Crooked House (Das krumme Haus) von Gilles Paquet-Brenner. England, 2018. Max Irons, Stefanie Martini, Honor Kneafsey, Glenn Close, Terence Stamp, Christina Hendricks, Gillian Anderson, Julian Sands, Christian McKay, Amanda Abbington
Apropos „Kann doch jeder“ – Agatha Christie ist auch kein Selbstläufer, aber das weiß man längst nach etlichen schwerfälligen, stargespickten Art-Déco-Werken aus den 70ern und 80ern und noch mehr steifen TV-Serien aus jüngerer Zeit, und dabei sind ihre klassischen Whodunits doch eigentlich ideale Kinovorlagen für stilvolles, spannendes Kino der Marke very very British. Man muss es nur sorgfältig machen und möglichst auch einen Sinn für Timing und Atmosphäre haben.
Wieso ausgerechnet Gilles Paquet-Brenner auf die Idee gekommen ist, sich dieser ur-britischen Krimiikone anzunehmen, will sich mir nicht recht erschließen. Der Mann hat mit „Sarahs Schlüssel“ mal vor ein paar Jahren einen sehr guten Film vollbracht, davor und danach ist er hierzulande nicht mehr aufgetaucht, und jetzt soll er also dieses kommerz- und prestigeträchtige Projekt wuppen, und ich würde mal sagen, er hat es so làlà hinbekommen – nicht schlecht sicherlich, aber auch nicht besonders inspiriert oder so, dass ich den Eindruck hatte, jau, das ist der Richtige für Agatha Christie.
Die tischt uns in ihrer Story all das auf, was so typisch für sie ist: Ein begrenzter Handlungsort, eine begrenzte Mitspielerzahl, eine Vielzahl plausibler Tatmotive, deren Gewichtung sich ständig so verschiebt, dass abwechselnd jede/r als Täter/in in Frage kommen könnte und eine schön perverse Schlusspointe, deren Grausamkeit so absurd ist, dass wir niemals drauf gekommen wären, weil wir eben nicht so grausam sind oder denken und auch nicht soviel Spaß an grimmigem Sarkasmus haben wie Dame Agatha – Spaß haben wir letztlich aber doch genau daran, dass sie uns nämlich mal wieder verblüfft und zugleich vor den Kopf geschlagen und uns zu guter Letzt noch untergejubelt hat, dass wir genau daran das größte Vergnügen haben. Ein Spiel mit Erwartungen in jeder Hinsicht, und sie hat es immer wieder meisterhaft gespielt. Diesmal ist kein überirdisches Mastermind à la Poirot im Spiel, sondern ein höchst irdischer Bursche, auch noch privat verstrickt mit dem ganzen Clan, der genau wie wir niemals genug dunkle Phantasie aufbringen könnte, um die Lösung zu erraten, weshalb er die finale Tragödie letztlich auch nicht verhindern kann. Bei Dame Agatha ist immer eine Mischung aus Anteilnahme und kühler Distanz im Spiel, und diese feine Balance kriegen nur ganz wenige Filme hin. Dieser hier auch nicht so richtig. Er schwelgt im abgründigen Familienzwist, der hier ausführlich und genüsslich vor uns ausgebreitet wird, doch das jähe Kippen in eine absurde Tragödie wird nicht gründlich genug ausgearbeitet – es erscheint uns lediglich als die letzte Wendung in einem Plot, der randvoll mit Täuschungen, Lügen, Intrigen, Hass und Neid ist, der uns fast zwei Stunden lang passabel unterhält, der aber relativ wenig Spannung aufbaut, weil er den Personen kaum Gelegenheit gibt, über das Format einer kostümierten Karikatur hinauszuwachsen. Das ist aber eine maßgebliche Voraussetzung für eine Geschichte, die die Wucht ihrer eigenen Auflösung tragen kann, und wenn am Ende ein zwölfjähriges Mädchen als mehrfache Mörderin enttarnt wird und mit ihrer Großtante zusammen in einen Abgrund stürzt, bzw. von selbiger in diesen Abgrund gestürzt wird, dann verpufft diese Pointe entweder und ich bleibe verblüfft aber wenig berührt zurück, oder sie wirkt noch nach, doch dann benötigt sie einen Vorlauf, einen gänzlich anderen Umgang mit den handelnden Personen. So aber haben wir das vertraute bösartige Geplänkel dekadenter, stinkreicher Herrschaften, das früher oder später unweigerlich weitere Verbrechen nach sich ziehen muss, das aber unter dem Strich zu leichtgewichtig und oberflächlich bleibt, wie die Regie im Allgemeinen. Drehbuchautor Julian Fellowes, durchaus ein renommierter und erfahrener Fachmann auf seinem Gebiet, hat sich ganz auf seine bewährten Fähigkeiten im Umgang mit geschliffenen Gesellschaftsstücken verlassen, doch Pasquet-Brenner hat keinen eigenen, adäquaten Stil gefunden, hat es nicht geschafft, dem Stoff ein wenig mehr Gewicht oder Tiefe zu heben, und so ist all dies nicht mehr als ein weiterer gediegen inszenierter und gespielter Oldschool-Krimi im 40er-Jahre-Stil mit einem Flair, das eher bemüht als wirklich empfunden wirkt. Ganz nett für einen verregneten Sonntagnachmittag, mehr aber auch nicht. Sowas hatten wir schon oft. Und: Den Weg ins Kino hätte ich mir wohl sparen können. Wie schön häufig in diesem Jahr. (2.12.)