Bohemian Rhapsody von Bryan Singer. England/USA, 2018. Rami Malek, Gwilym Lee, Ben Hardy, Joseph Mazzello, Lucy Boynton, Allen Leech, Aaron McCusker, Tom Hollander, Aidan Gillen, Mike Myers

   Keine Frage – ein Muss für mich. Queen waren Ende der 70er eine der Bands, mit denen ich sozusagen groß geworden bin und die damals einfach wichtig war. Mein bester Kumpel hatte als erster ein paar LPs, und die hörten wir rauf und runter, grölten die Songs mit, auch mitten in der Nacht auf dem Fahrrad auf dem Heimweg – hach ja… Und ich möchte behaupten, dass ich auch heute noch drei ihrer LPs zum größten Teil mitsingen könnte, obwohl ich sie teilweise eine Ewigkeit nicht gehört habe, aber so funktioniert das Gedächtnis bekanntlich. Das ging so bis „Jazz“ rauskam 1978, danach ließ meine Begeisterung für Queen deutlich nach, und als ich vor eins, zwei Jahren mal die Lücken stopfte und mir ihr Spätwerk zu Gemüte führte, verstand ich sofort, wieso das so war. Hatten sich irgendwo auf dem Weg zum neuen Publikum und zum neuen Markt verirrt und nie wieder so richtig zu sich und ihrem Sound gefunden, ungeachtet notwendiger Erneuerungen und Veränderungen wohlgemerkt. Und nach Freddies Tod 1991 war sowieso Schluss, alle Revivalversuche hernach gehören ins Reich des Schweigens und der Dunkelheit. Meine Lieblingsalben sind wie gesagt die bis „News of the world“, als sie sich vom anfänglichen schweren Rock gelöst und sich dem Stadionrock zugewandt hatten, wuchtig, pompös, immens eingängig und maßgeblich geprägt von jener genialen Rampensau mit der einzigartigen Rockstimme, um die sich praktisch dieser gesamte Film dreht.

   Ob das nun gut und richtig ist oder nicht, es war eigentlich gar nicht anders vorstellbar, denn natürlich stand Freddie Mercury immer im Zentrum der Aufmerksamkeit und wurde vielfach als Bandleader gesehen, auch wenn sich das in Wirklichkeit durchaus anders verhielt. Das hier ist also genau genommen kein Film über den Werdegang der Band Queen, sondern über das Leben und Sterben von Farrokh Bulsara aus Sansibar, später Freddie Bulsara, noch später dann endgültig Freddie Mercury, der mit seiner Familie nach London gekommen war und von etwas anderem träumte als dem fleißigen, strebsamen Leben, das ihm sein Vater als ideal in Aussicht stellte. Dann kommt das erste Zusammentreffen mit Brian May und Roger Taylor und die Begegnung mit Mary Austin, mit der er anfangs in einer heterosexuellen Beziehung zusammenlebt und der der später auch nach seinem Coming-out bis zu seinem Tod verbunden bleiben wird. Und so weiter. Die Klammer ist das Live-Aid-Konzert 1985, für das die Band nach jahrelanger Auszeit und Trennung wieder zusammenfand und einen triumphalen Auftritt hinlegte, der, so kolportiert jedenfalls dieser Film, die Kassen bei Mr. Geldof erst so richtig zum Klingeln brachten.

   So weit, so gut. Zweieinviertel satte Stunden Zeit hat sich Regisseur Bryan Singer genommen, hat davon sehr viel (für mein Gefühl viel zuviel) Zeit für Musikauftritte reserviert, die zwar natürlich dazugehören, is schon klar, die mir aber nichts Neues mitzuteilen haben, denn die Musik und die Bilder von Freddies theatralischen Auftritten sind hinreichend bekannt. Manchmal ist dem Drehbuch auch die Chronologie entglitten, etwa was die Zeit Mitte der 80er betrifft oder die Entstehung „We will rock you“, das bekanntlich schon 1977 veröffentlich wurde, hier aber ganz unzutreffend in die frühen 80er gerückt wird. Unverständliche Schlamperei, finde ich, denn was das angeht, ist ja wohl alles bestens dokumentiert.

