Ob diese für sie selbst sicherlich überaus bedeutende Episode wirklich ausschlaggebend für ihre literarische Tätigkeit gewesen sein kann, vermöchte ich auch nach dem Film nicht wirklich zu beurteilen. Die in den regelmäßig eingelesenen Kinderbriefen suggerierten Querverbindungen wären mir etwas zu konstruiert, doch dann frag ich mich gleichzeitig auch, ob mir das so wichtig ist. Mich hat die Geschichte an sich interessiert und nicht im Hinblick auf die Frage, wie Astrid Lindgren zu dieser Autorin geworden ist – für mich ist sie nach wie vor die unerreicht genialste Kinderbuchautorin aller Zeiten. Und wenn ich mich eher auf die Geschichte an sich konzentriere und damit lebe, dass sie vielleicht thematisch ein wenig limitiert ist, erscheint mir der Film alles in allem als sehr überzeugend und auch eindrucksvoll. Das hier ist klassisches skandinavisches Erzählkino, getragen, eindringlich, gefühlvoll und mit viel Zeit und Blick auf Mensch und Milieu. Der Mief der ländlichen 20er Jahre wirkt in der Tat mächtig erdrückend, und man merkt es der aufmüpfigen lebhaften Astrid stets an, dass sie innerlich kurz vor der Explosion steht, und manchmal hilft tatsächlich nichts als ein kräftiger Urschrei, um all den Frust, all die Repression abzuschütteln. Die Frau Mama tut sich besonders hervor, der Herr Papa sitzt zumeist betreten und schweigend daneben, es wird viel gerügt und gebetet, und eine Affäre mit einem verheirateten Mann ist für ein gerade mal achtzehnjähriges Mädchen natürlich absolut ausgeschlossen. Und eine Schwangerschaft hast keine Chance auf Legitimation. So gesehen ist Astrid Ericssons Geschichte die Geschichte vieler junger Frauen zu allen Zeiten, und es geht hier vor allem darum, wie sie es schafft, gegen ihre eigene Verzweiflung und gegen die gesellschaftlichen Konventionen anzukämpfen und ihren Sohn großziehen zu dürfen, auch wenn sie das allein tun muss, denn sie erkennt, dass Blohmberg vielleicht lieb und nett ist, aber auch mächtig feige und sicherlich größte Schwierigkeiten hätte, in aller Öffentlichkeit zu Astrid und ihrem Sohn zu stehen. Die Entschlossenheit, mit der sie hier ihren Weg geht, wohl wissend, dass sie mehr als gelegentliche Schwierigkeiten und Widerstände zu überwinden haben wird, passt zu ihrem Credo „Es gibt manchmal Dinge, die man einfach tun muss“, auch wenn es nicht einfach wird, und wie die alte Astrid in den vielen Glückwünschen immer wieder liest, hat diese Überzeugung viele Kinder beeindruckt und beeinflusst, wenn auch sicherlich meistens unter viel weniger dramatischen Umständen.

 

   Man muss sich einfach damit abfinden, dass Pernille Fischer Christensen den Rahmen ganz bewusst sehr eng steckt. Es geht hier um Astrid Ericsson und ihren Kampf um ihr Kind, ihre Rolle als alleinerziehende Mutter und ihren Platz in ihrer Familie, und nicht etwa darum, wie sie Schriftstellerin wurde, denn davon ist hier eher indirekt die Rede. Wem das zu wenig ist, wer also erwartet hatte, mehr über die Anfänge der Autorin Astrid Lindgren zu erfahren, der wird vielleicht enttäuscht sein. Ich kann das nicht von mir behaupten, auch wenn mir diese Mutter-Kind-Thematik prinzipiell nicht so nahe geht. Doch Drehbuch und Regie sind exzellent, der Blick für Zeit und Milieu scheint mir äußerst präzise zu sein, und Alba August ist einfach ganz fabelhaft als junge Astrid, hält uns über zwei Stunden lang in Atem mit ihrer expressiven,  mitreißenden Darstellung, die natürlich von solch vortrefflichen Leuten wie Bonnevie oder Dyrholm bestens flankiert und unterstützt wird. Hier wird sicherlich das Pulver nicht neu erfunden, hier wird auf sorgfältige, einfühlsame und klar positionierte Weise ein eindrucksvolles Einzelschicksal mit einem Stück Gesellschafts- und Sozialgeschichte verknüpft, überzeugend und menschlich engagiert. Was will ich mehr? (11.12.)