Call me by your name von Luca Guadagnino. Italien/Frankreich/USA, 2017. Timothée Chalamet, Armie Hammer, Michael Stuhlbarg, Amira Casar, Esther Garrel, Victoire Du Bois, Vanda Capriolo

   Eine Geschichte aus dem Italien der früheren 80er. Das war die Zeit, da die männlichen Leute vorwiegend Poloshirts mit Luxusemblem trugen, zu synthetischen Rhythmen tanzten und eigentümlich gefärbte, kleine Autos fuhren, die neben unseren heutigen Blechbomben geradezu wie Matchboxautos anmuten. Die Politik in Italien war damals ebenso wie heute ein wildes, für alle unbegreifliches Chaos, und Luis Buñuel gerade verstorben.

   Elio ist gerade siebzehn und verbringt den Sommer wie gewohnt zusammen mit den Eltern auf einem feudalen Landsitz. Man ist intellektuell, wohlhabend und lebt auch so. Dezent jüdisch, doch vor allem der Vater legt Wert darauf, dies nicht zu sehr nach außen zu tragen. Er ist Professor für Archäologie und lädt jeden Sommer eine Art wissenschaftlichen Mitarbeiter zu sich auf den Landsitz ein. Diesmal ist das Oliver, ein smarter Amerikaner, klug, selbstbewusst, vielversprechend. Er scheint keine Probleme zu haben, sich in den exklusiven Kreis zu integrieren, und das gilt auch für die Jugend des nahen Kleinstädtchens, inklusive vorzugsweise französischer Mädels. Man changiert locker zwischen den Sprachen englisch, italienisch, französisch, badet im nahegelegenen Fluss oder vergnügt sich anderweitig in der Disco oder dem sommerlich warmen Hauseingang des Nachts. La dolce vita, mit anderen Worten. Elio lässt sich träge treiben, transkribiert Musik, spielt ein paar Etüden auf dem Klavier, lässig, hochbegabt aber recht phlegmatisch. Einzig Oliver scheint ihn zu beschäftigen, zunächst eher im negativen Sinne, da das oft arrogant wirkende Gebaren des Amerikaners ihn ärgert und provoziert, doch irgendwann ändern sich seine Gefühle, und plötzlich ist da etwas ganz anderes. Er bändelt mit der netten Mariza an und strebt auch eifrig den erlösenden ersten Geschlechtsverkehr an, letztlich sogar mit Erfolg, doch so richtig erlöst ist er erst, als er und Oliver sich näherkommen. Die Annäherung ist zaghaft, vorsichtig, doch dann mit Wucht, und als sie erstmal die Schranken überwunden haben, hält sie nichts mehr. Ales ganz versteckt, versteht sich, vor allen geheim, nur die Eltern ahnen etwas, vor allem der Vater, der zwar ewig abwesend erscheint, doch scheinbar einen aufmerksamen Blick auf seinen Sohn hat. Elio und Oliver bekommen noch die Gelegenheit, ein paar schöne abschließende Tage zusammen in Bergamo zu verbringen, bevor Oliver zurück in die Staaten reist. Ein paar Monate später, es ist Dezember und die Familie feiert Chanukka, das jüdische Lichterfest, kommt ein Anruf von Oliver. Er berichtet, dass er im nächsten Jahr heiraten wird. Elio versichert ihm, dass er sich für ihn freut, doch wie wir nachher sehen, ist das nicht so…

   Gute Liebesgeschichten sind einfach erzählt, sollte man denken, aber natürlich weiß jeder, wie irrsinnig schwer das ist, vor allem, wenn man an die Unmenge mäßiger Seifenopern denkt, die tagein tagaus die Bildschirme fluten. Gute Liebesgeschichten sind vor allem dann schwer, wenn es drumherum gar nicht soviel gibt, also gar kein Brimborium, keine Historienschmonzetten, nix, was die Essenz irgendwie verkleiden helfen könnte. Wenn also ein Film auf all das verzichtet und sich wirklich einzig und allein um diese Essenz kümmert, dann muss er sich schon verdammt sicher sein, dass er etwas zu bieten hat. Genau das trifft auf „Call by your name“ zu, und zwar in ganz besonderem Maße. Dem Regisseur Guadagnino und dem Autor James Ivory (ewig lange nichts gehört von Mr. Ivory, umso erfreulicher, seinen Namen mal wieder im Vorspann zu lesen) ist nicht weniger als ein meisterhafter Liebesfilm gelungen, randvoll mit Atmosphäre, Gefühl, dem Blick fürs Detail. Überhaupt kein bisschen schmalzig oder gefühlig, auch kein Film, der seinen Figuren übermäßig zuleibe rückt, sondern im Gegenteil einer, der ihnen eine gehörige Portion Eigenleben und Geheimnis lässt, Widersprüchlichkeit, auch Haken und Ösen. Elio und Oliver sind keine Stromlinienmänner, und den Film einfach als schwules Liebesdrama einzustufen, wäre sicherlich zu kurz gegriffen, denn gerade bei Oliver scheint ziemlich sicher, dass er nicht eigentlich schwul ist, eher offen nach allen Seiten und in diesem Fall bereit, sich mit Leib und Seele in diese stürmische Liaison mit einem minderjährigen Jungen zu stürzen. Bei dem die Sachlage schon etwas klarer ist, denn seine Expeditionen in die körperliche Liebe mit einem Mädchen wirken von Anfang an eher zweckgerichtet als wirklich gefühlsgesteuert. Erst zusammen mit Oliver wirkt er richtig frei, auch viel selbstbewusster und kann seine Gefühle und Sehnsüchte halbwegs ausleben – soweit zwei Männer das eben können, 1983 genau wie heute.

   Guadagnino erzählt die Geschichte gradlinig und ohne Schnörkel, lässt sich dennoch gut über zwei Stunden Zeit, sie leben und atmen zu lassen, und das betrifft besonders die Atmosphäre, und die ist ganz wunderbar. Italien im Sommer – man kann ihn sehen, riechen, hören, schmecken, und er ist allgegenwärtig, der reine Genuss, ich jedenfalls habe ihn einhundertdreißig Minuten lang genossen, abzüglich höchstens der Schlussszene im Winter, die insgesamt nicht so überzeugend gestaltet ist. Aber vorher lassen wir uns mit den Leuten hier durch die Tage und Nächte treiben, sehen der Liebe von Elio und Oliver zu, die von vornherein zeitlich begrenzt scheint, die auch nicht irgendwelche künstliche Dramen aufgemotzt wird. Es geht um Sinnlichkeit und den Spaß daran, das reicht völlig und ist mir persönlich zigmal lieber als jedes Gewalt- und Actionspektakel. Einmal mehr wird mir dabei auch bewusst, wie wenig gute erotische Filme überhaupt in die Kinos kommen, wie sehr die Landschaft von Gewalt und Action dominiert wird, und das wirkt sich automatisch auf unsere Gewohnheiten, unsere Erwartungen und unseren Geschmack aus. Leider, kann ich nur sagen.

 

   Dies ist ein großartiger Film in jeder Hinsicht, vor allem auch ganz großartig gespielt, ein sinnlicher Genuss im besten Wortsinn, und wenn es vielleicht der einzige in seiner Art bleibt in diesem Jahr, diesen einen durfte ich wenigstens sehen. (6.3.)