   Aber letztlich ist das gar nicht so wichtig. Viel wichtiger wäre mir gewesen, wirklich etwas mehr über den Menschen Freddie Mercury und sein Leben zu erfahren, und da bietet mir „Bohemian Rhapsody“ einfach zu wenig an. Seine Wurzeln werden kurz umrissen, seine Umtriebigkeit und sein Ehrgeiz dargestellt, doch mit zunehmender Dauer verliere ich diesen Freddie aus dem Blick, obwohl es sicherlich eine Menge zu erzählen gäbe. Zum einen verhält sich der Film sehr brav und konventionell, was die Form angeht und zum anderen ist er einfach zu oberflächlich, wenn‘s ans Eingemachte gehen könnte. Mercurys chaotische und letztlich wohl auch fatale Zeit in München bleibt schemenhaft und flüchtig, sein erster dauerhafter Lover und zeitweiliger Manager Paul kommt ganz schlecht weg und ist eindeutig der Bösewicht, und Freddies Beziehung zu seinen drei Bandkollegen ist praktisch gar kein Thema. Wie überhaupt Brian, Roger und John kein großes Thema sind, aber daran haben die sich bis heute bestimmt längst gewöhnt. Einzig Freddies Beziehung zu Mary wird mit mehr Gefühl geschildert als die wichtigste und dauerhafteste in seinem Leben. Diese Szenen haben mir am besten gefallen, weil ich darin am ehesten etwas ahnen konnte von dem, was Freddie möglicherweise umtrieb, was ihn prägte – und das ist eigentlich das, was ich über einen Künstler erfahren möchte. Und hier hat Rami Malek auch mal die seltene Gelegenheit, mehr zu leisten als einfach eine zugegeben sehr kompetente Nachempfindung von Freddies Posen auf der Bühne und im Studio. Ansonsten bleibt er weitgehend fern, und das ist natürlich dumm, wenn es hauptsächlich um ihn gehen soll.

   Zwischendurch aber gibt’s auch ein paar nette Kabinettstückchen aus den seligen Zeiten des Rock, da Musik noch mit der Hand gemacht und auf Tonträger gebannt wurde, und es gibt ein paar witzige Anekdoten über Streitigkeiten mit Produzenten, Tontechnikern und anderen engstirnigen Gesellen, die einfach nicht kapiert haben, welch außerordentlicher Song ihnen da mit „Bohemian Rhapsody“ angeboten wurde. Von der gewohnt einfältigen und übergriffigen Presse ganz zu schweigen. Und zum Glück haben Brian May und Roger Taylor höchstpersönlich dafür gesorgt, dass hier ein ordentlich produzierter Sound geboten wird, und der hat es tatsächlich in sich. Es dröhnt hübsch laut und drückt uns genüsslich in die Kinositze, das ist dann natürlich schon eindrucksvoll und toll, und genau dieses Gefühl will ich bei Queen-Musik ja wohl auch haben. Die wurde schließlich gemacht, um laut gespielt zu werden. Nachtrag ein paar Wochen später: Mein ewiger Mitstreiter berichtete, dass die schiere Wall of Sound ihn buchstäblich aus dem Kino getrieben habe und er tags drauf mit Ohrstöpseln habe wiederkomme müssen. Wie unterschiedlich man die Dinge doch wahrnehmen kann…

 

   Unterm Strich ein Biopic wie allzu viele andere: Ein paar Häppchen hier, ein paar Häppchen dort, keine konsequent durchgezogene Linie, kein großartiger Tiefgang, erst recht nicht zuviel Hässliches oder Anzügliches, weil das da die Jugendfreigabe verdorben hätte. Wenn ich mich also zukünftig an Freddie und die Jungs erinnern will, werde ich ganz sicher „A night at the opera“ oder „A day at the races“ auflegen, das ist deutlich genussreicher. (6.11.)