Zimna wojna (Cold War – Breitengrad der Liebe) von Pawel Pawlikowski. Polen/Frankreich/England, 2018. Joanna Kulig, Tomasz Kot, Agata Kulesza, Borys Szyk, Jeanne Balibar, Cédric Kahn

   Die Liebe von Zula und Wiktor beginnt 1949 und endet mit ihrem Freitod fünfzehn Jahre später. Sie umfasst ein Stück europäischer Nachkriegsgeschichte und steht, wie auch der polnische Originaltitel ganz treffend feststellt, im Zeichen des Kalten Krieges, besser gesagt, sie geht mitsamt den beiden Liebenden daran zugrunde.

   Sie lernen sich kennen, als Wiktor gemeinsam mit seiner Kollegin Irena und dem Kollegen Kaczmarek über Land fährt und nach Talenten für eine Truppe sucht, deren Aufgabe zunächst darin besteht, traditionelles polnisches Liedgut wieder zum Leben zu erwecken. Die fesche blonde Zula fällt ihm gleich auf, aber auch der bissigen Irena, die ihrem Freund den Kopf zurechtrücken will und ihm ein paar wilde Gerüchte über das junge Ding auftischt. Was ihn natürlich nicht davon abhält, mit ihr anzubändeln, und als die Musikgruppe mit dem Namen Mazowsze gegründet ist und in der Musikschule Mazurek gründlich ausgebildet wird, scheint ihrem Glück nichts im Wege zu stehen. Das Ensemble ist sehr erfolgreich und populär und erregt leider bald auch das Interesse der Politik, und die hat natürlich nichts anderes im Sinn, das die Folkloregruppe für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, und alsbald findet sich Mazowsze vor dem Stalinbanner wieder und bindet auch patriotisches und dem großen Nachbarn im Osten gefälliges Liedgut in die Aufführungen ein. Das verdrießt Irena und sie trennt sich von der Truppe, und auch Wiktor ist zunehmend unzufrieden, erst recht, als Zula ihm eines Tages gesteht, sie habe ihn in Kaczmareks Auftrag bespitzelt. Mazowcze wird zunehmend fürs sozialistische Ausland gebucht, und ein Auftritt in Ostberlin soll die Chance für Wiktor und Zula sein, in den Westen zu wechseln, doch als sie nicht wie verabredet erscheint, geht er einfach allein, und erst Jahre später treffen sie sich in Paris wieder, wo er als Jazzpianist sein Leben verdient. Sie haben beide neue Partner, doch ihre Liebe ist noch immer da und stark wie immer. Diesmal kann er sie überreden, hierzubleiben, doch sie wird sich nicht einleben im Westen, fühlt sich minderwertig und überflüssig, und schließlich zieht es sieh wieder zurück hinter den Eisernen Vorhang, wo sie wieder mit Mazowcze und Kaczmarek arbeitet wie zuvor und durch den Ostblock tingelt mit einem zunehmend seichten Popprogramm. Wiktor besucht sie als französischer Staatsbürger in Jugoslawien, doch er wird außer Landes verfrachtet, ist nicht mehr willkommen. Er geht schließlich Zula zuliebe doch nach Polen zurück, nur um sofort inhaftiert und zu fünfzehn Jahren Zuchthaus wegen Spionage verurteilt zu werden. Zula verwendet sich für ihn, hat mittlerweile Kaczmarek geheiratet und ein Kind mit ihm. Kaczmarek zieht ein paar Strippen, Wiktor kommt 1964 frei, kann aber nach der Misshandlung im Gefängnis nicht mehr als Pianist tätig sein, und die beiden vollziehen in einer alten Ruine eine symbolische Ehezeremonie, bevor sie einen Haufen Tabletten schlucken, sich auf eine Bank setzen und in die Landschaft hinausblicken.

