First Man (Aufbruch zum Mond) von Damien Chazelle. USA, 2018. Ryan Gosling, Claire Foy, Jason Clarke, Lukas Haas, Corey Stoll, Kyle Chandler, Pablo Schreiber, Christopher Abbott, Olivia Hamilton, Ciarán Hinds
Wenn es um diese ganze Space-Race-Scheiße geht, bin ich raus und halte es voll und ganz mit Gil Scott-Herons „Whitey on the moon“, das hier im Film auch zum besten gegeben wird: Wie kann es sein, dass Milliarden ins All geschossen werden und auf der Erde an allen Ecken und Kanten Not und Ungerechtigkeit herrschen, dass all die Mittel, die bitter nötig wären, um wenigstens ein paar irdische Probleme in den Griff zu kriegen, verschleudert werden für sogenannte Forschungen, deren Motivation mindestens zur Hälfte ganz klar politisch bzw. nationalistisch geprägt sind. Mit anderen Worten: Eigentlich interessiert mich dieser ganze Weltraumkram null, weshalb es auch wenig gute Gründe für mich gab, diesen Film überhaupt sehen zu wollen. Dass ich es dann doch tat, habe ich sicher nicht bereut, und dass ich es nicht zu bereuen brauchte, ist zum großen Teil Verdienst des Regisseurs Damien Chazelle, dem es doch tatsächlich gelungen ist, mich einhundertvierzig Minuten lang zu fesseln und zu beeindrucken, auch wenn mir Apollo 11 mitsamt Neil Armstrong wie gesagt am Arsch vorbeigehen.
In der Sache hat sich daran auch nichts geändert, aber dennoch verlebte ich einen aufregenden und eindrucksvollen Kinoabend, weil Chazelle einer ist, der sein Handwerk versteht, und zwar richtig versteht, der genau weiß, wie er sein Publikum hineinzieht in das Geschehen, mitten rein genauer gesagt, und damit fängt er gleich zu Beginn an – ein früher Testflug Anfang der 60er, ein technisches Problem, und wir sind gleich voll drin, es wackelt und ruckelt und dröhnt und knattert, es ist fast wie live dabei zu sein, und diese Intensität und Nähe behält Chazelle bei, auch wenn es zwischendurch mal ruhiger, privater wird. Wir berauschen uns hier weniger an Technik, wir sind ihr eher genauso ausgeliefert wie die Menschen in den fliegenden Blechkisten, wir berauschen uns an Emotionen und denen, die miteinander ringen. Neil Armstrong ist ein typischer Ryan-Gosling-Charakter, stoisch, unzugänglich, wortkarg, verschlossen, wieder so einer nach dem Motto „A man’s gotta do what a man‘s gotta do“, und die großartig spielende Claire Foy hat die undankbare Aufgabe, die Ehefrau zu sein, die immer wieder gegen dieses Bollwerk anrennt, aber selbst diese denkbar klischeehafte Konstellation wird annehmbar durch die Art und Weise, wie hier erzählt wird, wie nahe wir den Figuren sind, wie gekonnt hier in wenigen knappen Szenen so etwas wie ein soziales Umfeld entsteht, in dem sich die Familie Armstrong bewegt, nachdem sie den tragischen Tumortod der kleinen Tochter verkraften muss. Es wird noch mehrere fatale Unfälle geben im Laufe der Raketenforschung, doch keiner kommt der Tragik dieses ersten Todes gleich, vor allem was Armstrong persönlich betrifft, und das ist natürlich auch richtig so. Armstrong schert sich nicht um das patriotische Gedröhne mancher Politiker, die das Wettrennen als Bestandteil des Kalten Krieges betrachten (genau wie die Russen auf der Gegenseite auch), er schert sich nicht um Ruhm und Ehre und darum, was er als erster Mensch auf dem Mond womöglich für sein Land bedeuten könnte, er ist besessen von der Frage nach der Machbarkeit, er will einfach auf den Mond und glaubt daran, dass es gelingen kann. Seine Coolness und Geistesgegenwart in der Apollo selbst in der größten Krise stehen in diametralem Verhältnis zu seiner Unfähigkeit, sich zuhause mit seinen beiden Söhnen an einen Tisch zu setzen und ein einziges Mal offen und ehrlich mit ihnen zu sprechen und all ihre vielen Fragen zu beantworten. Männer sind halt nur im Job richtig gut, wissen wir längst. Was ihn letztlich bewegt und antreibt, vermögen wir bestenfalls zu erraten, denn dies ist wie gesagt eine Ryan-Gosling-Figur, aber wie immer schafft es dieser Schauspieler auch, mich mit seinem Minimalismus irgendwie zu faszinieren, warum, weiß ich selbst nicht so recht.
Ansonsten gibt‘s viel Zeitgeist, viel Spannung und Spektakel, ein tolles Sounddesign inklusive toller Musik und eine Handvoll kernig präsenter Charakterköpfe, die den beiden Hauptdarstellern eine solide Grundlage bieten. Chazelle macht Kino für die Sinne, maximal intensiv, unmittelbar, mitreißend, ein Vollblutfilmemacher sozusagen, und wenn er sich nächstes Mal wieder einem Sujet widmet, das mich wirklich interessiert, soll es mich doppelt freuen… (13.11.)