   Wie schon in seinem meisterlich „Ida“ vor fünf Jahren hat Pawlikowski diese Liebesgeschichte, die er seinen Eltern gewidmet und die offenbar einen ziemlich privaten Hintergrund hat, in berückendem Schwarzweiß inszeniert und uns zugleich bewiesen, dass Schwarzweiß nicht gleich Schwarzweiß ist und man auch ohne Farben eine Menge mit dem Bild anstellen und eine Menge aussagen kann. Die polnische Nachkriegstristesse wir ebenso lebendig und nachfühlbar wie das hippe Jazzparis der 50er, mal matt, mal schillernd, mal weich, mal scharfkantig, stets findet die Kamera die richtige Ausleuchtung, die richtigen Schatten, die passenden Kontraste. Fiese Brillanz findet ihre Entsprechung auf der emotionalen und erzählerischen Ebene, wobei Pawlikowski keineswegs darauf aus ist, uns mit gefälligem Handwerk zu erfreuen oder sich nach Wohlfühlart anzubiedern, ganz und gar nicht. Er erzählt spröde, elliptisch, lässt auch die beiden Protagonisten sie selbst sein und erforscht nicht jeden ihrer geheimen Winkel. Zula ist impulsiv, lebenslustig, provokativ, lässt sich weitgehend von Gefühlen leiten und verliert durch alle Ab- und Umwege hindurch niemals das eine Wichtige aus dem Sinn, nämlich ihre Liebe zu Wiktor, die ungeachtet aller Schicksalsfälle scheinbar nie in Frage steht. Merkwürdigerweise ist sie nicht so anpassungsfähig wie er, kann in Paris nicht heimisch werden, in der schicken Kulturgesellschaft nicht Fuß fassen und ist eher bereit, sich mit dem miefigen Kommunismus daheim zu arrangieren, auch um den Preis ihrer künstlerischen Integrität, die natürlich längst zum Teufel ist, seit die Gruppe Loblieder auf die Genossen Lenin und Stalin trällern musste und als Vorzeigeobjekt durch die östlichen Lande gereicht wurde, was jemand wie sie eigentlich als ultimative Erniedrigung erleben müsste. Wiktor, eher still und in allem ziemlich selbstbezogen, kann genau damit seinen Frieden nicht machen, und trifft ein einziges Mal eine Entscheidung nur für sich selbst und nicht für sie beide, indem er ohne sie nach Paris geht und sie zurücklässt. Nur so richtig glücklich scheint er im Westen ohne sie nicht zu werden, weswegen er seinen Schritt Jahre später auf fast selbstmörderische Weise zurücknimmt und wieder in den Osten geht, wohl wissend, was ihn dort erwarten wird. Ein gewaltiges Opfer, doch es kommt zu spät, denn auch Zula ist natürlich nicht frei, hat sich einsperren lassen in ein Ehearrangement mit Kaczmarek und sieht für sich und Wiktor weder im Westen noch im Osten eine Zukunft. Darin liegt das bitter Tragische dieser Geschichte, und manchmal trifft es mich mit voller Wucht, ohne dass Pawlikowski viel dafür tun müsste im Sinne von Polemik oder Melodrama. Der grauenhafte ideologische Terror des Kommunismus steht außer Frage und wird in vielen zum Teil fast unscheinbaren Details eingefangen, mal mit bissigem Humor, mal als lakonische Satire und mal in seiner ganzen grenzenlosen Traurigkeit. Doch bietet uns das freie, schillernde Paris keinen überzeugenden Gegenentwurf, es kann weder den einsamen Wiktor noch die verunsicherte und gehemmte Zula auffangen und integrieren, es geht eher im Sinne eines Jahrmarkts der Eitelkeiten um Profil, Bestätigung, Erfolg. In keiner der beiden Welten scheinen die beiden die Möglichkeit zu haben, so zu leben wie sie möchten, und ich kann mir leicht vorstellen, dass es damals vielen so gegangen sein wird angesichts der radikal unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfe der beiden Lager im Kalten Krieg.

 

   Insgesamt ein grandios fotografiertes und gespieltes Liebesdrama im Schatten der Politik, und wenn ich so mitkriege, wie viele Filme dieser Art an uns in Bielefeld vorübergehen, muss ich direkt dankbar sein, dass ich diesen sehen durfte – bei „Ida“ zum Beispiel hat das seinerzeit nicht geklappt… (5.12.)